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Vom Schreiben in Glückseligkeit

Immer schon waren die Bücher Friederike Mayröckers vernetzt mit anderen Schriften und Kunstwerken. In der Prosa "Lection" von 1994 haben die Bilder des italienischen Malers Giuseppe Zigaina und die Barockmusik Antoine Forquerays das Schreiben entfacht und vorangetrieben. In dem 1998 erschienenen "brütt, oder die seufzenden Gärten" ist im Dialog mit Henri Matisse eine irisierende Bildmagie entstanden. In dem neuen Buch der österreichischen Gegenwartsautorin ist die Schriftstellerin Gertrude Stein das Gegenüber.

Von Annette Brüggemann | 02.11.2005
    " Meine Nerven waren sehr aufgeregt, und Gertrude Stein sagt, in dem Gesicht stand dasz er, wenn er ein Stück Wiese angeschaut hatte, es immer ein Stück Wiese für ihn gewesen wäre, aber dann habe er die getroffen die er liebte, und wenn er dann auf ein Stück Wiese geschaut hätte, seien auf der Wiese Vögel und Schmetterlinge gewesen, die vorher nicht da waren, das also ist Liebe."

    Immer schon waren die Bücher Friederike Mayröckers vernetzt mit anderen Schriften und Kunstwerken. In der Prosa "Lection" von 1994 haben die Bilder des italienischen Malers Giuseppe Zigaina und die Barockmusik Antoine Forquerays das Schreiben entfacht und vorangetrieben. In dem 1998 erschienenen "brütt, oder die seufzenden Gärten" ist im Dialog mit Henri Matisse eine irisierende Bildmagie entstanden.

    In dem neuen Buch der großen österreichischen Gegenwartsautorin - "und ich schüttelte einen Liebling" - ereignet sich eine ganz besondere Begegnung.

    " Ich hab in der Zeit vorher, hab ich alles gelesen von der Gertrude Stein. Und das war eine erstmalige und einmalige Begeisterung für sie, weil ich vorher für sie eigentlich nichts übrig gehabt hab. Der Ernst hat immer gesagt: du musst die Stein lesen, das ist wichtig für dich und ich hab nie die Stein gelesen. Sie ist mir zu abstrakt vorgekommen. Und plötzlich habe ich dann durch ein anderes Buch, nämlich durch ein Buch über den Picasso von ihr, hab ich hinten gesehen, dass es andere Bücher von der Stein gibt, eine Menge anderer Bücher. Die hab ich mir dann alle bestellt und gekauft und ausgeborgt zum Teil. Und dann hat es sich eigentlich von selber ergeben, dass ich gedacht hab, eigentlich könnte ich etwas über die Stein schreiben."

    Friederike Mayröckers 2001 verstorbener Lebensgefährte, Ernst Jandl, hat Gertrude Stein aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Die nach Frankreich emigrierte Amerikanerin und Tochter wohlhabender deutsch-jüdischer Emigranten gilt als Mitbegründerin der literarischen Moderne. Steins unhierarchische Syntax, ihre berühmten Wiederholungen - a rose is a rose is a rose is a rose - bieten Parallelen zur unorthodoxen, rhythmischen Schreibweise Friederike Mayröckers. Hier treffen zwei große Sprachinnovatorinnen aufeinander. Der Stil des neuen Mayröcker-Buches ist, im Zuge eines fiktiven Dialogs mit Gertrude Stein, voller Überraschungen:

    " Durch die Lektüre von der Gertrude Stein hab ich wieder eine neue Position einnehmen können, was die Sicht auf mein Schreiben betrifft. Und in dieser Weise hab ich auch für mich etwas ganz Neues gemacht. "

    Mayröckers Sätze sind ungewohnt einfach, unverstellt, von bekennender Konkretheit. Es ist kein Buch über Ernst Jandl, wie viele Kritiker vermuteten, es ist ein Buch über die Sprache. Auch mit dem Titel "und ich schüttelte einen Liebling" ist diese gemeint, die unaufhörlich liebkost und geschüttelt wird, auf dass Wörter herausfallen mögen, die zum Schreiben verführen. In diesem Fall sogar, in erinnerten Momenten mit Ernst Jandl, zum Erzählen - das hat die vehemente "Nicht-Erzählerin" Friederike Mayröcker immer vermieden. So sollte das Buch sogar in der 1. Fassung - ganz unmissverständlich - "Narration" heißen.

    Und doch: "und ich schüttelte einen Liebling" ist auf berührende Weise Ernst Jandl gewidmet. Mit ihm ist das schreibende Ich "wie mit Ätherwellen verbunden", mit ihm teilt es die Anstrengungen und das Glück des Schreibens.

    " Einerseits Glückseligkeit und andererseits Schmerz, es ist beides. Und man will da bleiben, man will da in dieser Atmosphäre bleiben, weil die Kräfte ja nachlassen. "

    Das erinnernde Abtasten von Welt, die ungestüme Wahrnehmung Friederike Mayröckers, die der Lyriker Thomas Kling einmal treffend als "Sprach-Hochgeschwindigkeitskamera", als "Mayröcker-Kino" bezeichnet hat, sie kreist in ihrem neuen Buch um die Gegenwart eines Schreibparadieses und die Ungewissheit seines Endes. Noch einmal wird die Unschuld eines Neuanfangs beschworen, das Schwimmen- und Gehen-Verlernen bis hin zu einem kindlichen Stadium thematisiert. Was bleibt, ist die Kunst, sich zu verirren, die für jeden Schreibprozess unerlässlich ist.

    " Die Idee des Verirrens ist mir ja etwas Schreckliches. Aber irgendetwas davon ist in jedem meiner Bücher vorhanden. Das Sich-Verirren in die Sprache. Und sich auch hingeben diesem Verirren, also sich der Sprache hingeben. Das ist, glaub ich, sehr wichtig. "

    Der Kosmos Friederike Mayröckers ist ein oszillierender, von vielen Wegen und unzähligen Notizzetteln durchwobener. Um dem "Zentrum des Schreibens und Schweigens", wie sie schreibt, nahe zu sein, den imaginären Paysagen, hat sie sich mehr und mehr von einer äußeren Realität befreit.

    " Das ist eigentlich das einzige Rezept, sich hineinfallen zu lassen. Und alles andere vergessen, die Umwelt eigentlich vergessen. Und natürlich wenn einmal das Telefon zwischendurch läutet, nehme ich es entweder nicht ab oder ich sag: Ich bin an der Arbeit und leg wieder auf. Weil das ist dann schon eine Störung. Da wird man plötzlich herausgerissen und in die Realität hineingerissen zu einer Zeit, wo man die Realität nicht in dem Sinn braucht, weil sie einem wegnimmt vom Eigentlichen, also was man im Augenblick nur vor Augen hat, also die - wie soll man das nennen - die Vision. Man wird aus der Vision herausgerissen."

    Diese Vision, sie ist von bestimmten Zuständen geprägt, die in "und ich schüttelte einen Liebling" aus unterschiedlichen Perspektiven beschrieben werden. Da ist von einer Elektrisierung die Rede, die an den romantischen Dichter Novalis denken lässt, der schrieb, Poeten seien Isolatoren und Leiter des poetischen Stroms zugleich. Gottfried Benn konterte später, das sprachliche Material müsse kalt gehalten werden. Zwei Pole, in denen sich das Schreiben Friederike Mayröckers bewegt.

    " Bei mir ist auf jeden Fall die Erhitzung da, die Echauffierung. Ich bin dann irgendwie aufgeregt und höre Musik. Meistens die Callas oder auch Bach. Und aus diesem aufgeregt sein kommt dann ein Gefühl der Sehnsucht, etwas aufzuschreiben. Es ist beginnt ja immer mit einer ganz intuitiven Sache, spontan und muss dann allmählich objektiv werden, also in dem Sinn schon auch kalt, da hat er schon Recht der Benn. Die zweite oder letzte Phase muss dann eine Objektivierung sein, also ein sich vom Text eigentlich wieder Freimachen oder Entfernen. "

    Poesie und Leben, sie sind in Mayröckers komplexem Werk eine einzigartige, dynamische Symbiose eingegangen. Die Literatur selbst hat die Biografie Friederike Mayröckers überschrieben. Über 100 Buchpublikationen und an die 40 Hörspielproduktionen hat Friederike Mayröcker vorzuweisen, Lyrik, Prosa, Theaterstücke und selbst illustrierte Kinderbücher. Und auch ihr jetziges Buch sprengt alle Erwartungen: mit den Mitteln der Narration schreibt sich Friederike Mayröcker ins Offene. Mit einem Anspruch, der absoluter nicht sein könnte: Es gibt keine Erlösung, kein Leben, keine Liebe ohne Literatur.

    " Also immer für sich einen neuen Anfang machen, Tatzen auf der Maschine, so hineinspringen in den Text wie ins Badewasser wie in den See im letzten Sommer und dann mit Erschrecken festgestellt dasz man das Schwimmen verlernt hat dasz man untergeht: Zipfel Büschel und Haar hatte Maria mich wieder herausgezogen gerettet und ich ganz verzagt, nicht wahr, und die alte Ärztin gefragt, kann man das Schwimmen verlernen?"

    Friederike Mayröcker
    "Und ich schüttelte einen Liebling"
    Suhrkamp