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Vom Trabant zum Phaeton

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Adrian Dunskus | 16.02.2003
    Ein schmucker Kleinwagen war es, der da in Zwickau ab 1958 vom Band lief, erst noch unter dem Namen IFA, die Abkürzung für Industrieverband Fahrzeugbau und Ausrüstung, später mit dem geschwungenen S im Emblem und unter dem Markennamen Sachsenring, als Trabant.

    Für die meisten im Westen ist der Klang eines Zweitaktmotors gleichbedeutend mit veralteter Technik. Dabei hat der Zweitakter gegenüber den heute gebräuchlichen Viertaktern eine Reihe von Vorteilen: Er ist bei gleicher Leistung wesentlich kleiner und leichter und hat weniger bewegte Teile, was ihn grundsätzlich billiger und robuster macht.

    Im Vergleich zu den Kleinwagen, wie sie damals im Westen angeboten wurden, den Fuldamobils, Isettas und Messerschmitt-Kabinenrollern, sieht der Trabant aus wie ein richtiges Auto. Und dann hatte er auch noch eine Kunststoffkarosserie, etwas, was im Westen erst Jahre später Eingang in den Automobilbau fand. Doch was so fortschrittlich daherkam, war in Wirklichkeit aus der Not geboren, sagt Otto Helbig vom August-Horch-Automobilmuseum in Zwickau:

    Die DDR war ein sehr rohstoffarmes Land gewesen, es gab ein Wirtschaftsembargo, Ost und West haben sich ja nicht vertragen, so dass wir keine Bleche hatten, um Fahrzeuge zu bauen, es wurde also aus der Not heraus ein Ersatzstoff gesucht, und dieser Ersatzstoff war unsere Duroplastbeplankung . Am Anfang hatte man versucht, aus Textilabfällen unter Beimischung von Kunstharz, welches aus der Rohbraunkohlenveredlung, gewonnen wurde, aber das hat sich nicht bewahrheitet, jeder Textilstoff hat andere Eigenschaften, so dass am Ende ein einheitliches Grundstoffmaterial gesucht wurde, und das war in diesem Fall eine kurzfasersche Baumwolle, die war auf dem Weltmarkt sehr günstig zu erwerben, wurde aus der Sowjetunion gekauft, dann wurde diese Material eben mit dem Kunstharz vermischt, so dass dann diese Beplankung für den Fahrzeugbau verwendet werden konnte.

    An schwierige Zeiten war man in Zwickau gewöhnt. 1904 hatte August Horch hier seine erste Autofabrik errichtet, war dann hinausgedrängt worden, weil er zu wenig aufs Geld sah, hatte anschließend unter Audi, der lateinischen Übersetzung seines Namens, eine zweite Fabrik gebaut und den Ersten Weltkrieg und die Zeit danach überlebt. Den Einschnitt brachte das Jahr 1932, da zwang nämlich die Weltwirtschaftskrise die vier sächsischen Hersteller Horch, Audi, Wanderer und DKW dazu, sich zur Auto Union zusammenzuschließen. Ihr Markenzeichen wurden die vier Ringe, die heute das Emblem von Audi sind.

    Paradoxerweise waren es nicht etwa die luxuriösen Horchs, sondern die preiswerten DKWs, die technisch am längsten überleben sollten. Dazu verhalf ihnen nicht nur der Zweitaktmotor, sondern auch der fortschrittliche Frontantrieb, der sich bei anderen Herstellern erst in den sechziger Jahren durchsetzte. Bei DKW gab es ihn schon 1931 im Modell F1, und die Typenbezeichnung F9 dokumentiert, dass der Vater des Trabant sozusagen schon die neunte Generation dieses Antriebskonzepts darstellte, als er 1938 auf den Markt kam. Und vom F9 stammt nicht nur der Trabant ab, sondern auch dessen großer Bruder, der Wartburg.

    Doch Bruder ist nicht das richtige Wort, denn wo der Trabant ein Kind der Planung war, da entstand der Wartburg aus dem Geist der Rebellion, und das in der DDR! Ursprünglich, so erzählt Michael Stück vom Automobilmuseum in Eisenach, hatte man in der dortigen Fabrik in den fünfziger Jahren den Vorkriegs-DKW F9 montieren sollen, der nun nicht mehr DKW hieß, sondern IFA, sich aber ansonsten nicht verändert hatte:

    Und zwar ist das ein Fahrzeug, das schon 1938 bei DKW entwickelt wurde, er wurde bei uns dann unter dem Markennamen IFA F9 produziert, erst in Zwickau, und dann wurde diese Produktion von Zwickau nach Eisenach verlagert (...), und dieses Fahrzeug wurde ja nun gezwungenermaßen hier produziert, und die Belegschaft sagte, so ein Rückschritt, damit sind wir nicht einverstanden, wir haben immer hochwertigere und qualitativ bessere Autos gebaut als dieses uns nun aufoktroyierte Fahrzeug, und deshalb hat man sofort ohne Genehmigung von oben dieses Fahrzeug vom Äußeren her zu verändern, und da entstand dann dieser so genannte Wartburg 311

    Das Selbstbewußtsein der Eisenacher Autowerker kam nicht von ungefähr. Schließlich arbeiteten sie in Deutschlands drittältester Autofabrik nach Daimler in Stuttgart und Benz in Mannheim. Auch waren in Eisenach vor dem Krieg BMWs gefertigt worden. Die Bayerischen Motorenwerke waren im Ersten Weltkrieg mit Flugmotoren groß geworden, doch nach dem Krieg verbot der Versailler Vertrag Deutschland, eine Luftwaffe zu unterhalten, also verlegten sich die Münchener auf den Bau von Autos, und anstatt selbst eine Fertigung aufzubauen, kauften sie sich lieber die Eisenacher Fabrik. Hier liefen edle Modelle vom Band wie der Vorkriegs-328, ein ausgesprochen erfolgreicher Sportwagen.

    1941 endete in Eisenach und Zwickau wie überall in Deutschland die Produktion von Personenwagen, die Werke durften nur noch für die Rüstung arbeiten. Bei Kriegsende beschlagnahmte die Sowjetarmee die Eisenacher Fabrik und ließ sie für die Reparation produzieren. Dazu warf man sozusagen die BMW-Fließbänder einfach wieder an und fertigte Autos mit dem bekannten weißblauen Propellerlogo. Die Bayerischen Motorenwerke, die inzwischen in München mit der Pkw-Produktion begonnen hatten, empörten sich, waren aber machtlos, weil sie nicht gegen die Siegermacht Sowjetunion juristisch vorgehen konnten. Am Ende fand sich doch ein Weg, sagt Michael Stück vom Eisenacher Museum:

    BMW konnte nicht gegen das Eisenacher Werk prozessieren wegen dieses weißblauen Logos, sondern BMW hatte an die Vertretungen appelliert, diese Fahrzeuge nicht mehr zu kaufen, und so wurde über ein Gericht in Düsseldorf eine Entscheidung getroffen, dass wenn weiter westeuropäische Händler diese Marken unter diesem weißblauen Logo verkaufen, dass dann die Ware beschlagnahmt wird. Erst 1952, als von der sowjetischen Militäradministration das Fahrzeugwerk in Volkseigentum übergeben wurde, hatte man die Möglichkeit, ein anderes Logo zu bringen. Man hat sich dann der Farben von Thüringen, rot und weiß, erinnert, und hat anstelle der blauen Segmente in diesem Kreislogo rote Segmente zum Einsatz gebracht. Parallel dazu wurde aber ein Vierzackstern in diesem Kreis sichtbar, der nun wieder Daimler-Benz auf den Plan rief, weil auch ein Vierzackstern von Daimler-Benz als Marke geschützt war.

    So besann man sich auf die Wartburg, das geschichtsschwangere Bauwerk, das auf Eisenach herabblickt, und das Autos aus der Stadt schon vor dem Krieg den Namen gegeben hatte. Passenderweise waren es ein Vorkriegsfahrgestell mit einem Vorkriegsmotor, auf die sich auch das Nachkriegsmodell stützte, doch die Karosserie konnte sich in Punkto Linienführung und Platzangebot jederzeit mit der Westkonkurrenz messen.

    Noch moderner war der Wartburg 353, der 1966. Wo im Westen Opel und Ford kurz zuvor noch im berühmten "Gelsenkirchener Barock" geschwelgt hatten, da kam der Wartburg 353 in einem schlichten, funktionalen Blechkleid daher, das der Westkonkurrenz um fast zehn Jahre voraus war. Und wäre es nach den Autobauern gegangen, dann hätte der 353 auch einen zeitgemäßen Viertaktmotor bekommen, den gab es nämlich schon 1957: Man hat natürlich schon von Anbeginn an versucht, den Wartburg mit einem Viertaktmotor zu versehen, so dass schon 1957 ein wassergekühlter Vierzylinder-Boxermotor auf Viertaktbasis gebaut wurde, der aber, da man immer in Berlin die Genehmigung einholen musste, niemals produziert werden durfte. In den Jahren danach wurden weitere Viertaktmotoren gebaut, aber leider durften auch diese Motoren niemals zum Einsatz kommen

    Es kam auch nicht zur Wiedervereinigung, jedenfalls nicht zu der von Wartburg und Trabant. Die war Anfang der sechziger Jahre durchaus geplant, denn die Länder DDR, Tschechoslowakei und Ungarn planten einen gemeinsamen Wagen der unteren Mittelklasse, erzählt Otto Helbig vom Zwickauer Automuseum:

    Da gab es einen Vertrag mit der Tschechei und mit Ungarn, es sollte ein anderes Fahrzeug gebaut werden, nicht mehr mit der Duroplast-Beplankung, sondern aus Ganzstahl, also mit der Blechkarosserie, so dass auch die Sicherheit des Fahrzeugs besser gegeben ist, aber die Investition eines neuen Presswerkes waren so hoch gewesen, dass man gesagt hat, wir können uns das finanziell nicht erlauben, es muss der Trabant so weitergebaut werden in seiner äußeren Form wie bisher

    Es fehlte am Geld, das wurde jedenfalls behauptet, am Geld für ein neues Presswerk hier, eine neue Motorenfabrik da. Die mitteldeutsche Autoindustrie geriet langsam in einen Abwärtssog, der sich am Ende als unaufhaltsam erweisen sollte. Das lag aber nicht nur an fehlenden Finanzmitteln, sondern auch am zunehmenden Wirklichkeitsverlust der Ostberliner Führung. Die verwechselte immer häufiger Stillstand mit Stetigkeit und nahm zum Beispiel allen Ernstes die Wartezeiten beim Bezug eines Wartburg oder Trabant als Erfolgsausweis, erzählt Otto Helbig:

    Man hat immer gesagt, die Wartezeit für den Trabant ist so hoch, das Interesse ist so groß, dass Ihr den Trabant so weiterbauen könnt. Das war alles ein Trugschluss, viele mussten sich damit zufrieden geben, es gab keine Alternative

    Auch Michael Stück erlebte bei Wartburg in Eisenach, wie die Politik vielversprechende Neuentwicklungen aus ideologischen Gründen torpedierte. Noch Ende der sechziger Jahre schafften es die Eisenacher Designer, eine Karosserie zu zeichnen, die ihrer Zeit um Jahre voraus war:

    So haben im Jahr 1968 einen Vollplast-Wartburg gefertigt mit der Typenbezeichnung Wartburg 355 mit Fließheckkarosserie, der fast ein identisches Aussehen mit dem 1972 bei VW als absoluten Verkaufserfolg auf den Markt gekommenen Passat hat. Leider durfte dieses Fahrzeug auch nicht gebaut werden, da man auch dieses Fahrzeug beim ZK und im Ministerrat vorstellen musste, und dort Äußerungen gefallen sein sollen, 'das ist ein Auto für Playboys, und wir befinden uns hier in einem Arbeiter- und Bauernstaat’

    Und noch einmal, in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, rang man in Zwickau und Eisenach um Fassung, als die Nachricht kam, dass Trabant und Wartburg nun endlich, endlich, Viertaktmotoren bekommen sollten, aber nicht die, die in den Werken entwickelt worden waren, sondern Lizenzprodukte von Volkswagen. Ein Polomotor für den Trabant, ein Golfmotor für den Wartburg. Michael Stück hört man auch heute noch die Bitterkeit darüber an:

    Politiker hinter dem Rücken der Industrie": "Die Politiker haben hinter dem Rücken der Industrie diese Verträge ausgehandelt, damals die Frau Birgit Breuel als Wirtschaftsministerin von Niedersachsen, und unser Wirtschaftsminister Günter Mittag, und wir haben hier die Serienerprobung abgeschlossen gehabt mit diesen Dreizylinder-Viertaktmotoren, die sofort in die Serie hätten überführt werden können. Leider kam dann erst der Hinweis, dass man hier einen Lizenzmotor zum Einsatz bringen will.

    Die Viertakter kamen zu spät. Fast genau ein Jahr nach dem Serienanlauf des Wartburg mit Golfmotor brach das SED-Regime zusammen, und Trabants und Wartburgs rollten nach Westen und nach Süden. Den eigentlichen Todesstoß versetzte Wartburg und Trabant aber eine damals kaum beachtete Entscheidung von Bürokraten: Im Dezember 1989 beschloss die Wirtschaftsunion des Ostblocks, der so genannte Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, kurz RGW, den Handel innerhalb des Blocks zum 1. Januar 1990 auf harte Währung umzustellen. Das machte DDR-Produkte praktisch über Nacht unverkäuflich, erzählt Michael Stück:

    Durch die D-Mark war es nicht mehr möglich, unsere Exportländer damit zu beliefern, weil Ungarn, Polen, die Tschechei nicht in der Lage waren, uns mit D-Mark nun einen Gegenwert zu bringen für diese Fahrzeuge, und damit brach der Exporte für diese Fahrzeuge zusammen, und das hat das Werk nicht überlebt

    Am 10. April 1991 lief in Eisenach der letzte Wartburg vom Band, ungefähr zur gleichen Zeit in Zwickau der letzte Trabant. Doch dem Ende war ein Anfang vorangegangen: Schon am 5. Oktober 1990, ein halbes Jahr vorher, war in Eisenach der erste Opel Vectra gebaut worden, freilich nicht im Wartburg-Werk. Das lag beengt und ohne Bahnanschluss im Kern von Eisenach. Schon zu DDR-Zeiten hatte die Produktion unter der Raumnot gelitten, weshalb man 1980 im Westen der Stadt ein Presswerk errichtet hatte. Das übernahm Opel Anfang der neunziger Jahre und baute es zu einem vollwertigen Produktionsstandort aus. Altgediente Wartburg-Werker wie Michael Stück haben deshalb auch inzwischen den Abschied von ihrer alten Fabrik verwunden:

    Natürlich war erst mal eine totale Enttäuschung und Frustration da, im Großen und Ganzen ist es ja ein nahtloser Übergang gewesen, da wir ja seit 1980 versucht haben, einen Neubaustandort westlich von Eisenach schon in Besitz zu nehmen, und in diesem Bereich hat sich ja auch die Firma Opel angesiedelt, so dass eigentlich ein reibungsloser Übergang vorhanden war, aber leider nicht für die Gesamtbelegschaft, nur für zehn Prozent, aber das hat sich verbessert, weil durch die Ansiedlung von Opel natürlich auch viele andere Firmen hergekommen sind, und all die haben die Fachkräfte, die hier in Eisenach waren, in ihren Stamm mit übernommen

    Auch bei Sachsenring in Zwickau hatte man schon zu DDR-Zeiten mit der Raumnot zu kämpfen gehabt. Wie Wartburg in Eisenach produzierte man an einem Standort, um den herum sich im Laufe der Jahrzehnte die Stadt ausgebreitet hatte, so dass es keine Erweiterungsmöglichkeiten gab. Deshalb war noch vor dem Fall der Mauer ein Teil der Produktion nach Mosel nördlich von Zwickau umgesiedelt. Nach der Wende ging dieses Werk an Volkswagen. Die Niedersachsen bauten in der Folge eine Motorenfertigung auf, doch anders als in Eisenach ging das nicht mit dem Untergang des alten Werkes einher: Für das Stammwerk von Sachsenring fanden sich Investoren aus dem Westen, die Gebrüder Rittinghaus aus Westfalen, die in Zwickau einen Zulieferer für die Autoindustrie schufen. Freilich vergaloppierten sie sich dabei: Ende der neunziger Jahre erwogen sie allen Ernstes den Schritt in die Produktion ganzer Autos, was in der überbesetzten Branche einem Selbstmord gleichgekommen wäre. Im August letzten Jahres wurde das Insolvenzverfahren über Sachsenring eröffnet.

    Immerhin 650 Beschäftigte arbeiten noch bei Sachsenring in Zwickau und warten darauf, dass sich ein Käufer für das Unternehmen findet. Derweil rötet der Morgen für den Automobilstandort Zwickau: Im benachbarten Stollberg wollen Siemens und Volkswagen eine Motorenfabrik eröffnen, gaben die beiden Unternehmen Ende Januar bekannt. 600 neue Arbeitsplätze sollen dort entstehen. Der Automobilbau an den Traditionsstandorten Eisenach und Zwickau, so scheint es, wird überleben und gedeihen, denn die Produktivität in den neuen Werken ist hoch. Die Fabrik in Eisenach beispielsweise hat den niedrigsten Krankenstand von allen Opel-Standorten, was Harald Lieske, der dortige Betriebsratsvorsitzende, mit der DDR-Tradition erklärt:

    Wir haben gelernt, zusammenzuhalten um zu überleben, von daher ist es auch ein Wurzeln in der Vergangenheit. Neu ist das Gefühl, dass man eine neue Zukunft gründen konnte, das sehen die Mitarbeiter nach wie vor, und ich denke, dass deshalb ein sicherer Arbeitsplatz nach wie vor ein hohes Gut ist, das man sehr ernst nimmt, und für das man auch bereit ist, am Arbeitsplatz zu sein, und ich denke, dass das auch einer der Gründe ist, warum wir hier ein niedrige Abwesenheit haben

    Und Michael Stück ist der Meinung, dass die Autoindustrie der DDR vom Know-How her jahrzehntelang der Konkurrenz im Westen ebenbürtig und sogar überlegen war. Dass sie nicht die gleiche Qualität liefern konnte, erklärt er so:

    Unsere Gesamtindustrie war ja nun recht schwach bezogen auf Werkzeugmaschinen, auf Presswerkzeuge und so weiter, weil man all diese Maschinen, die wirklich positiv waren, ja gleich wieder für Devisen ins Ausland geliefert hat. Und so haben wir immer wieder nur die Möglichkeit gehabt, auf Material zurückgreifen zu können, auf Maschinen und so weiter, die nicht dem allerletzten Stand entsprachen, und das schlägt sich eben auch auf die Endprodukte nieder, die dann hier als Pkw vom Band gelaufen sind.

    Und nun also Porsche in Leipzig, und BMW bald auch. Lässt die Historie den Schluss zu, dass die Autostadt Leipzig ein Erfolg werden muss? Politiker wie Leipzigs Oberbürgermeister Tiefensee hätten das gerne. Sie sehen die Investitionen der Westkonzerne als eine Art Leuchtturm, der andere Produzenten nach Leipzig locken soll. Wissenschaftler sind da nüchterner, Professor Martin Rosenfeld beispielsweise. Er arbeitet am Institut für Wirtschaftsforschung im benachbarten Halle:

    Einen gewissen Leuchtturmeffekt würde ich schon sehen. Nur, ob sich so viele Zulieferbetriebe hier ansiedeln, wie man sich das verspricht, da bin ich nicht so sicher. Der Automobilbau hat in Leipzig nicht die Tradition wie in Zwickau oder auch in Eisenach, und von daher kann man nicht sicher sein, dass hier so viele Zulieferer schon vorhanden sind, dass hier sich ein großer Beschäftigungseffekt bei denen ergeben wird, es kann auch sein, dass manche Vorprodukte nach wie vor aus Bayern oder dann von anderen Standorten aus nach Leipzig geliefert werden.

    Rosenfeld ist aber skeptischer, wenn es um die Vision von einer Autostadt Leipzig geht. In der Messestadt fehlt es an der Tradition, und das heißt auch: an Zulieferbetrieben.

    Ein ähnliches Wagnis ist auch die Landeshauptstadt Dresden eingegangen mit dem bisher einmaligen Versuch einer Gläsernen Manufaktur im Automobilbau. Das neue Flaggschiff von Volkswagen, der Phaeton, wird quasi mitten in der Stadt gebaut unter den Augen der Kunden. Dabei setzt Volkswagen gezielt auf zwei Traditionen: die des Automobilbaus in Sachsen und auf die Tradition der Manufakturen, wie die des Porzellans in Meissen oder die der Uhren in Glashütte.

    Montage in präziser und exklusiver Handarbeit, wie Volkswagen das nennt. Die Arbeiter in weißen Handschuhen und nur dort von Robotern unterstützt, wo das Bild der Maschine dem des Menschen nicht im Wege steht. 150 Autos pro Tag rollen in Dresden vom Band, bzw. werden geparkt im gläsernen Turm, dem Wahrzeichen des neuen Werks. 186 Millionen Euro hat sich das Volkswagen kosten lassen.

    Für Sachsen verringerte sich so die Gefahr, dass ein Standort zu einseitig auf eine einzige Branche setzt. So verteilen sich die neuen ostdeutschen Autostandorte auf verschiedene Städte, das ist besser, so meint Rosenfeld, als eine Autostadt, die es heute nicht mehr gibt. Ein mahnendes Beispiel:

    Wenn man an Städte denkt wie Bremen, wo zu Beginn der sechziger Jahre Borgward eine große Zukunft vor sich zu haben schien, und dann alles dort außer dem Daimler-Benz-Werk weggebrochen ist, dann kann man schon skeptisch sein, ob eine Stadt zu sehr auf so einen einzelnen Bereich setzen sollte.

    Und so arbeiten in Dresden gerade einmal 800 Menschen an einem hoch spezialisierten Standort, 2500 noch einmal in den Zulieferbetrieben, aber die sächsische Landeshauptstadt macht sich nicht abhängig von einer Branche, sondern gewinnt auch touristisch, einem wahrlich neuen Aspekt der Automobilproduktion. Seit einem Jahr ist die Manufaktur öffentlich zugänglich und wenn sich der Standort einmal nicht mehr rechnen sollte, dann bleibt keine Industriebrache zurück, sondern ein 22 Meter hoher Glaskasten aus 4300 Scheiben, die beiden Flügel der Halle messen am Straßburger Platz jeweils 145 Meter. Ein gigantischer Phönix aus der Asche der ostdeutschen Autobauer.