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Vom Traum zum Alptraum

Regelmäßig stranden afrikanische Flüchtlinge an den Küsten Maltas. Dort leben die meisten in eigens eingerichteten Internierungslagern unter menschenunwürdigen Zuständen. Zudem wächst die Ausländerfeindlichkeit im Inselstaat. Bei der Europäische Union stößt inzwischen die Flüchtlingspolitik Maltas zunehmend auf Kritik.

Von Jörg Seisselberg | 14.08.2007
    Das Mittelmeer wirkt an diesem Tag wie ein tiefblaues, glatt gestrichenes Tuch. Vor der Küste Maltas kreuzt das Such- und Rettungsboot Melitta 1. Mit gedrosselter Kraft gleitet das Schiff der maltesischen Marine über die ruhige See. Major Ivan Consiglio lauscht auf der Kommandobrücke dem Funkverkehr. Der Offizier und seine Männer wissen: Wenn das Mittelmeer so einladend ruhig daliegt, machen sich hinter dem Horizont, vor allem an der Küste Libyens, hunderte Flüchtlinge auf den Weg Richtung Europa. Meist sind die Boote, auf denen sie sich für mehrere 1000 Dollar einen Platz erkauft haben, kaum seetüchtig. Wenn das Wetter umschlägt, geraten die Flüchtlinge in Lebensgefahr. Erst vor kurzem hat die Besatzung der Melitta 1 mehr als zwei Dutzend Afrikaner aus Seenot gerettet:

    "Uns wurde mitgeteilt, wo sich das Flüchtlingsboot aufhielt. Als wir ankamen, drang bereits Wasser ins Boot. Unsere Männer mussten sehr rasch handeln und konnten alle 25 Menschen retten. Wenn wir dank Gottes Hilfe nicht so schnell gewesen wären, wären diese armen Menschen wahrscheinlich ertrunken. Die meisten kamen aus Schwarzafrika, hatten nie zuvor ein Boot gesehen und wurden dann mitten auf dem Mittelmeer allein gelassen."

    Wie der "Traum von Europa" auf dem Mittelmeer zum Alptraum werden kann, hat auch Wasimi erlebt. Der 28 Jahre alte ehemalige Sprachenstudent stammt aus dem bitterarmen, von Bürgerkriegen geschüttelten Somalia und hat es vor einigen Jahren bis nach Malta geschafft. Im Hafen von Marsa lehnt er schüchtern lächelnd an einer Hauswand. Seine lachenden Augen verdunkeln sich, als er mit leiser Stimme von den Tagen seiner Überfahrt erzählt:

    "Es war schrecklich. Wir waren fast sechs Tage auf dem Boot. Vom zweiten Tag an waren unsere Vorräte zu Ende, auch das Benzin. Wir trieben auf dem Meer."

    Die Menschenschlepper, sagt Wasimi, hätten ihnen nur die grobe Richtung genannt, in die sie fahren sollten. Vielleicht seien sie vom Kurs abgekommen, vielleicht sei zu wenig Benzin im Tank gewesen – plötzlich waren er und die über 20 anderen Menschen an Bord hilflos der Naturgewalt des Meeres ausgeliefert. Er habe Angst um sein Leben gehabt, sagt Wasimi, aber noch mehr Angst davor, nach Afrika zurück zu müssen.

    Malta, Luqa Airport. Über eine Million Touristen, vor allem aus Großbritannien, Italien und Deutschland, landen jedes Jahr auf dem kleinen, modernen Flughafen im Südosten der Insel. Die mediterrane Architektur des Terminals ist angenehm, die glänzenden Granitböden und Wände aus Glas und Stahl vermitteln einen Hauch von Luxus. Den Besuchern, die Geld ins Land bringen, zeigt sich Malta bei der Ankunft von seiner besten Seite.

    Wo die anderen, die mittellosen Einwanderer aus Afrika landen, ist beim Anflug zu sehen. Links der Start- und Landepiste steht ein sandfarbener Backsteinklotz inmitten einer trostlos staubigen Landschaft: die Safi-Kaserne, die Maltas Regierung seit Jahren als Internierungslager für Flüchtlinge nutzt. Das Gebäude mit den dicken Mauern, abgesperrt durch einen Drahtzaun und patrouillierende Soldaten, ist Endstation für alle, die nicht als wohlhabende Touristen mit dem Flugzeug aus Europa kommen. Auch Wasimi, der scheue Student aus Somalia, landete im Internierungslager, nachdem die maltesische Marine ihn aus Seenot gerettet hatte:

    "Am Anfang waren wir so glücklich, dass wir überlebt hatten und gerettet wurden. Aber später waren wir schockiert, als man uns internierte. Das Leben in diesen Internierungslagern ist etwas, das sich niemand vorstellen kann. Es war schrecklich. Ich werde das nie in meinem Leben vergessen. Weil es etwas war, was ich nicht erwartet hatte. Ich dachte, Europa ist ein Ort, wo Menschen- und andere Rechte respektiert werden. Es war ein Schock für mich."

    Schockiert war auch eine Untersuchungskommission des Europäischen Parlaments. Nach einer Kontrolle im März vergangenen Jahres urteilten die Abgeordneten aus Brüssel: Die Situation in Maltas Internierungslagern sei "unakzeptabel für ein zivilisiertes Land". Wasimi wurde hier mehrere Monate festgehalten:

    "Wir wurden eingesperrt. Wir waren mehr als 50 Menschen in einem kleinen Raum ohne irgendeine Toilette. Da können Sie sich vorstellen, was für ein Leben das ist. Noch dazu bei diesem Wetter, das häufig sehr heiß, aber auch kalt sein kann. Ich weiß nicht, was ich sagen soll: Es war schrecklich."

    Außer den Abgeordneten des Europäischen Parlaments hat bislang kaum einer hinter die Kulissen der Internierungslagers auf Malta schauen dürfen. Wünsche von Journalisten, die hermetisch abgeriegelten Lager zu besuchen, werden von Maltas Behörden ohne Ausnahme abgeschmettert. Pater Paul Pace vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst, ein bedächtiger Geistlicher mit wachem Blick hinter einer großen Brille, ist einer der wenigen, der regelmäßig Zutritt hat. Der Jesuit sagt: Die Situation in den Lagern sei nicht menschenwürdig:

    "Die Menschen leben dort in völlig überfüllten Räumlichkeiten. Hunderte Menschen sind in Zelten untergebracht – bei großer Hitze im Sommer sowie Kälte und Regen im Winter. Männer und Frauen sind zusammen, verheiratete und unverheiratete. Wasch- und Toilettenräume sind teilweise in einem schlimmen Zustand. Diese Menschen leben unter Bedingungen, die nicht akzeptabel sind für einen demokratischen Staat, der Mitglied der Europäischen Union ist."

    Zwischen den Flüchtlingen, unter denen auch Kinder sind, laufen Ratten. Weil die Eingesperrten sonst kaum mit anderen Lebewesen in Kontakt kommen, halten sich einige von ihnen die gefährlichen Nager quasi als Haustiere. Bis zu 18 Monaten, erzählt Pater Pace, halte Malta die Flüchtlinge unter diesen Bedingungen fest:

    "Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern sperrt Malta jeden ein, der ankommt. Wir haben einige Flüchtlinge, die seit zehn, elf Monaten hier sind und noch nicht von den Behörden zu ihrem Asylanliegen befragt wurden. Das heißt, sie werden zehn, elf Monate ihrer Freiheit beraubt und warten nur darauf, befragt zu werden."

    Malta, heißt es im Bericht der Europaabgeordneten, "verweigert de facto das Recht auf Asyl". In keinem anderen Land der Europäischen Union werden Flüchtlinge so hart behandelt. Kein anderes EU-Land steckt sie bis zu 18 Monate in Internierungslager. Kein anderes EU-Land legt das Schicksal der Flüchtlinge in der Hand der Armee. Die Soldaten bewachen das Internierungslager nicht nur, sondern verwalten es auch. Pater Pace schüttelt darüber den Kopf:

    "Wir finden, das ist sehr schwer zu akzeptieren und zu verstehen. Wir erkennen an, dass es nachvollziehbare Sicherheitsbedenken gibt. Aber unserer Ansicht nach muss dies von der Leitung dieser Internierungslager getrennt werden. Die Armee müsste für die externe Sicherheit zuständig sein, also kontrollieren, wer rein- und rausgeht. Aber die Leitung der Internierungslager – vor allem angesichts der Tatsache, dass es sich hier nicht um Kriminelle handelt – müsste, wie in anderen Ländern, in der Hand von sozialen Organisationen liegen. Nicht mal die Gefängnisse in Malta werden von der Armee geleitet, sondern von einer speziellen Institution, deren Leute für diese Aufgabe ausgebildet sind."

    Die derzeitige Regelung, dass die Armee die Internierungslager führt, begründet der maltesische Innenminister Tonio Borg mit einer durch den Andrang von illegalen Einwanderern entstandenen Notsituation:

    "Wir haben keine Armee, die in der Lage wäre, nach Afghanistan zu gehen. Wir müssen unsere Armee in Notsituationen einsetzen. Und dies ist eine Notsituation. Das Problem der illegalen Einwanderung kann nicht von der Polizei alleine gelöst werden. Und deswegen ist die Armee in die Leitung der Internierungslager eingebunden. Langsam wollen wir die Armee durch zivile Internierungsoffiziere ersetzen. Die Armee bleibt aber weiter, aus Sicherheitsgründen. Aus dem einfachen Grund, dass wir nicht genügend Leute in der Polizei haben, die sich um diese Situation kümmern können. Das ist der Grund, warum die Armee dort beteiligt wurde."
    Es gebe viele Menschen, erzählt Pater Pace, die aufgrund der Internierungsbedingungen psychologische Probleme hätten. In den vergangenen Jahren soll es auch diverse Selbstmordversuche gegeben haben. Angesichts der persönlichen Geschichte vieler Flüchtlinge, sagt er, sei dies nicht verwunderlich:

    "Es sind Menschen, die vor Gefahren geflohen sind. Die Tatsache, dass diese Menschen ihr Leben riskieren und viele hundert Menschen ertrunken sind, zeigt, dass sie nicht aus Spaß herkommen, sondern weil sie verzweifelt sind. Sie kommen her, weil sie Freiheit suchen und erleben dann, dass sie in Internierungslager gesteckt werden. Sie leben in ständiger Unsicherheit, weil sie nicht wissen, was mit ihnen passiert. Es sind Menschen aus unterschiedlichen Ländern mit großen kulturellen Unterschieden auf engstem Raum zusammen. Man kann von einem Soldaten, von der Armee nicht erwarten, dass er mit derartigen Problemen umgehen kann."

    Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, für den Pater Pace arbeitet, engagiert sich seit fünf Jahren in den Internierungslagern auf Malta. Die Jesuiten sind die einzigen Sozialarbeiter, die Zugang zu den eingesperrten Flüchtlingen haben. Sie kümmern sich darum, dass Kranke von Ärzten behandelt werden, bieten psychologische und geistliche Hilfe und stehen Flüchtlingen zur Seite, wenn sie ihre Asylanträge stellen. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst ist weltweit in über 50 Staaten aktiv. In kaum einem dieser Länder muss die Organisation mit so schweren Anfeindungen leben wie in Malta.

    Obwohl Pater Pace und seine Helfer keine Politik, sondern Sozial- und Seelsorgearbeit betreiben, haben sie sich den Zorn rechtsradikaler Gruppen zugezogen. Im Windschatten einer harten Regierungspolitik gegen Einwanderer haben radikale Parolen gegen Flüchtlinge Konjunktur auf Malta. Die Aggressionen entladen sich nicht nur in Worten. Mehrfach, erzählt Pater Pace, sei die katholische Sozialorganisation im tiefkatholischen Malta Ziel von Anschlägen gewesen:

    "Es gab drei oder vier Vorfälle. Im November 2005 wurden zwei Autos angezündet, die in der Nähe eines Jesuitenhauses standen. Im März 2006 wurden sieben Autos angezündet. Sie gehörten einer jesuitischen Gemeinschaft. Und kurz danach, im April vergangenen Jahres, wurden nachts das Auto der Anwältin des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes und die Tür ihres Hauses angesteckt. Zu diesem Zeitpunkt schliefen sie, ihr Ehemann und ihre zwei Töchter gerade. Wegen all dieser Verbrechen ist bislang niemand angeklagt worden."

    Maltas Regierung bestreitet, dass es auf der Insel verbreitet Ausländerfeindlichkeit gibt. Die harte Linie gegen die Flüchtlinge gibt der Innenminister vor. Tonio Borg, ein freundlich lächelnder Mann mit fleischigen Wangen und stets korrektem Seitenscheitel, residiert in der Auberge D’Aragon, einem Backsteinbau aus dem 16. Jahrhundert. Der Amtssitz des Innenministeriums liegt am Rande der Festungsstadt Valletta und bietet einen grandiosen Ausblick auf die Hafenpromenade Sliemas. Mehr als hundert Jahre wurde das Gebäude von den Johanniterrittern genutzt, die als Gründungsväter des Inselstaates gelten und Malta Ende des 16. Jahrhunderts gegen die Invasion der Türken verteidigt haben.

    Innenminister Borg, Mitglied der regierenden konservativen Partei, sieht Malta heute einer neuen Invasion ausgesetzt – der Invasion illegaler Einwanderer aus Afrika. Allein seit Beginn des Frühjahrs sind nach Angaben der maltesischen Behörden mehrere hundert Flüchtlinge auf der Insel gelandet. Für größere Länder mag dies gering erscheinen, sagt Minister Borg. Für das kleine Malta dagegen, mit seinen 370 000 Einwohnern, sei eine derartige Zahl an Flüchtlingen eine immense Belastung.

    "Zum Beispiel haben wir im vergangenen Jahr fast 2000 Flüchtlinge aufgenommen. Das ist umgerechnet so, als wenn in Deutschland 400 000 Flüchtlinge ankommen. Stellen Sie sich vor, welche Krise das in Deutschland provozieren würde. Malta braucht Europas Hilfe, um mit dem Problem fertig zu werden",

    sagt Borg.

    Daher fordert die Regierung in Valletta von Brüssel, die so genannte "Dublin-II-Verordnung" zu kippen. In diesem Abkommen ist vorgeschrieben, dass jeder Asylsuchende nur in einem Staat der EU einen Asylantrag stellen darf und damit faktisch jedes Land für die bei ihm ankommenden Flüchtlinge allein zuständig ist. Malta möchte dies ändern und einen Großteil der auf der Insel gestrandeten Flüchtlinge in andere europäische Länder verteilen. "Burdensharing", Lastenteilung lautet das Zauberwort.

    Auf Malta gibt es kaum Kritik am harten Kurs der konservativen Regierung gegen Flüchtlinge. Die oppositionelle Labour Party vertritt fast die selbe Linie – und spiegelt damit wider, was offensichtlich die Mehrheit der Bevölkerung denkt. In Umfragen sagen 70 Prozent der Malteser, illegale Einwanderung sei das derzeit größte Problem im Land. Auf diesem Nährboden wächst derzeit eine neue Partei. Die "Nationale Aktion" verspricht den Maltesern einen noch härteren Kurs gegen Flüchtlinge.

    Nach Einschätzung politischer Experten auf der Insel könnte die offen ausländerfeindliche Partei bei den wahrscheinlich im kommenden Jahr stattfindenden Wahlen bis zu 17 Prozent erreichen und damit erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs das maltesische Zwei-Parteiensystem aus Konservativen und Labour Party knacken. "Nein zu weiteren Flüchtlingen": Das ist die zentrale Parole des populistischen Parteiführers Josie Muscat. Das ehemalige Mitglied der Konservativen, von Beruf Arzt, gibt sich im Interview in der Hotellobby freundlich. Beim Thema Einwanderung schlägt er allerdings einen scharfen Ton an:

    "Es ist zu einem riesigen Problem geworden. Jeden Tag wird es drängender, weil jeden Tag illegale Einwanderer auf die Insel kommen. Wir vergleichen diese Situation mit der eines Busses, der voll ist. Wenn Sie dort noch mehr Menschen hinein nehmen, dann wird es für die anderen Passagiere gefährlich. Und genau das passiert zur Zeit in Malta."

    Mit dieser Art der Ausländerfeindlichkeit steht Muscat nicht allein da. Rund 90 Prozent aller Malteser, so das Ergebnis einer anderen Umfrage, würden niemals neben einem Moslem wohnen wollen. Zwar war in diesem Jahr kein Einwanderer in irgendeine schwere Straftat auf Malta verwickelt – trotzdem herrscht eine weit verbreitete Furcht vor Flüchtlingen.

    Herman Grech kann über derartiges Gerede, das derzeit überall auf Malta zu hören ist, nur den Kopf schütteln. Der gebürtige Malteser arbeitet für die angesehene Zeitung "Times of Malta" und gilt auf der Insel als einer der führenden Experten zum Thema Einwanderung. Mit ungläubigem Staunen verfolgt er, wie sich unter seinen Landsleuten Rassismus breit macht:

    "Ich beschäftigte mich mit dem Thema illegale Einwanderung seit mindestens fünf Jahren. Und ich beobachte, dass sich diese einst hilfsbereite Gesellschaft, die offen dafür war, jeden zu unterstützen, der in Not hierher kam, langsam zu einer fremdenfeindlichen Gesellschaft entwickelt. Ich muss leider sagen, dass Malta seit ungefähr einem Jahr ziemlich rassistisch geworden ist. Das ist ein bisschen merkwürdig für ein Land, das als eines der katholischsten der Welt gilt."

    Der wachsende Rassismus im Land entlädt sich auch gegenüber Journalisten. Nicht nur der Flüchtlingsdienst wurde Opfer von Gewalttaten, im vergangenen Jahr gab es auch Brandanschläge auf Autos und Häuser von Zeitungsreportern, die über Flüchtlinge berichtet hatten. Times-Journalist Grech wird zur Zeit von einer rechtsradikalen Gruppe bedroht, die Polizei ermittelt.

    Die Gewässer zwischen der Felseninsel und der libyschen Küste kontrolliert die Marine des kleinsten EU-Mitgliedslands fast alleine. Seit Juni unterstützen sie für einige Wochen Hubschrauber und zwei Schiffe aus anderen EU-Staaten, ansonsten ist Malta auf sich allein gestellt. Die maltesische Flotte mit ihren insgesamt neun Booten wird gelenkt von Marinekommandeur Martin Cauchi-Inglott. In seiner weißen Uniform sitzt der Offizier in der Messe der Marinebasis, die sich an einen Felsen am Rand der Hauptstadt Valletta drängt. Viele, die Maltas Marine wegen angeblich nicht sehr engagierter Such- und Rettungsarbeit kritisierten, sagt Cauchi-Inglott, könnten sich nicht vorstellen, welchen Job seine Männer draußen auf dem Meer leisteten:

    "Es ist eine sehr angespannte Situation, wo jeder sein Äußerstes gibt, um Einwanderer davor zu bewahren, zu ertrinken. Wenn die Einwanderer Lebensrettungswesten tragen, ist die Situation unter Kontrolle. Aber wir hatten Fälle, in denen wir keine Chance hatten, ihnen Lebensrettungswesten zu geben und sie direkt auf unser Patrouillenschiff zusteuerten, sobald sie uns sahen und das Einwandererboot dadurch ins Schwanken geriet. Da haben unsere Matrosen mehrfach großen Mut gezeigt, indem sie ins Wasser sprangen, als sie sahen, dass Einwanderer drohten unterzugehen. Das ist eine ziemliche Heldentat, in einer Situation, wo zwanzig oder mehr Einwanderer in Panik im Wasser um dich herum sind. Aber trotzdem sind Matrosen ins Meer gesprungen, um sie zu retten. Sie haben sie auch mit Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbelebt, als sie schon nicht mehr atmeten."

    Heldentaten wie diese sind die eine Seite der Wirklichkeit. Über die andere reden die Malteser weniger gerne: Das EU-Mitgliedsland sitzt international auf der Anklagebank, weil die Regierung in Valletta zu häufig wegschaut, wenn Flüchtlinge im südlichen Mittelmeer in Lebensgefahr sind. Anfang Juni gingen Bilder von Flüchtlingen um die Welt, die Schiffbruch erlitten hatten und sich verzweifelt an Thunfischfangnetze klammerten. Statt zur Hilfe zu eilen, überließ Malta die Rettung der in Todesgefahr schwebenden Afrikaner einer italienischen Schiffsbesatzung. Die Begründung aus Valletta: Der Fall habe sich außerhalb des maltesischen Zuständigkeitsgebiets in libyschen Gewässern abgespielt. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl nennt Maltas Verhalten "eine Schande". Brüssel ermahnt sein kleinstes Mitgliedsland, ein derart demonstratives Desinteresse an der Rettung von Flüchtlingen dürfe nie wieder vorkommen.