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Vom Versand- zum Online-Riesen
Der schwierige Wandel des Otto-Konzerns

Am 4. Dezember erscheint der letzte gedruckte Otto-Katalog. Mit dem Aus des papierenen Katalogs geht die analoge Ära des Konzerns endgültig zu Ende. In kaum einer Branche vollzieht sich die Digitalisierung derzeit so rasant wie im deutschen Handel. 

Von Katja Scherer | 02.12.2018
    Ein Otto-Katalog liegt in einer Druckerei in Nürnberg auf weiteren Otto-Katalogen
    Der letzte Otto-Katalog ging am 22. November 2018 in Druck (picture alliance/ dpa/ Nicolas Armer)
    Rund 250 Frauen und Männer haben sich an einem Oktobertag bei der Hamburger Otto Gruppe versammelt. Es läuft leise Popmusik, das Licht im Tagungsraum ist abgedunkelt, nur auf der Bühne leuchtet ein wandgroßer Bildschirm. Dann betritt Konzernchef Alexander Birken das Podium:
    "Ich freue mich wirklich sehr, und nochmal herzlich willkommen an alle, die hier sind aus der OTTO-Gruppe, außerhalb der OTTO-Gruppe."
    Birken, Chef von gut 50.000 Mitarbeitern weltweit, trägt ein Sakko, eine eng sitzende Jeans und Sneakers aus hellbraunem Wildleder. Er benutzt Wörter wie "cool" und wird von seinen Kollegen mit "Alexander" angeredet. Der 53-Jährige hat seinem Unternehmen einen so genannten Kulturwandel verordnet – und fängt damit direkt bei sich selbst an:
    "Wir müssen flexibler werden, wir müssen agiler werden, müssen transparenter werden. Wir müssen mehr Risiken eingehen, mutiger werden, wir müssen anders zusammenarbeiten und wirklich ganz konsequent auf den Kunden unsere Services ausrichten."
    Ein historischer Einschnitt steht bevor
    Denn der Otto-Konzern steckt mitten in einem schwierigen Wandlungsprozess: weg vom traditionellen Versandhändler hin zu einem internationalen Digitalkonzern, der mit US-Riesen wie Amazon mithalten will – und muss. Ein Kraftakt für das Unternehmen. In diesen Tagen steht dem Konzern dabei ein historischer Einschnitt bevor: Zum letzten Mal nach 68 Jahren wird am Dienstag der Otto-Katalog versendet. Danach wird der Druck des Hauptkatalogs eingestellt. Für das Unternehmen gehe damit eine Ära zu Ende, sagt Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Centers an der Hochschule Niederrhein:
    "Dinosaurier sterben irgendwann, und so ist es auch mit dem Hauptkatalog. Man muss auch sagen, Hochglanz auf 1.200 Seiten dient auch nicht der Umwelt und ist unendlich teuer, es ist ein Kostenfaktor, den die Katalogversender auch gar nicht mehr tragen können."
    Denn auch wenn viele Menschen beim Namen "Otto" intuitiv noch immer an den dicken Wälzer mit roten Lettern auf dem Cover denken – genutzt wurde der Katalog zuletzt kaum noch: Rund 97 Prozent der Otto-Kunden bestellen inzwischen online am PC oder per App; nur noch drei Prozent per Katalog. De facto hat sich Otto also schon längst vom Versand- zum Onlinehändler gewandelt – und gilt damit als Vorbild für die gesamte Branche. Dennoch: Dass der Otto-Katalog nun abgeschafft wird, bleibe für den Konzern ein großer Schritt, sagt Marc Opelt, Vorstandschef der Konzernmarke Otto bei der Otto-Gruppe.
    "Die Liebe und die Aufmerksamkeit, die dem Hauptkatalog entgegengebracht wurden, die war natürlich enorm! Weil - wenn der Katalog erst einmal draußen war, dann lief der ein halbes Jahr."
    Eine Ausgabe des Otto-Katalogs aus dem Jahr 2006
    Eine Ausgabe des Otto-Katalogs aus dem Jahr 2006 (imago)
    Opelt arbeitet seit 1990 im Konzern und hat die Hoch-Zeiten des Kataloggeschäfts noch miterlebt: Welches Modell soll dieses Mal das Titelblatt zieren? Aus welchem Winkel lässt sich ein Fernseher am besten in Szene setzen? Und welchen Preis wird wohl die Konkurrenz dafür nehmen? Solche Diskussionen gehörten früher zum Tagesgeschäft, erinnert sich Opelt:
    "Situationen, wo man bereit war, auch mal einen Druckvorgang zu stoppen, um dann im letzten Moment den Preis um damals noch wahrscheinlich zehn D-Mark oder so runterzusetzen."
    Denn die Kataloge galten damals als die Aushängeschilder der Versandunternehmen. Begonnen hatte der Aufstieg des Versandhandels in den 50er Jahren. Bei Otto damals – wie später bei Zalando – mit Schuhen. Schnell wurden im Otto-Katalog aber auch Aktentaschen, Fahrräder und Elektrogeräte angeboten. Kunden wurden mit dem Prinzip der Sammelbestellung angelockt: Wer für Nachbarn, Freunde und Verwandte mitbestellte, erhielt fünf Prozent Rabatt:
    "Allein geht es. Gemeinsam geht's besser – besser – besser. Gemeinsam bestellen ist ideal. Natürlich beim Otto-Versand – Otto Versand Hamburg."
    Die mehrere hundert Seiten dicken Kataloge wurden schnell zu einem Symbol der Wirtschaftswunderjahre. Top-Models wie Heidi Klum, Gisele Bündchen und Claudia Schiffer zierten später die Cover. In der DDR waren die Hefte als Schmuggelware begehrt. Der Otto-Konzern galt damals gerade bei der jungen Generation als hip und setzte unter anderem mit dem Bei-Katalog "Post-Shop" neue Modetrends:
    "Post-Shop: Jung, schick – Post-Shop – Gleich Magazin kommen lassen vom Post-Shop, Hamburg 13 – Post-Shop"
    Der Todesstoß für die Katalogversender
    Mit der Ausbreitung von Fachhändlern wie Media Markt und H&M in den achtziger Jahren wurde das Geschäft für die klassischen Versandhändler allerdings schwieriger. Die Fachgeschäfte boten ihren Kunden schicke Läden vor Ort - und in bestimmten Kategorien vor allem eine weit größere Auswahl. Die deutsche Einheit brachte den Versandhändlern dann zwar noch einmal neue Kunden, aber als sich in den 90er-Jahren das Internet ausbreitete, war das für die Katalogversender der Todesstoß, sagt Handelsexperte Gerrit Heinemann:
    "Den klassischen Versandhandel gibt es eigentlich gar nicht mehr. Im Grunde ist der Versandhandel fast vollständig vom Online-Handel substituiert, und die alten Versandhändler, die es noch gibt – einige gibt's ja schon gar nicht mehr – die sind quasi transformiert zu Onlinehändlern."
    Dass Otto, anders als Quelle und Neckermann, den Aufstieg der Fachhändler und später von Amazon, Zalando und Co. überlebt habe, sei vor allem auf eine Eigenschaft des Unternehmens zurückzuführen, ergänzt Martin Fassnacht, Professor für Handel an der Otto Beisheim School of Management:
    "Ich glaube, dass die Otto Group generell offen war, auch Geld hatte, in neue Bereiche zu investieren, und konsequent auch einen neuen Weg im E-Commerce begangen hat."
    Das Logo vom Onlinehändler Zalando auf dem Firmensitz in der Mühlenstraße in Berlin
    Die junge Konkurrenz ohne analoge Altlasten wächst schneller (picture alliance / Jens Kalaene)
    Schon 1995, also noch bevor Amazon in Deutschland auf den Markt kam, startete das Versandhaus Otto seinen ersten Online-Shop. Gleichzeitig legte das Unternehmen seinen gedruckten Katalogen CD-Roms bei, um Kunden Schritt für Schritt ans digitale Bestellen heranzuführen:
    "Am Anfang war das ja eigentlich nur ein Projekt, das waren die neuen Medien, und da haben wir mit verschiedenen Möglichkeiten immer experimentiert. Aber das waren halt Projekte."
    Erinnert sich Otto-Chef Marc Opelt. Wie schnell diese Projekte dann das gesamte Versandgeschäft ablösen würden, ahnte damals wohl kaum jemand. Dabei brachte Otto – theoretisch zumindest – beste Voraussetzungen mit, um im Internet durchzustarten. Denn schon damals verfügte die Otto-Gruppe mit Hermes über einen eigenen Logistikdienstleister; dazu kamen eine starke Marke und unzählige Kundendaten. Martin Fassnacht von der Otto Beisheim School of Management sagt daher:
    "Wenn man es mal ganz historisch sieht, hätte Otto Amazon sein können."
    Hat der Konzern also, rückblickend betrachtet, seine große Chance verschlafen? In der Theorie wirke dieser Gedanke zwar logisch – praktisch aber habe sich diese Denkweise als gefährlicher Trugschluss erwiesen, sagt Gerrit Heinemann vom eWeb Research Center an der Hochschule Niederrhein. Ein Trugschluss, der Quelle und Neckermann sogar ihr Geschäft gekostet habe:
    "Weil man wirklich dachte, im Backoffice muss alles stehen, und vorne brauche ich jetzt nur irgendwo einen digitalen Katalog. Also sahen die Online-Shops im Grunde aus wie ein digitaler Katalog, aber haben im Grunde ja den gleichen Nachteil aus Kundensicht im Angebot gehabt: nämlich ganz viele unterschiedliche Warengruppen mit ganz wenig Auswahl – und genau das Gegenteil brauche ich eigentlich im Online-Handel."
    Ruhe hat den Konzern gerettet
    Quelle und Neckermann setzten zudem auf schnellen Wandel: Quelle stellte seinen gedruckten Katalog bereits 2009 ein, Neckermann folgte 2012 – Entscheidungen, die damals viele Kunden verprellten. Otto dagegen ließ sich Zeit, entwickelte sukzessive das Online-Geschäft weiter, während der Katalog weiterhin alle sechs Monate in die Briefkästen kam. Diese Ruhe habe den Konzern gerettet, meint Gerrit Heinemann.
    "Weil die Transformation zu einem Online-Händler, die geht nicht von heute auf morgen oder per Befehl. Von A nach B zu kommen, ist nicht ganz trivial."
    Noch ist auch Otto bei diesem Wandel nicht am Ziel. Aber immerhin hat es der Konzern geschafft, so viel Digitalgeschäft aufzubauen, dass die Abschaffung des gedruckten Katalogs eher Formsache ist. Das habe intern jahrelange Überzeugungsarbeit und sehr viel Fingerspitzengefühl gekostet, sagt Marc Opelt. Ein Prozess, bei dem das Unternehmen weitgehend auf sich selbst gestellt war:
    "Es gibt ja auch ehrlich gesagt, keinen Muster-Case. Es gibt niemanden, den man angucken kann und sagen kann: in der Dimension ein Unternehmen in eine digitale Zukunft zu drehen – da gibt es kein Lehrbuch, da gibt es noch nicht mal Berater. Es gibt vielleicht einige, die das behaupten, die können das. Aber wenn man genau hinschaut: Die haben das auch noch nie gemacht."
    Ein Paketbote übergibt zwei Amazon-Pakete.
    Der größte Konkurrent: Amazon (imago/STPP)
    Also tasteten sich Opelt und seine Kollegen vor, weiteten nach und nach ihren Otto-Online-Shop aus und entwickelten eine eigene Shopping-App. Parallel dazu trieb die Führungsspitze den Wandel des Gesamtkonzerns voran. Schon seit 2008 investiert die Otto Gruppe über ihre Tochter e.ventures in junge digitale Start-ups. Sie hat neue Online-Portale wie die Schnäppchenseite discount24.de gegründet und ist an Unternehmen wie dem Spielzeugversand MyToys beteiligt. Inzwischen hat die Otto Gruppe weltweit mehr als 120 Tochterunternehmen mit einem Gesamtumsatz von über 13 Milliarden Euro. Auch das Geschäft der Kernmarke Otto entwickle sich positiv, sagt Bereichsvorstand Opelt:
    "Wir sind mit unserem Wachstum schon zufrieden, wir wachsen jetzt das erste Mal in Folge."
    Und Handelsexperte Gerrit Heinemann sagt:
    "Also wenn Sie mich fragen würden, welcher deutsche Händler ist am weitesten bei der digitalen Transformation, die ja den gesamten Handel betrifft, vor allem den stationären, dann würde ich immer antworten, da ist die Otto Gruppe am weitesten. Aber Transformation heißt eben auch: schwieriger Weg, und der ist noch nicht zu Ende."
    Imagewandel kostet sehr viel Zeit
    Denn auch wenn das Unternehmen Otto es geschafft hat, sich zum Online-Händler zu wandeln: Amazon und Zalando, also die jungen Konkurrenten ohne analoge Altlasten, wachsen schneller. Unter anderem, weil Ottos Wandlung noch nicht allen Konsumenten bewusst sei, sagt Marketingprofessor Martin Fassnacht. Für viele stehe ‚Otto‘ nach wie vor eher für veraltete Kataloge und nicht für einen hochmodernen Online-Shop:
    "Ein Imagewandel kostet sehr viel Zeit. Das heißt, bevor Verbraucher ihre Wahrnehmung verändern, muss man relativ viel und langfristig über mehrere Jahre hinweg investieren als Unternehmen. Und das ist keine einfache Aufgabe."
    Während Otto früher als hipper Modehändler galt, verkauft das Unternehmen inzwischen vor allem Möbel und Elektronik. Kleider shoppen die Kunden online lieber beim Berliner Konkurrenten Zalando. Um dieses Geschäft zurückzuerobern, hat die Otto Gruppe 2014 die neue Konzerntochter About You gegründet. Aber auch die Kernmarke Otto müsse in Sachen Mode aufholen, sagt Gerrit Heinemann:
    "Ganz auf Fashion zu verzichten, das halte ich für gefährlich, also da ist sicherlich noch ein großes Fragezeichen. Da muss sicherlich noch Einiges passieren."
    Otto-Kataloge aus den letzten Jahrzehnten
    Otto-Kataloge aus den letzten Jahrzehnten (Markus Scholz / dpa)
    Und auch Otto-Chef Marc Opelt ist klar – um auch künftig im Wettbewerb mithalten zu können, muss Otto schneller wachsen. Der Betriebswirt will Otto.de daher vom Händler zur Plattform weiterentwickeln. Vereinfacht gesagt, will Otto also künftig nicht mehr bestimmte Waren kuratieren und weiterverkaufen, sondern einen für alle anderen Händler offenen Marktplatz anbieten:
    "Da muss man natürlich schon sagen, dass wir im Moment sehr, sehr stark damit beschäftigt sind, unseren Technologie-Teil zu überarbeiten, und in dem Moment, wo wir sukzessive die einzelnen Teile überarbeitet haben, ist bestimmt auch noch mehr drin."
    Also: mehr Kunden, mehr Umsatz. Damit das gelingt, sind allerdings enorme Investitionen in die IT-Infrastruktur nötig. Der strategische Schritt hin zur Plattform sei notwendig, aber äußerst schwierig, sagt Martin Fassnacht von der Otto Beisheim School of Management:
    "Eine relevante, große Plattform zu werden, ist eine sehr große Herausforderung, weil es schon sehr etablierte, bekannte, aus Verbrauchersicht gewohnte Anbieter gibt."
    Deutscher Markt im Fokus chinesischer Plattformen
    Und auch Zalando zum Beispiel arbeitet bereits an einer ähnlichen Strategie. Um Händler als Plattform-Partner zu gewinnen, will Otto gezielt die Schwachstellen der Konkurrenz nutzen: Auf Otto.de sollen demnach keine Produkte von südostasiatischen Händlern angeboten werden, die die Mehrwertsteuer nicht abführen. Genau das kritisieren Händler zum Beispiel immer wieder bei Amazon. Otto-Chef Marc Opelt weiß aber, um auch Käufer auf die eigene Plattform zu locken, reicht das nicht:
    "Es gibt viele Sachen, die sind unseren Endkunden nicht mehr egal, also sie wollen schon wissen, dass das verlässlich ausgewählt wurde. Aber was ganz vorne steht: eine einfache schnelle Lösung, einen verlässlichen, hohen Servicegrad, Top-Preise – das sind die Sachen, die wir bedienen müssen."
    Und genau daran arbeitet die Konkurrenz auch. Und zwar nicht nur Wettbewerber aus den USA. Seit Kurzem rückt der deutsche Markt mehr und mehr in den Fokus von chinesischen Plattformen. Das Unternehmen Alibaba etwa, 1999 gegründet, erwirtschaftete 2017 knapp 40 Milliarden Dollar Umsatz – rund 60 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die chinesische E-Commerce-Plattform JD.com setzte sogar 55 Milliarden Dollar um und hat bereits angekündigt, bald auch Ware in Deutschland zu verkaufen. Für Otto.de und auch die gesamte Otto Gruppe sei das bedrohlich, sagt Handelsprofessor Heinemann:
    "Ich war letzte Woche zufällig in China und muss feststellen, die sind auf Augenhöhe. Jetzt ein Alibaba mit AliExpress ist auch schon relativ weit im deutschen Markt; die machen über die Shopping-App schon gigantische Umsätze, jetzt kommt der JD.com eingeflogen. Also es wird nicht einfacher."
    Logo von Alibaba
    Logo des chinesischen Internet-Versandhändlers Alibaba (dpa / picture alliance / Imaginechina / Da Qing)
    Vor allem, weil die asiatische Konkurrenz radikal auf digitale Lösungen setzt. In China wird inzwischen zu großen Teilen bargeldlos per Handy-App bezahlt, in manchen Läden von JD.com gibt es kein Personal mehr. Der Kunde scannt am Ladeneingang einen Code auf seinem Smartphone und wird dann von Kameras und Funk-Chips durch den Laden verfolgt. Datenschutz? In China scheint das ein Fremdwort zu sein. Darüber hinaus dürften vor allem Smart Speaker wie Google Home oder Amazon Echo den Handel in den nächsten Jahren verändern. Schon jetzt besitzen laut Digital-Verband Bitkom bereits 13 Prozent der deutschen Haushalte ein solches Gerät.
    "Ok Google – frag Otto wo mein Paket ist. - Ok, starten wir Otto. Gut. Hier sind Informationen zu den von dir bestellten Artikeln. Der Artikel Guido Maria Kretschmer-Kleid ist gerade erst bei mir eingegangen."
    Auch Otto arbeitet an derartigen Anwendungen. Per Smart Speaker können sich Kunden über den Lieferstatus ihrer Produkte oder die Angebote des Tages informieren lassen. Darüber hinaus hat der Konzern eine App entwickelt, mit der Nutzer Möbel fotografieren können und dann automatisch ähnliche Produkte aus dem Otto-Shop angezeigt bekommen. Und auch Virtual Reality Brillen würden künftig an Bedeutung gewinnen, sagt Opelt:
    "Beim Möbelkauf, da glaube ich wird noch sehr lange Zeit das Visuelle eine große Rolle spielen. Trotzdem aber dann eben anders aufbereitet über ein Handy, oder eben man steckt das Handy in eine wie auch immer geartete Brille und fängt an, Möbelstücke – und auch das können wir ja heute schon – in die eigene Wohnung hineinzuprojizieren."
    Die Aufholjagd muss weitergehen
    Doch all diese technologischen Neuerungen zu entwickelt, kostet Geld, und die Innovationen folgen in immer kürzeren Abständen. US-Konkurrent Amazon etwa gab in diesem Jahr laut einer Studie der Strategieberatung Strategy& mehr als 22 Milliarden US-Dollar für Forschung aus – mehr als Google. Der börsennotierte Konzern arbeitet an Robotern für die eigenen vier Wände, erforscht den Einsatz von Lieferdrohnen und entwickelt kontinuierlich sein Prime-Angebot weiter. Seit Kurzem können Kunden sogar eine kostenlose Prime-Visa-Karte beantragen. Für den Otto-Konzern bedeute das, seine Aufholjagd muss weitergehen, sagt Handelsexperte Heinemann:
    "Die haben ja erkannt und sind auch mit Hochdruck dabei, diese Voraussetzungen zu schaffen, und haben da auch irrsinnig viel aufgewendet in den letzten Jahren. Aber das Thema geht nie zu Ende, Hase und Igel: Wenn ich dann so weit bin, dann sind die anderen schon wieder weiter."
    Ein Trend sei im Handel klar zu erkennen, ergänzt Marketingexperte Martin Fassnacht von der Otto Beisheim School of Management.
    "Die Anzahl der relevanten großen Player aus Verbrauchersicht wird durch die digitale Welt runtergehen, die wird sich verkleinern.
    Genau deswegen hat Alexander Birken, Vorstandschef der gesamten Otto Gruppe, nun den Kulturwandel ausgerufen.
    Er will, dass die einzelnen Konzernteile enger zusammenarbeiten, um Kosten zu sparen und neue Entwicklungen schneller umsetzen zu können. Gleichzeitig soll es weniger Hierarchien und kürzere Entscheidungswege im Konzern geben.
    Birken weiß: Dass der Otto-Katalog nun abgeschafft werden kann, ist zwar ein großer Erfolg - aber eben nur ein Zwischenschritt. Um mit der riesenhaften Konkurrenz aus den USA und künftig auch aus China dauerhaft mithalten zu können, muss Otto schneller sein, flinker, innovativer:
    "Wir stehen vor einer digitalen Revolution, die stattfinden wird. Und die Frage ist, ob wir Teil dieser Revolution sind, gestaltend Teilnehmer sind, oder vielleicht Opfer werden. Und wir haben keine Lust auf eine Opferrolle."
    Den Wettlauf gegen Quelle und Neckermann hat das Unternehmen gewonnen. Der eigentliche Kampf aber fängt gerade erst an.