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Von 9/11 bis Afghanistan
Wie Künstler mit Krieg und Terror umgehen

Darf man Krieg und Terror zum Gegenstand der Kunst erklären und damit Leid und Zerstörung künstlerisch gestalten? Ja, sagt Sanna Moore, Kuratorin der Ausstellung "Age of Terror. Art since 9/11" und präsentiert teils sehr persönliche Arbeiten internationaler Künstler im Londoner Imperial War Museum in London.

Von Friedbert Meurer | 27.10.2017
    Ein Kunstwerk von Ai Weiwei, as eine Überwachungskamera aus Marmor darstellt, in der Ausstellung "Age of Terror: Art since 9/11" im Londoner Imperial War Museum.
    Ein Kunstwerk von Ai Weiwei in der Ausstellung "Age of Terror: Art since 9/11" im Londoner Imperial War Museum. (dpa-Bildfunk / AP / Matt Dunham)
    Am von den Ausmaßen her größten Kunstwerk geht man fast vorbei, ohne es zu bemerken. Der britische Künstler James Bridle hat im Untergeschoss des Imperial War Museums die Silhouette einer US-Drohne mit Kreide gezeichnet. Der Terrorismus und der Krieg gegen den Terror liegen als Schatten über uns, lautet die Botschaft. Dieser Krieg kann überall zu jeder Zeit eintreffen, gerade auch in London.
    Mehr als nur den Schatten des Kriegs hat der syrische Künstler Hrair Sarkissian erlebt. In einer Videoinstallation zertrümmert er mit dem Vorschlaghammer das Haus seiner Familie in Damaskus, es ist nur ein Modell. Das Gebäude ist in Wahrheit bisher gar nicht zerstört worden, aber seine Angst und die der Eltern, dass es geschehen könnte, ist groß.
    Sanna Moore hat als Kuratorin der Ausstellung Wert auf Internationalität gelegt.
    "Künstler aus Irak, Afghanistan und Syrien lassen sehr persönliche Erfahrungen in ihre Arbeit einfließen. Leben und arbeiten in einem Konfliktgebiet ist erheblich anders, als es ein Künstler aus westlicher Perspektive erlebt, der auf Berichte in den Medien antwortet."
    Die Ausstellung beginnt mit Kunstwerken, die unmittelbar nach dem 11. September 2001 entstanden – eine Videopräsentation des US-Fotografen Tony Oursler aus Manhattan Minuten danach. Diese Form der Auseinandersetzung ist so unmittelbar wie die des Deutschen Hans-Peter Feldmann, der die Titelseiten von 151 internationalen Zeitungen gleich am Tag danach zusammenstellte.
    Andere Künstler ließen sich mehr Zeit, zum Beispiel Gerhard Richter mit seinem Gemälde "September", auf dem die Zwillingstürme im Moment des Angriffs schemenhaft zerfließen. In London ist nur eine digitale Kopie zu sehen, das Original hat Richter nach langem Zögern 2009 dem MoMA in New York vermacht.
    "Unmittelbar nach 9/11 gab es das Gefühl, es zeuge von schlechtem Geschmack, den Terror zum Kunstgegenstand zu machen. Gerhard Richter malte 'September' in 2005. Er präsentierte es aber zunächst nicht und überlegte sogar, ob er es überhaupt jemals zeigen wollte."
    Abgrund von Krieg und Terror
    Höhepunkt der Ausstellung "Age of Terror" in London ist aber nicht Richter und auch nicht Ai Weiwei, der eine Überwachungskamera aus weißem Marmor gestaltet hat. Es handelt sich um eine Lichtinstallation des Chilenen Iván Navarro aus dem Jahr 2011, mit dem Titel "The Twin Towers" "Die Zwillingstürme". Die erleuchteten Türme ragen nach unten wie in die unendliche Tiefe, es ist der Abgrund von Krieg und Terror.
    "Der Terrorangriff auf die Wolkenkratzer stellte eine Wasserscheide dar, auch für die Kunst. Die Welt fing an zu begreifen, dass uns Terror überall und zu jeder Zeit treffen kann. Wer nicht aus Konfliktgebieten kam, hatte einfach keine Vorstellung vom Terrorismus."
    Überwachung als Folge des Terrors
    Zur neuen Realität gehört die Überwachung. Jitish Kallat, einer der führenden modernen Künstler Indiens, hat kleine Plastikfiguren aufgereiht: Flugzeugpassagiere, die von Sicherheitsbeamten kontrolliert werden. Die Bewegungen der Figuren, wie sie abgetastet werden, erinnern Kallat an einen Tanz der Grillen, so der Titel der Skulptur. Die Abwehr gegen den Terrorismus gibt den Takt vor.
    Eine Videocollage des Israeli Omer Fast stellt einen ehemaligen Drohnenpiloten der US-Luftwaffe vor, der nicht damit fertig wird, anonym aus 5.000 Meilen Entfernung Menschen zu töten. Er leidet unter Albträumen und Schlafmangel.
    Und dann schließt der Pilot mit der Bemerkung, die das Leitmotiv von Kunst im Zeitalter des Terrors sein könnte: "Ich kann nicht abschalten, es ist immer präsent."