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Von Amöben und Menschen

Medizin.- Für Tierversuche müssen meist Mäuse oder Ratten herhalten. Dabei geht man davon aus, dass sie ähnliche Reaktionen zeigen wie wir, wenn sie mit Medikamenten behandelt werden. Doch offenbar haben auch Insekten und sogar Einzeller geradezu menschliche Eigenschaften.

Von Christine Westerhaus | 31.08.2009
    Unter Imkern ist die Wachsmotte Galeria melonella nicht gerade beliebt. Ihre Raupen fressen im Bienenstock Pollen und Wachs und ihr Kot überträgt Krankheiten. Wachsmotten können aber auch nützlich sein. An ihnen haben britische Forscher untersucht, wie sich eine für den Menschen tödliche Pilz-Krankheit im Körper ausbreitet. Normalerweise müssen Versuchstiere für solche Tests ihr Leben lassen.

    "Wir haben im Labor Wachsmotten mit verschiedenen Stämmen dieses Pilzes infiziert und die Ergebnisse mit Mäusen verglichen. Beide Organismen reagierten verblüffend ähnlich auf die Infektion, obwohl Insekten und Säugetiere stammesgeschichtlich ja sehr weit voneinander entfernt sind. Doch das Immunsystem von Insekten und Menschen ist ähnlicher, als die meisten Menschen denken."

    So Joanne Slater von der medizinischen Fakultät der Manchester Universität. An Wachsmotten den Verlauf von Krankheiten des Menschen zu erforschen, ist nicht nur ethisch unbedenklicher als Versuche mit Säugetieren – sie lassen sich auch wesentlich einfacher im Labor halten als Mäuse oder Ratten. Zudem sind Versuche mit Nagetieren komplizierter und teurer. Zwar denkt Joanne Slater nicht, dass Wachsmotten solche Versuchstiere komplett ersetzen werden. Wenn es aber darum geht, die grundlegenden Mechanismen von Krankheiten zu erforschen, sind sie ein gleichwertiger Ersatz.

    "Wir haben uns kürzlich die Anzahl der Studien angeschaut, die zu dem Krankheitsverlauf von Pilzinfektionen gemacht wurden. Wenn man die gleichen Tests mit Wachsmotten durchgeführt hätte, wäre nur weniger als die Hälfte der Versuchstiere nötig gewesen. Bestimmte Tests müssen zwar weiterhin an Mäusen gemacht werden. Doch die ganzen Voruntersuchungen - zu Fragen wie: ’Wann befällt ein Erreger den Organismus, wie reagiert er auf neue Wirkstoffe und ähnliches?’ - wären auch an Wachsmotten möglich."

    Ein noch unauffälligerer Kandidat für ein Versuchstier ist die Amöbe. Dieser Einzeller lebt im Boden und frisst am liebsten Bakterien. Professor Pierre Cosson von der Universität Genf nutzt ihn um herauszufinden, wie Bakterien unser Immunsystem austricksen.
    "Uns ist im Laufe unserer Forschungen mehr und mehr klar geworden, dass Bakterien Amöben mit den gleichen Waffen angreifen wie Menschen oder Mäuse. Sie verteidigen sich gegen Amöben, die sie fressen wollen und nutzen die gleiche Strategie, um in unseren Körper einzudringen und uns krank zu machen. Im Prinzip können wir also anstelle einer Versuchsmaus Amöben mit Bakterien infizieren und beobachten, wie die Krankheit verläuft."

    Die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Amöbe fasziniert auch Robin Williams. An der königlichen Holloway Universität in London erforscht er, warum bestimmte Wirkstoffe beim Menschen Übelkeit hervorrufen. In einer Testreihe stellte er fest, dass auch Amöben auf solche Substanzen reagieren: Sie hören auf, chemische Botenstoffe auszusenden, die ihre Artgenossen zu einer Futterquelle locken. Ob neue Wirkstoffe einen Brechreiz hervorrufen und damit als Medikament nicht in Frage kommen wird bisher an Hunden oder Spitzmäusen beobachtet. Diesen Job könnten eventuell aber auch Amöben übernehmen. Zumindest könnten sie dabei helfen, die "schwarzen Schafe” unter den Wirkstoffen frühzeitig zu erkennen.
    "Wenn wir zehn verschiedene Wirkstoffe haben, die für die Behandlung von Krebs interessant sind, dann könnten wir diese an Amöben testen. Dann bleiben vielleicht drei Substanzen übrig, die wir dann an Versuchstieren weiter erproben könnten. Wir wollen also nicht den Tierversuch ersetzen, sondern so wenig Tiere einsetzen wie möglich."