Donnerstag, 25. April 2024

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Von anonymen Geburten, Babyklappen und den Rechten der Kinder

Hier finden Sie nach der Sendung das Manuskript des Beitrags. Mitunter liegen aber die Texte nicht als Datei vor oder können aus urheberechtlichen Gründen nicht ins Internet gestellt werden. Hier finden Sie nach der Sendung das Manuskript des Beitrags. Mitunter liegen aber die Texte nicht als Datei vor oder können aus urheberechtlichen Gründen nicht ins Internet gestellt werden. Das Mädchen ist verzweifelt. Sie ist hochschwanger, vergräbt ihr Gesicht in den Armen. Dieses Plakat ist in vielen Berliner U- Bahnhöfen zu sehen. "Wir nehmen dein Kind, wenn es keiner will. Keine Fragen. Keine Namen." ist darauf zu lesen. Darunter steht eine Telefonnummer. Wer dort anruft, erfährt die Adressen der Berliner Babyklappen. Eine dieser Klappen betreibt das Krankenhaus Waldfriede im Bezirk Zehlendorf. An der Rückseite des Hospitals ist im Erdgeschoss ein Kasten montiert.

Matthias Rumpf | 13.02.2003
    Wir befinden uns hier also an der Innenseite der Babywiege. Was Sie summen hören, ist die Heizung, wir haben also warme Luft, die hineingeblasen wird in die Babywiege. Diese Babywiege wird von innen dreifach kontrolliert, das ist ein Bewegungsmelder, sobald die Tür von außen aufgemacht wird, fängt der an und startet durch. Und wir haben eine Kamera, die nur auf das Kind zeigt. Wir wollen die Mutter nicht filmen dabei. Nach eineinhalb Minuten schlägt diese Babywiege Alarm beim Pförtner sowohl akustisch wie auch optisch. Der meldet dann der Säuglingsstation, dass Alarm von der Babywiege ausgegangen ist. Manchmal ist es auch blinder Alarm. Aber meistens ist die Babywiege doch gebraucht worden. In der Babyklappe sehen sie einen Brief an die Mutter, der sie bittet, Kontakt zu uns aufzunehmen und dem Kind einen Brief zu hinterlassen. Das sind Dokumente, die das Kind dann später ausgehändigt bekommt.

    Gabriele Stangl ist Pastorin im Krankenhaus Waldfriede im Berliner Bezirk Zehlendorf und hat im Herbst 2000 die erste Babyklappe, oder "Babywiege", wie sie hier genannt wird, in Berlin eröffnet. Mittlerweile gibt es fünf Babyklappen in der Hauptstadt. Bis auf eine sind sie alle in kirchlicher Trägerschaft. Deutschlandweit dürfte es mittlerweile um die 70 Babyklappen geben. Die Koordinatorin der Berliner Babyklappen, Ursula Künning, erklärt, warum diese Einrichtungen entstanden sind.

    Wir wissen ja, dass es Fälle von ausgesetzten Kindern gibt, die dann lebendig gefunden werden - oder manchmal tot. Die erste Babyklappe wurde in Hamburg eingerichtet, nachdem kurz hintereinander zwei Kinder tot in der Müllverbrennungsanlage gefunden wurden. Die Idee der Babyklappe wurde auch in Berlin aufgegriffen. Und hier haben sich kirchliche Träger dazu entschlossen, dass Babyklappen eingerichtet werden müssen, um zu verhindern, dass die Kinder auf der Straße ausgesetzt werden.

    Zwischen 20 und 30 Säuglinge werden in Deutschland jedes Jahr tot aufgefunden. Ungefähr die gleiche Zahl noch einmal lebend. Bei den Todesfällen gehen die Betreiber der Babyklappen zudem von einer großen Dunkelziffer aus. Was die Mütter dazu bewegt ihre Säuglinge auszusetzen oder gar zu töten, wird nur in den seltensten Fällen bekannt. Doch die Betreiber der Babyklappen sind der festen Überzeugung, dass sie mit ihrem Angebot zumindest in einigen Fällen das Leben dieser Kinder retten können. Die Babyklappe soll bei verzweifelten Müttern Hemmschwellen abbauen - damit sie Hilfe annehmen und nicht - vermeintlich alleingelassen - ihr Kind aussetzen. Dass Frauen durch eine Schwangerschaft in eine existentielle Krise geraten können, weiß Gabriele Stangl vom Krankenhaus Waldfriede aus der Beratung, die sie neben der Babyklappe anbietet.

    Die Gründe, warum Frauen zu einem solchen Projekt gehen, ist einfach Angst. Manche haben Angst, zu Ämtern zu gehen. Es ist natürlich die Hemmschwelle viel geringer, in einem Krankenhaus zu einer Pastorin zu gehen, als wenn man zu einem Arzt geht, bei dem man vielleicht den Namen nennen muss. Besonders junge Leute haben davor Angst. Und die Gründe, warum sie die Schwangerschaften verheimlichen, sind mannigfaltig. Es kann sein, dass sie von den Männern, von denen sie das Kind erwarten, vielleicht sogar geschlagen und verfolgt werden. Die Geschichten, die man oft im Nachhinein nach der Geburt noch erfährt, sind oft sehr schrecklich.

    Um Frauen diese Angst zu nehmen, bieten einige Krankenhäuser, wie das Krankenhaus Waldfriede, neben der Babyklappe auch die Möglichkeit einer anonymen Geburt an. Gegenüber der Babyklappe hat diese Form der diskreten Hilfe den Vorteil, dass von Anfang an Mutter und Kind medizinisch geholfen werden kann. Die Frau, die ihre Schwangerschaft verbergen will, muss also nicht erst heimlich und ohne ärztliche Betreuung ihr Kind zur Welt bringen, bevor sie es zur Babyklappe bringt.

    Auch wenn Gabriele Stangl durch ihre Arbeit vielen Frauen einen Ausweg aus der Krise weisen kann - rechtlich operieren sie und ihre Kollegen bei der anonymen Geburt in einer Grauzone. Denn noch gibt es in Deutschland dafür keine gesetzlichen Regelungen. Kommt eine Frau zu einer anonymen Geburt ins Krankenhaus, verstoßen entweder die Frau oder die beteiligten Ärzte und Hebammen gegen Recht und Gesetz. Macht die Frau, um unerkannt zu bleiben, falsche Angaben zu ihrer Person, oder legt eine falsche Versicherungskarte vor, so ist das Betrug. Wissen die Ärzte und Hebammen um die Identität der Frau, dann sind sie nach dem Personenstandsgesetz verpflichtet, die Daten an das zuständige Standesamt weiterzugeben. Gibt die Mutter dagegen das Kind in einer Babyklappe ab, so ist das für alle Beteiligten straffrei. Ein Säugling, den die Mutter so weggibt, gilt als Findelkind und wird rechtlich auch so behandelt.

    Obwohl eine anonyme Geburt gegenüber der Babyklappe für alle Beteiligten die bessere Lösung wäre, hat sich der Gesetzgeber noch nicht dazu durchringen können, diese tatsächlich zu legitimieren. Zuletzt scheiterte im Bundestag ein Gesetzesentwurf drei Monate vor den Wahlen, obwohl er von allen Fraktionen mit Ausnahme der PDS getragen wurde. Grund dafür waren Befürchtungen, dass eine anonyme Geburt möglicherweise mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Wissen um die eigene Abstammung nicht nur ein Teil des Persönlichkeitsrechts, sondern gehört auch zu den unveräußerlichen Rechten der Menschenwürde.

    Dass das Schicksal der anonymisierten Kinder aber keine zu vernachlässigende Größe ist, zeigt ein Blick nach Frankreich.

    Man stellt sich vieles vor, aber das ist alles sehr vage. Vor allem ist da aber Leere. Da ist einfach nichts, weil es keine Gesichter und keine Namen gibt, nicht einmal ein entfernter Verwandter, der einem etwas über seine Geschichte erzählen könnte. Es gibt überhaupt nichts, man ist in ein Nichts geboren.

    Pascale Odièvre hat ihre leiblichen Eltern nie kennen gelernt. Sie ist eine "Née sous X", wie die anonym Geborenen in Frankreich genannt werden. Das X steht für unbekannt. In Frankreich haben Schwangere schon lange das Recht auf eine anonyme Geburt. Gesetzlich festgeschrieben wurde es während der deutschen Besatzung im zweiten Weltkrieg. Frauen sollten so die Möglichkeit haben, sich der Kinder aus einer Verbindung mit einem deutschen Soldaten zu entledigen. Auch in den Nachkriegsjahren war die anonyme Geburt weit verbreitet, auf Abtreibung stand damals noch die Todesstrafe. Heute noch ist die anonyme Geburt in Frankreich eine feste Institution, auch wenn die Zahl der Frauen, die sie in Anspruch nehmen, seit längerem zurückgeht. Waren es nach dem Krieg noch etwa 10.000 Frauen, die sich für eine anonyme Geburt entschieden haben, sind es heute noch 500.

    Dennoch leben heute rund 400.000 anonym Geborene in Frankreich, und die meisten wissen nicht, wer ihre leiblichen Eltern sind. Und wie Pascale leiden noch heute viele darunter, dass sie ihre Eltern nicht fragen können, warum sie sie damals weggeben haben.

    Ich hätte gerne, dass sie mir sagen, dass ich jetzt meinen Platz bei ihnen habe, auch wenn sie mich vor 37 Jahren nicht haben wollten. Sie haben sich ja auch weiter entwickelt. Und ich würde gerne wissen weshalb sie mich weggeben haben, ob sie damals in Schwierigkeiten waren und ob sie mich heute vielleicht annehmen wollen.

    Dabei wären diese Fragen möglich, denn wie bei vielen anderen anonym Geborenen wissen die französischen Behörden, wer die Eltern von Pascale sind. Um Mutter und Vater zu schützen, werden die Daten jedoch unter Verschluss gehalten. Doch seit Anfang der 90er Jahre begehren die anonym Geborenen auf. Sie fordern vom Staat Auskunft über ihre Eltern und die Abschaffung der anonymen Geburt, durch die sie sich elementarer Rechte beraubt fühlen. Auf ihren Druck hin hat Frankreich bereits die Bestimmungen zur anonymen Geburt gelockert. Mittlerweile können die anonym Geborenen die Namen ihrer Eltern erfahren, wenn diese vorher zustimmen.

    Doch Pascale Odièvre und vielen ihrer Leidensgenossen geht das nicht weit genug. Sie forderten ein Recht darauf, die Namen ihrer Eltern zu erfahren. Seit 10 Jahren hat sich Pascale Odièvre in Frankreich dafür erfolglos durch alle Instanzen geklagt. Und heute entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte: Pascale hat keinen Rechtsanspruch auf die Information, wer ihre leiblichen Eltern sind.

    Das Urteil trafen die Richter mit 10 gegen 7 Stimmen, und das macht deutlich, in welchem Zwiespalt sich die Juristen befanden. Denn einmal gilt es natürlich, die Rechte des Kindes zu wahren, es geht um seinen der Wunsch, dass es weiß, wer seine Eltern sind. Doch auf der anderen Seite haben auch die leiblichen Mütter und Väter einen Anspruch auf den Schutz ihres Privat- und Familienlebens. Diese Ansprüche von Kindern und Eltern seien kaum miteinander zu versöhnen, räumten die Richter ein.

    In Pascals Fall beispielsweise hatte schon kurz nach ihrer Geburt die Mutter eine Erklärung abgegeben, warum sie ihre Tochter nicht aufziehen wolle und auch keinen Kontakt zu ihr wünsche: Sie lebe nicht mit dem Kindsvater zusammen. Der sei nämlich mit einer anderen Frau verheirat, habe selber ein Kind und wolle keinerlei Kontakt zu seiner unehelichen Tochter, weil dies das Ende seiner Ehe bedeuten würde.

    Auch wenn juristische Bedenken gegen die anonymen Geburten aus europäischer Sicht so erst einmal beseitigt worden sind - die Probleme der Kinder löst das nicht. Das räumt auch Ursula Künning vom Berliner Projekt Babyklappe ein.

    Die Problematik dieses anonym abgegebenen Kindes ist wirklich sehr, sehr groß. Wir sehen das auch, dass ein Kind, das nicht weiß, wer seinen leiblichen Eltern sind, auch Schwierigkeiten in der Identitätsfindung hat, aber wir schätzen das Recht des Kindes auf Leben erst mal höher ein. Und wir würden uns einfach wünschen, dass wir mit den zuständigen Stellen einen rechtlichen Rahmen schaffen können.

    Ein solcher Rahmen wäre in der Tat wünschenswert, auch um die Arbeit der Babyklappen besser im Blick zu haben. Denn auf der einen Seite finanzieren sich Babyklappen häufig aus Spenden. Auf der anderen Seite wird den Betreibern dieser Hilfsorganisationen gelegentlich die vorläufige Vormundschaft über die Babys übertragen. Sie üben damit erheblichen Einfluss darauf aus, zu welcher Pflegefamilie der Säugling kommt. Und diese Pflegefamilien haben später gute Chancen, das Kind zu adoptieren.

    Um nicht den Verdacht entstehen zu lassen, dass manche private Babyklappenbetreiber einen indirekten Einfluss auf die Auswahl der späteren Adoptiveltern haben, hat Hamburg nun selber die Initiative ergriffen und will städtische Babyklappen einrichten.

    Vertreter von Adoptions- und Kinderschutzverbänden stehen Babyklappen und der anonymen Geburt ohnehin kritisch gegenüber. Eine Adoption sei beispielsweise für alle Beteiligten besser zu verkraften, wenn das adoptierte Kind, die Adoptiveltern und die Kindsmutter möglichst viel von einander wüssten. Wenn aber eine Frau sich aus einer aktuellen Notsituation heraus für die Babyklappe oder eine anonyme Geburt entscheide, könne sie vielleicht die langfristigen Folgen ihres Tuns überhaupt nicht überblicken, meint wenigstens Reinhard Wilms vom Landesjugendamt Brandenburg:

    Man stelle sich vor, es würde das Jugendamt ein Angebot machen in der Öffentlichkeit, wer mit seinen Kindern nicht mehr klar kommt, wer sich genervt fühlt, der kommt einfach zu uns, gibt sein Kind ohne Angabe von Gründen ab, sagt auch nicht, wo er bleibt, hinterlässt keine Telefonnummer und kann auch sicher sein, dass er hinterher nicht mehr behelligt wird, und dass er vor den Nervereien seiner Kinder geschützt ist. Man stelle sich vor fünf-, zehn-, oder fünfzehnjährige kann man irgendwo abgeben, und dann muss man sich nicht mehr um sie kümmern. Man muss keinen Unterhalt mehr zahlen und entledigt sich seiner Elternverantwortung. Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Und ich halte das nicht für ein zukunftsfähiges Modell.

    Dass die Babyklappe Eltern erst auf die Idee bringen könnte, ihre Kinder anonym wegzugeben, darüber sind sich auch die Betreiber der Klappen im Klaren. Sie sind allerdings davon überzeugt, dass die Eltern ihre Säuglinge keinesfalls leichtfertig bei den Klappen abgeben. Noch einmal Ursula Künning:

    Es ist ja tatsächlich so, dass wir mittlerweile mehr Kinder in der Babyklappe haben, als tatsächlich auf der Straße aufgefunden werden. Das ist schon was. Wir wissen nicht, wie hoch die Dunkelziffer an ausgesetzten und vergrabenen Kindern ist. Es ist aber auch so, dass Menschen von der Geburt eines Kindes überrascht werden und vielfach ihr Kind behalten. Und es kommt immer vor, dass viele Kinder ihre Kindheit körperlich und seelisch schwer geschädigt gerade noch so überleben. Und solche Menschen, die ihr Kind nicht versorgen würden und auch nicht in eine Beratungsstelle gehen würden - wenn diese Menschen ihr Kind in die Babyklappe legen, das find ich auch noch richtig.

    Als bloße Abgabestellen für Babys wollen sich weder die Betreiber der Babyklappen noch die Krankenhäuser, die eine anonyme Geburt ermöglichen, verstanden wissen. In der Tat kommt es immer wieder vor, dass Mütter oder Eltern zunächst ihr Kind unter dem Schutz der Anonymität in einer Babyklappe abgeben, sich später aber melden und dann entweder einer offenen Adoption zustimmen, oder das Kind wieder zu sich nehmen. Auch bei den Berliner Babyklappen, die Ursula Künning betreut, gab es vor kurzem einen solchen Fall.

    Das war ein Paar in großen finanziellen Schwierigkeiten. Die Frau hatte ihre Schwangerschaft ignoriert. Das Kind kam dann scheinbar überraschend zuhause zur Welt, und die Eltern haben sich dann in dieser Krisensituation entschlossen, ihr Kind in die Babyklappe zu legen. Zwei Tage später haben sie bei der Hotlinie der Babyklappe angerufen und gefragt, ob sie das Kind eventuell zurücknehmen könnten. Sie wurden dann gleich eingehend beraten von der zuständigen Seelsorgerin des Krankenhauses, sind dann auch hingekommen. Es war auch klar, dass das die Eltern des Kindes waren. Das muss natürlich auch geprüft werden. Und sie waren dann damit einverstanden, dass das Jugendamt eingeschaltet wird und haben das Kind zurückbekommen und werden jetzt auch vom Jugendamt begleitet.

    Solche erfreulichen Fälle sind aber eher die Ausnahme. In der Regel gibt es keine Möglichkeit, die Mütter und Väter der Säuglinge ausfindig zu machen. Allein in Berlin sind seit der Öffnung der ersten Babyklappe vor gut zwei Jahren 14 Kinder in die Adoption gegeben worden, ohne dass bekannt ist, wer die Eltern sind.

    Die Gegner von Babyklappen und anonymer Geburt bezweifeln zudem, dass durch diese Einrichtungen tatsächlich das Leben von Kindern gerettet wird. So sei die Zahl der öffentlich bekannt gewordenen Kindesaussetzungen und Kindestötungen in den vergangenen Jahren trotz Babyklappen konstant geblieben. Zu diesem Ergebnis kommt die Hannoveraner Sozialwissenschaftlerin Christine Swientek. Ihre Erklärung für diesen Befund ist:

    dass die Neugeborenentötung ein in sich geschlossenes Delikt ist und nichts zu tun hat mit Aussetzung oder der Weglegung in einer Klappe. Frauen, die in der Geburt oder nach der Geburt töten, aus Schock, aus Panik, weil sie nicht ganz bei sich sind, weil sie hormonelle oder psychische Probleme haben, sind nicht die Frauen, die ihr Kind irgendwo hinbringen und in die Klappe legen.

    Die meisten toten Neugeborenen sterben nicht durch Aussetzung, sondern dadurch, dass sie entweder aktiv getötet werden - in oder unmittelbar nach der Geburt - oder dadurch, dass sie irgendwohin gebracht werden. Aber dann ist die Aussetzung auch so, dass man sieht: Das Kind sollte tot sein. Das ist dann kein Zufall. Wenn sie im November ein nacktes Neugeborenes an einem Bahndamm finden, weit ab von der nächsten Siedlung, dann war das nicht eine Aussetzung, bei der man hofft, das Kind werde gefunden. Das nenne ich Totaussetzung. Das andere ist die Lebendaussetzung, wo die Kinder so eingepackt und so abgestellt sind, dass man die Kinder innerhalb von ein paar Minuten findet.

    Für diese Fälle seien, so Swientek und andere Kritiker, aber gar keine Babyklappen nötig. Denn Kinder, die warm eingepackt in einem Krankenhaus, einem Kindergarten oder auch in einer Bahnhofshalle abgestellt werden, würden ja auch ohne Babyklappe gerettet. Und auch die Annahme, die Babyklappe sei eine Alternative für Frauen, die bei der Geburt ihres Säuglings in Panik geraten, hält Swientek für nicht zutreffend.

    Wenn ich ein Kind in die Klappe geben will, dann muss ich planen. Wie schaff ich das unmittelbar nach der Geburt, da ist man ja auch nicht so stämmig auf den Beinen, dass man dann vielleicht noch mit Zug und Bus und Taxi zu einer Klappe kommen kann. Mit anderen Worten: Wer sein Kind in eine Klappe legen kann, der muss planen. Der muss es genau einplanen. Oder die Frau wartet ein paar Tage, dann kann sie entdeckt werden. Das schließt sich aus. Und wir sagen als Gegner: Wer eine Klappe nutzen will, der ist informiert. Diese Eltern, die die Klappe nutzen, können sich genauso informieren über die normalen Angebote der Jugendhilfe, wo dann - ohne negative Lebenszeitfolgen für das Kind - das Kind dann eben auch nicht in der Familie ist. Aber es ist nicht anonymisiert für den Rest seines Lebens. Wer die Klappe plant, der kann auch jede andere Form von Jugendhilfe planen.

    Doch damit Mütter in Not tatsächlich andere Formen der Jugendhilfe in Anspruch nehmen können, muss diese auch erreichbar sein. Und darin sind die Betreiber der Babyklappen anderen Anbietern weit voraus. Rund um die Uhr steht ein telefonischer Notdienst zur Verfügung, über den Frauen nicht nur die Adresse der Babyklappen erfahren können, sondern ihnen auch Unterstützung angeboten wird. Vielfach sind es ehrenamtliche Helferinnen, die diesen Dienst bestreiten. Ein Angebot, das von staatlicher Seite kaum jemand anbietet: In der Regel sind die Mitarbeiter von beispielsweise Sozial- und Jugendämtern nur zu den üblichen Bürozeiten zu sprechen. Um das Beratungsangebot auszubauen, fehlen den Kommunen die Finanzmittel.

    Vielleicht wird es wenigstens in Zukunft mehr Rechtssicherheit für die Betreiber der Babyklappen geben: Dann nämlich, wenn Bundesfamilienministerin Renate Schmidt ihre Ankündigung in die Tat umsetzt, einen neuen Anlauf zur Legalisierung der anonymen Geburt zu unterstützen. Das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte liefert dafür immerhin eine juristische Grundlage.

    Link: www.babyklappe-berlin.de