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Von Asseln und Menschen

In vermutlich fast allen Trinkwasserrohren der Republik leben Wasserasseln. Solange sich ihre Zahl in Grenzen hält, bleiben sie unbemerkt. Doch wenn sie überhand nehmen, gibt es ein Problem: Denn Asseln wird man nicht so einfach los.

Von Katrin Zöfel | 31.07.2009
    Brieselang nahe Berlin, ein Städtchen mit 11.000 Einwohnern. Seit Wochen ist dort ein Team erfahrener Verfahrenstechniker unterwegs: Mit einem kleinen Tankwagen, meterweise Wasserschläuchen und einigen Messgeräten ziehen sie von Straße zu Straße. Der Grund: in den Trinkwasserrohren von Brieselang siedeln Wasserasseln. Die Verfahrenstechniker spülen deshalb die Rohre aus, um die Tiere wieder zu entfernen; was gar nicht so einfach ist:

    "In dem Moment wo die Strömung erhöht wird, krallen die sich am Untergrund fest und sind nicht ausspülbar","

    erklärt der Limnologe Günter Gunkel. Er ist Privatdozent an der Technischen Universität Berlin. Wasserasseln sind zähe Tiere. Sie kommen mit wenig Nahrung aus und überdauern unwirtliche Bedingungen geschützt durch ihren Panzer aus Chitin. Selbst Chlor und Ozon, womit Trinkwasserversorger sonst die Rohre desinfizieren, können ihnen nichts anhaben. Der Verfahrenstechniker Michael Scheideler leitet die Rohrsäuberung in Brieselang:

    ""Wir haben erstmal überlegt, was könnte die Wasserassel dazu bewegen, da loszulassen in diesem Rohrleitungssystem. Und da gibt es verschiedene Überlegungen, das mit Temperaturen zu machen oder auf chemische Art und Weise."

    Die Technik, die der Scheideler und der Wissenschaftler Gunkel schließlich entwickelt haben, ist denkbar einfach.

    "Das besondere an unserem Verfahren ist, dass wir dem Wasser Kohlendioxid, also die normale Kohlensäure, die man auch aus dem Mineralwasser kennt, zugeben, und zwar so, dass die Wasserasseln ohnmächtig werden, so dass die dann loslassen, sich nicht mehr festhalten können, dann können wir die ganz sanft ausspülen."

    Bis zu 3500 Asseln pro Kilometer Rohr förderten die Spülungen in Brieselang zu Tage. Nicht alle, aber doch 90 bis 95 Prozent davon lassen sich mit dem Verfahren entfernen. Danach sei für die nächsten Jahre erst einmal Ruhe, sagt Günter Gunkel:

    "Weil die Möglichkeiten der Vermehrung, wenn nur sehr wenige Asseln im Rohrnetz sind, doch eingeschränkt sind."

    Denn Männchen und Weibchen müssen sich im unterirdischen Labyrinth erst einmal wieder finden. Unklar ist bisher, wie die Tiere überhaupt ins Rohrnetz gelangen. Sicher ist, dass nicht nur die Brieselanger mit dem Problem zu tun haben. Massiv hatten in den 1960er-Jahren die Hamburger Wasserversorger mit dem Problem zu kämpfen, noch ältere Berichte gibt es aus London. Vermutlich dürften, ohne dass die Verbraucher es bemerken, die meisten Trinkwasserrohre deutschlandweit besiedelt sein.

    "Im Trinkwasserrohr entwickelt sich an der Wandung ein sogenannter Biofilm."

    Von diesem Biofilm aus Bakterien und Einzellern ernähren sich dann größere Tiere:

    "Kleine Würmer, Rädertiere, andere kleine Krebstiere."
    Und eben auch Asseln. Oberflächenwasser aus Flüssen oder Talsperren liefert den Rohrbewohnern mehr Nahrung als das reinere Grundwasser. Zu Massenvermehrungen wie in Brieselang kommt es allerdings nur, wenn plötzlich viel Nahrung aus organischer Substanz zur Verfügung steht, etwa wenn ein Rohr gebrochen ist, oder anderweitig Lecks entstehen. Tatsächlich gesundheitsschädlich für den Menschen ist der Asselbefall nicht. Allerdings können sich Keime auf toten Asseln und auf Asselkot besonders gut vermehren:

    "Wir haben das simuliert, tote Asseln vor einen Hausfilter gelegt und dann nach einigen Tagen Proben genommen und festgestellt, dass die Keimzahlen deutlich die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung überschreiten."

    Günter Gunkel hofft, dass nun auch andere Trinkwasserversorger das CO2-Spülverfahren für sich entdecken; auch dort, wo die Asselbesiedlung noch nicht gar so offensichtlich ist. Denn die Kohlendioxidspülung sei kaum teurer als die normale Luft-Wasser-Spülung, die als Standard regelmäßig angewandt wird.