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Von Baku nach Lahix

Aserbaidschan befindet sich noch im Aufbruch aus der fast 70 Jahre dauernden Sowjetzeit, wirtschaftlich geht es inzwischen allerdings bergauf. Und neben fast grenzenloser Gastfreundlichkeit hat das Land auch kulturell einiges zu bieten.

Von Isabell Ullrich | 29.05.2011
    Am Ende der großzügigen Uferpromenade rauscht ein großer kreisrunder Brunnen. Dahinter geht es hinauf, viele, viele Treppenstufen bis zum Kamm des Hügelzuges an dem sie liegt: Baku, die Hauptsstadt Aserbaidschans.

    Mein Blick schweift über die Stadt. Die vielen Gebäude aus ockergelbem Kalkstein geben der Stadt einen goldglänzenden Anstrich im Licht der Nachmittagssonne, das die Glasfassaden der nagelneuen Wolkenkratzer zurückwerfen. Die Spaziergänger auf der Promenade und die Autos, die sich parallel dazu durch die Stadt drängeln, sehen von hier oben winzig aus. Ein Wolkenband zieht aus den Kränen und Bürogebäuden der Hafengegend aufs Kaspische Meer hinaus und verdeckt eine Bohrinsel am Horizont. Aus dem Häusermeer dringt die Melange aus Verkehrslärm, einem unterschwelligen Brummen aus der Werft, dem Ruf eines Muezzin und vermischt sich mit dem Gezwitscher der Vögel hier im Park der Hügel.

    Bei dieser Aussicht und einer Kanne Tee, die hier zu jedem guten Treffen und jeder Mahlzeit gehört, glaubt man die Geschichte sofort, die mir meine Reisebegleiterin und Dolmetscherin, Guli Abbasova, erzählt:

    "Wenn jemand ins Paradies möchte, sollte er nach Aserbaidschan kommen. Warum? Als der Liebe Gott die Erde verteilte, hat er die Vertreter aller Völker zu sich gerufen, ob alles gerecht ist. Und da sammelten sich alle außer der Aserbaidschaner. "Wo ist der Aserbaidschaner?", fragt der Liebe Gott. Keiner wusste das. Und als alles verteilt war, kommt ganz außer Atem der Aserbaidschaner und entschuldigt sich vor dem Lieben Gottt und sagt: "Ich hatte Gäste, ich konnte nicht kommen." Und der Liebe Gott überlegte und sagt: "Ja, so ein Volk soll schon ein schönes Leben haben, um die Gäste empfangen zu können." Und da überlegt er und sagt: "Es ist kein Stück von der Erde geblieben ich gebe euch ein Stück vom Paradies am Kaspischen Meer."

    Gastfreundlichkeit soll ich auf meiner Reise noch viel erfahren, aber Baku wirkt in seiner pulsierenden, verkehrs- und baulärmgeschwängerten Geschäftigkeit auch irgendwie unfertig. Aserbaidschan befindet sich noch im Aufbruch aus der fast 70 Jahre dauernden Sowjetzeit. Davon zeugen die winzigen, grauen Baracken mit ihrem improvisierten oberirdischen Leitungssystem im Viertel Yasamal oder die halb eingefallenen Betonklötze, die man auch im Stadtzentrum bisweilen noch findet. Dass das Geld aus den landeseigenen Erdölvorkommen seit 20 Jahren in die eigenen Taschen fließt und nicht mehr nach Moskau, beweisen wiederum die zahlreichen monumentalen Neubauten. Der beeindruckendste entsteht gerade schräg oberhalb von unserem Aussichtspunkt. Ein Komplex aus drei Wolkenkratzern, neben dem die historische Moschee mit ihren Minaretten wie ein Miniaturmodell aussieht. Die sogenannten Flame Towers sollen das neue Nationalsymbol der Hauptstadt werden, erklärt mir eine Sprecherin der Investorengruppe:

    "Aserbaidschan hat eine Menge Gas und Öl. Deshalb gab es früher in dieser Gegend viele Feuer. Jeder konnte die Flammen sehen. Als wir angefangen haben, die Flame Towers zu bauen, haben wir uns vorgenommen, dass sie auf der ganzen Welt berühmt sein sollen und wir dachten uns, warum nicht eine Flamme bauen? Sie liegen oben auf dem Hügel und wenn das Projekt im Dezember fertig sein wird, wird das Gebäude mit der Form und der Beleuchtung aussehen wie eine Flamme. Das ist einzigartig. Es wird Aserbaidschans Wahrzeichen sein."

    Man spürt den allgemeinen Eifer, mit dem das Land versucht, so schnell wie möglich an den kapitalistischen Westen anzuschließen. Alte Gebäude werden abgerissen und neu gebaut, die antiken werden erneuert. Seit der Jahrtausendwende gehört das frisch restaurierte historische Zentrum Bakus zum Weltkulturerbe der UNESCO. Der Schirwanschachenpalast wirkt, als hätten die alten Fürsten ihn gestern erst erbauen lassen. Dicke Stadtmauern schirmen den Großstadtlärm von außen ab. Zwischen dem ungewöhnlich geformten Jungfrauenturm, der alten Moschee und dem Hamam umgarnen uns die Teppichhändler mit Lockrufen.

    Die alten Karawansereien, Zeugnisse der günstigen Lage Bakus an der Seidenstraße, laden zum Essen ein. Hier gewinne ich einen ersten Eindruck von der beeindruckenden Historie des Landes. Emil Agazade, ein gebürtiger Aserbaidschaner, der jetzt in London lebt, erklärt es mir so:

    "Unser kulturelles Erbe ist sehr komplex, denn Aserbaidschan ist ein Ort, der schon immer Eroberer angezogen hat. Zuerst war hier ein Land, das sich kaukasisches Albanien nannte. Das war eine der ersten christlichen Zivilisationen. Im 7. Jahrhundert kamen mit der Geburt des Islam arabische Eroberer. Es brach eine andere Epoche an für die Bevölkerung des historischen Aserbaidschans. Dann kam der Einfluss der Türken und der türkischen Völker aus dem Osten, aus Zentralasien und dann die Perser. Unsere russischen Einflüsse seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind offenkundig, wir haben eine Sowjet-Vergangenheit. Stellen Sie sich vor, in 2000 Jahren hat dieses Land so viele Eindrücke aufgenommen in seine eigene kulturelle ... Melange!"

    Das historische Aserbaidschan war ein Spielball der Hochkulturen. Schon früh hatten diese es auf die reichen Bodenschätze des Landes abgesehen. Jeder nahm etwas davon in seine Heimat mit und ließ ein Stück seiner Kultur dafür da. Trotz, oder gerade wegen der vielen feindlichen Übernahmen, in der Vergangenheit, spüre ich als Gast in Aserbaidschan große Offenheit gegenüber anderen Kulturen, Menschen und Religionen.

    Das manifestiert sich auch in der Sprache, wie mir Emil Agazade erklärt:

    "Wir haben ein Sprichwort in Azeri: Je mehr Sprachen du sprichst, desto mehr Welten kannst du dir zu eigen machen."

    Aufgrund ihrer Sowjetvergangenheit ist für Aserbaidschaner mittleren Alters meistens Russisch die Muttersprache. Die Jugend dagegen spricht wieder selbstbewusst aserbaidschanisch. Die Sprache ist sehr eng mit der der ehemaligen türkischen Besatzer verwandt. Vielleicht fühlen sich die Jüngeren auch deshalb eher den Türken als den Russen verbunden. Mit ihnen kann ich mich auch mühelos auf Englisch verständigen.

    Gastfreundlichkeit kommt aber auch ganz ohne Worte aus: In einem kleinen Dorf sehe ich, wie so oft, ein paar Männer in einem kleinen Park nahe der Straße versammelt. Sie tragen alle Schiebermützen und sitzen um einen Plastiktisch, auf dem der unerlässliche Tee aus den geschwungenen Gläschen dampft. Als ich sie mit einem freundlichen Salam – einem der wenigen Wörter ihrer Sprache, das ich kenne - grüße, springt sofort einer auf, um mir seinen Stuhl anzubieten, ein anderer holt mir schnell ein weiteres Teeglas und den Karatemeister des Dorfes, er ist Mitte zwanzig und kann – nach eigenen Angaben von seinen Wettkämpfen im Ausland - ein paar Brocken Englisch um zu übersetzten.

    Eine ebenso freundliche aber viel abenteuerlichere Begegnung mache ich auf dem Weg in das Bergdorf Lahix. Auf der Straße, die eher einem schlaglochdurchzogenen Geröllfeld ähnelt, hat uns Cazarad Ismayilov aufgegabelt. Er nimmt uns in seinem alten russischen Lada mit: Seiner Meinung nach das beste Auto für diese Strecke. Ich fühle mich bei 60 Stundenkilometer wie auf einer ruckeligen Achterbahn, während Cazarad mit begeistert die Umgebung erklärt.

    "Vor 35 Jahren hat Heydar Aliyev, der Vater unseres Präsidenten diese Straße für die Leute in Lahix bauen lassen. Davor war das Leben hier sehr schwierig. Es gab hier keine Straße, keine Elektrizität, nichts."

    Ob in solchen Erzählungen, als Namensgeber für öffentliche Plätze und Gebäude oder auf überdimensionalen Plakatwänden, der ehemalige Präsident, Heydar Aliyev ist in Aserbaidschan allgegenwärtig. Doch sein Sohn Ilham Aliyev, der den Vater vor acht Jahren im Präsidentenamt beerbte, hat es schwerer. Hohe Arbeitslosigkeit, fehlende demokratische Instrumente und anhaltende Korruption, das alles sind Gründe, warum die Begeisterung für die Aliyevs vor allem bei der jungen Generation bröckelt. Dabei müssten gerade sie von den postsowjetischen Reformen profitieren.

    Egal ob im kleinen Bergdorf Lahix, wo noch Esel mit dicken Brennholzbündeln über die sauber behauenen Flusssteinquader der gepflasterten Hauptstraße getrieben werden, oder im pulsierenden Baku, überall treffe ich junge Leute, die eine akademische Ausbildung genossen haben, nun aber auf der Straße sitzen. Für die Zukunft setzten deshalb nicht nur viele junge Akademiker auf die Tourismusbranche, sondern auch die Regierung. Der aserbaidschanische Minister für Tourismus und Kultur, Abulfas Qaraev, hat 2011 sogar das Jahr des Tourismus ausgelobt.

    "Wir sehen uns an einem Punkt in der Welt, wo sich geschichtliche Epochen, Religionen und Mentalitäten kreuzen. In Baku finden Sie ganz leicht Dinge, die der islamischen Welt angehören, mit ihrer Architektur und Tradition ... den Moscheen. Gleichzeitig gibt es aber auch europäische Kultur: Ballett, die Oper, Museen. Wir bauen gerade das größte Teppichmuseum der Welt. Wir waren die ersten im Kaukasus, die das Christentum akzeptiert haben. Im 2. Jahrhundert hatten wir hier die Albanische Kirche, die zum Christentum gehört. Im ausgehenden 7. Jahrhundert kam der Islam. Und davor beteten wir zum Feuergott. Das ist der Grund, warum der ursprüngliche Name Aserbaidschans "Land des Feuers" ist."
    Die Spuren dieser wohl ältesten Kultur des Landes findet man in der Halbwüste fünfzig Kilometer südlich der Hauptstadt Baku, im Nationalpark Qobustan. Primitive Felsmalereien von steinzeitlichen Jägern und ihren Beutetieren schmücken hier die Höhlen und Wände der senfgelben Berge. Der Name Gobustan bedeutet 'heiliger Ort', erklärt mir Sahin Shabazov, noch ein junger Akademiker, Archäologe, der sich die historischen Attraktionen des Landes zunutze macht.

    "Da ist ein altertümlicher aserbaidschanischer Musikstein. Wir nennen ihn' Gabal Dasch'. Gabal ist unser Musikinstrument und Dasch heißt Stein. Musikstein. Im Innern des Steins sind Hohlräume. In der Steinzeit spielten die Menschen darauf Rhythmen und tanzten dazu einen rituellen Tanz, um gute Geister für die Jagd heraufzubeschwören."

    Der Islam, dem heute die Bevölkerungsmehrheit Aserbaidschans angehört, kam mit seinen musikalischen Bräuchen erst viel später ans Kaspische Meer. Aber doch früh genug, damit der sogenannte Mugam-Gesang sich als aserbaidschanische Volkstradition etablieren konnte. Zurück in Baku fällt mir an der Uferpromenade einer der zahlreichen nagelneuen Glasbauten auf. Es ist das Mugam-Center, das auf die Initiative der Präsidentengattin hin gebaut wurde und an diesem Abend hell erleuchtet ist. Spontan lasse ich von meiner Dolmetscherin nachfragen, ob ein Konzert stattfände und ob wir es besuchen könnten. Natürlich, heißt es, es sei zwar eine Fernsehaufzeichnung und sie hätte schon angefangen, aber als internationaler Gast sei ich natürlich eingeladen. Ja, Bild und Tonaufzeichnungen seien kein Problem. Die zuständige Angestellte aus der PR-Abteilung, Mastura Guliyeva gibt mir auf dem weg ins Studio einen Mugam-Crashkurs.

    "Das ist unsere Volksmusik und wir denken, dass sie auf den Koran zurückgeht, das heißt, sie ist sehr, sehr alt. Unser Volk singt schon immer Mugam. Es ist sehr schwer zu singen, weil man ein spezielles Talent dafür braucht und man muss es in einer speziellen Schule lernen. Und Mugam wird immer von den traditionellen Instrumenten wie Tar und Kamandcha begleitet."

    Und schon stehen wir im Fernsehstudio, in der Show Mugam 2011, einer Art Aserbaidschan sucht den Mugam-Superstar. Auf der Bühne sitzen schon die Musiker in ihrer traditionellen schwarz-goldenen Tracht. Der Tar-Spieler hebt sein Instrument, das aussieht wie eine mittelalterliche Miniaturgitarre, vor die Brust. Sein Nebenmann hält das schoßgerechte Cello, die Kamandscha, bereit. Die erste Kandidatin betritt die Bühne.

    Während ich dem gewöhnungsbedürftigen aber gefühlsstrotzenden Gesang lausche, fällt mir auf, dass so ein spontaner Studio-Besuch in Deutschland wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre. Aserbaidschaner haben außer ihrer Gastfreundlichkeit auch die Angewohnheit, Änderungen und Probleme mit einer fast stoischen Gelassenheit aufzunehmen und mit erfrischender Flexibilität darauf zu reagieren. Deshalb drehen sie bei einem Stau auf der Autobahn auch einfach um, und nehmen die letzte Ausfahrt, statt sich hinten in die Blechlawine zu stellen.
    Und sie werden sie noch brauchen, diese Eigenschaft. Aserbaidschan hat noch ein paar Stufen vor sich auf dem Weg zur voll entwickelten, demokratischen Wirtschaftsmacht. Die Flame Towers, das überdimensionale Nationalsymbol der Hauptstadt, sind noch nicht fertiggestellt. Aber es geht geschwind voran und die Aserbaidschaner planen das Einweihungsfest noch vor dem Eurovision Song Contest 2012.
    Der Praesident von Aserbaidschan Ilham Alijew waehrend einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Gerhard Schroeder am 25. August 2004 in Berlin. Vorher hatten Andreas Sperl vom Finanzvorstand Airbus S.A.S. und der Generaldirektor der staatlichen Fluggese
    Seit acht Jahren Präsident Aserbaidschans: Ilham Aliyev (AP)