Dienstag, 19. März 2024

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Von Cramon: Thomas Bach hat den deutschen Sport vernachlässigt

Thomas Bach habe die Entwicklungen im Deutschen Sport zugunsten seiner eigenen Karriere unterdrückt, sagt Viola von Cramon über den neuen IOC-Präsidenten. Reformen im Deutschen Olympischen Sportbund seien überhaupt nicht gefasst worden. Zudem sei Bachs Präsidentschaft nicht mit seiner Tätigkeit in der arabisch-deutschen Industrie- und Handelskammer vereinbar.

Viola von Cramon im Gespräch mit Jasper Barenberg | 11.09.2013
    Jasper Barenberg: Die Wettanbieter in London haben sich also ebenso wenig geirrt wie die vielen anderen Propheten. Im zweiten Wahlgang haben die Delegierten in Buenos Aires, die Delegierten des Internationalen Olympischen Komitees den Favoriten an ihre Spitze gewählt: Thomas Bach, Fecht-Olympiasieger von 1976, Jurist, Wirtschaftslobbyist, FDP-Parteigänger. Jahre hat der 59-Jährige inzwischen darauf hingearbeitet. In den kommenden Jahren, mindestens acht werden es sein, wird er das höchste und das wohl auch machtvollste Amt bekleiden, das der Weltsport zu bieten hat, und zwar als erster Deutscher. Eine gute Wahl? – Darüber wollen wir in den nächsten Minuten mit Viola von Cramon sprechen, der sportpolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen!

    Viola von Cramon: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Frau von Cramon, viele Politiker haben Bach ja in der Zwischenzeit schon Glückwünsche zukommen lassen, unter anderem die Bundeskanzlerin, der Außenminister, die Vorsitzenden von FDP und SPD – Tenor oft: Die Wahl ist eine Anerkennung für unermüdliches Engagement für die olympische Idee und auch eine Auszeichnung für Deutschland. Können Sie sich da anschließen?

    von Cramon: Selbstverständlich habe ich auch gratuliert. Natürlich gehört sich das so und es ist natürlich auch mit einer gewissen Hoffnung verbunden – Hoffnung darauf, dass es möglicherweise wirklich Reformen geben wird, dass man möglicherweise zurückkehren kann zu der olympischen Idee, weg von dem kommerziellen Hype, den wir in den letzten 20 Jahren beim Internationalen Olympischen Komitee gesehen haben. Aber letztendlich bin ich natürlich sehr skeptisch, wenn ich mir anschaue, in welcher Form Dr. Thomas Bach bisher in der internationalen Sportpolitik gewirkt hat, und vor allem, mit welcher Unterstützung er die Wahl gewonnen hat. Das heißt zum einen der Scheich, das heißt zum anderen der Vorsitzende von Sportaccord, der Marius Vizer, mit einem ganz engen Draht zu Putin, zu anderen Diktatoren, dann muss man sich natürlich schon Gedanken machen, welche Stimmen da gesammelt wurden, um an die Spitze dieses Sportverbandes zu kommen.

    Barenberg: Darüber wollen wir gleich noch ein bisschen ausführlicher sprechen. Zunächst würde ich gern noch mal fragen, ob Sie die Wahl von Thomas Bach eigentlich als einen persönlichen Erfolg von ihm sehen, auf der Grundlage der viel beschworenen Cleverness, die ihn ja auch auszeichnen soll, oder ist das auch ein Erfolg für das, wofür der deutsche Sport steht und was er verkörpert?

    von Cramon: Na ja, auf jeden Fall hat Thomas Bach natürlich jahrelang, jahrzehntelang auf diesen Thron hingearbeitet. Das ist sicherlich unbestritten. Er hat dabei, würde ich mal sagen, den deutschen Sport eher vernachlässigt als befördert, denn Reformen in den letzten Jahren sind ja im DOSB überhaupt nicht angefasst worden. Er hat ja mit der Karriereplanung im Grunde den deutschen Sport gelähmt. Anders kann ich das jedenfalls nicht einschätzen.

    Wenn ich sehe, wie gerne einige der Sportverbände in den letzten Monaten auch gesagt hätten, jetzt müssen wir uns aber wirklich mal an die Nachfolgediskussion machen, jetzt müssen wir wirklich mal überlegen, wie können wir den deutschen Sport hier wieder auf Vordermann bringen, und das ist ja alles kategorisch unterdrückt worden und ist alles der Karriere von Dr. Thomas Bach unterstellt worden. Das heißt, ob es der persönliche Verdienst ist, oder ob es die Sportpolitik in Deutschland war – ich glaube schon, dass er sehr zielstrebig, sehr zielstrebig auf den IOC-Thron hingearbeitet hat.

    Barenberg: Sie haben ja eben gesagt, dass Sie hoffen, dass es wirkliche tatsächliche Reformen geben kann und geben wird im IOC in den nächsten Jahren, und Sie haben angedeutet, dass Sie nicht recht sehen können, dass Thomas Bach das leisten kann. Hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass Thomas Bach ein Kind des Systems IOC ist, ein Diener des Apparates, und man einem Diener des Apparates nicht zutrauen mag, diesen Apparat selber zu verändern?

    von Cramon: Ich befürchte, das ist so. Ich befürchte, dass er nicht wirklich unabhängig agieren wird, weil all das, was wir jetzt an Informationen aus Buenos Aires bekommen haben und im Vorfeld der Wahl gelesen und gehört haben, deutet ja darauf hin, dass es starke Kräfte gibt, die manchmal im Dunklen, im Verborgenen, manchmal aber auch sehr offen sagen, wie sie sich den Sport der Zukunft, wie sie sich die internationale Sportpolitik der Zukunft vorstellen.

    Und das ist eben nicht das, so wie wir, also wie ich meinetwegen als eher kritische Sportpolitikerin mir den internationalen Sport vorstelle, sondern das ist eine weitere Kommerzialisierung und das geht stärker noch dahin, neue Märkte zu erobern, es geht stärker noch dahin, eben nicht nach transparenten Kriterien Vergabeentscheidungen zu fällen, das geht nicht dahin, die Menschen vor Ort stärker mit einzubeziehen in Entscheidungen, Verbände zu demokratisieren, externes Wissen mit einfließen zu lassen, sondern es geht genau in eine andere Richtung. Und dann, muss man ehrlich gesagt sagen, ist es auch fast egal, welchen Pass ein IOC-Präsident hat, ob es ein Deutscher, ein Chinese oder ein Amerikaner ist. Da geht es offensichtlich dann sozusagen vom Ziel her in die falsche Richtung.

    Barenberg: Sie haben gesagt, dass es Ihnen darum geht, die olympische Bewegung, die olympische Idee zu stärken, und das sozusagen als Gegensatz dargestellt zu der zunehmenden Kommerzialisierung. Aber muss man nicht heute anerkennen, dass die Kommerzialisierung auch dazu beigetragen hat, die olympische Bewegung aus der Bedeutungslosigkeit zu retten, in der sie vor vielen Jahren gesteckt hat, und dass man irgendeinen Weg finden muss, wie man Kommerz und olympische Idee in Übereinstimmung bringen kann oder vereinbar machen kann miteinander.

    von Cramon: Meines Erachtens kann man dabei aber nicht die Menschen- und Bürgerrechte über Bord werfen, und deswegen besteht schon meine Hoffnung darin, dass man jetzt die Sponsoren am Wickel hat und sagt, wenn ihr euch in Sotschi nicht eindeutig dazu bekennt, dass beispielsweise das Homosexuellengesetz in Russland aber auch wirklich überhaupt nicht kompatibel ist mit dem Geist der Olympischen Charta, dann habt ihr ein Problem.

    Weil dann gibt es einen Boykott gegenüber Cola und anderen großen Sponsoren, die über Jahrzehnte lang sozusagen, wenn Sie es so sagen wollen, den olympischen Geist wiederbelebt haben. Da hoffe ich schon auf die Wechselwirkung. Deswegen kann man sagen, na ja, auf der einen Seite sind die mit dafür verantwortlich, dass das dazu geführt hat, den olympischen Geist wieder zu beleben, aber dann müssen sie sich jetzt auch erklären. Dann müssen sie jetzt auch Stellung beziehen, dann müssen sie jetzt auch sagen, was sie tatsächlich wollen:

    Wollen sie nur die hohen Einschaltquoten, oder wollen sie wirklich etwas verändern, wollen sie wirklich stehen zu dem, was die olympische Idee und der olympische Geist irgendwann mal gewesen sind.

    Barenberg: Zum Schluss, Frau von Cramon, mit der Bitte um eine kurze Antwort: Bach ist kritisiert worden für seine Tätigkeit in der arabisch-deutschen Industrie- und Handelskammer. Manche sagen, das ist unvereinbar mit seinem neuen Amt. Muss er es aufgeben?

    von Cramon: Ich glaube, natürlich muss er das aufgeben. Das wird er auch aufgeben. Ich habe eben noch mal geschaut: die Ghorfa schreibt ja auf ihrer Seite, grundsätzlich verboten ist die Einfuhr von Waren aus Israel. Die Ghorfa ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein in Deutschland. Ich glaube, das ist schon ein ziemlicher Hammer. Wenn man so einem Verein vorsteht, dann ist das garantiert nicht zu vereinbaren mit einer IOC-Präsidentschaft.

    Barenberg: …, sagt Viola von Cramon, die sportpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen.

    von Cramon: Ja! Ich danke Ihnen, Herr Barenberg.


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