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Von den amourösen Wechselfällen des Lebens

Eine Juninacht in Berlin, ein Mann und eine Frau, die sich treiben lassen: Durch eine Verwechslung aufgrund einer Kontaktanzeige begegnen sich die Cutterin Katarina und der Meteorologe Fedo Paulmann. Der knapp Vierzigjährige spricht in einem Kinofoyer die falsche Frau an, und das Abenteuer nimmt seinen Lauf.

Von Katrin Hillgruber | 26.02.2007
    Der Text der Anzeige hatte gelautet: "Melde dich oder lass es bleiben". Diese schnoddrige, für Berlin typische Unverbindlichkeit zieht sich durch Silvio Huonders gesamten Roman. Es ist der erste, der nicht in der Schweiz, sondern in Deutschland spielt. Der aus Chur in Graubünden stammende Autor lebt seit vielen Jahren mit seiner Familie im brandenburgischen Umland. Befördert der Schauplatz Berlin einen atmosphärischen Unterschied zu den helvetischen Liebeswirren, die er bisher geschildert hat?

    "Zum einen sind meine Helden immer sehr entscheidungsschwache Menschen, die lange abwägen und viel überlegen und dann doch zu keinem Schluss kommen und dann zum Glück vom Leben selbst und vom Zufall weitergeschubst werden. Das ist vielleicht das Verbindende. Der Unterschied ist, dass der Roman jetzt ausschließlich in Berlin, also in einer Großstadt, spielt und von daher der Ort, der Schauplatz ein bisschen andere Bedingungen stellt.
    [ ... ] In der Großstadt ist man umgeben von tausend Dingen, Menschen, Bildern, Geräuschen. Von überall her wird dauernd versucht, einen zu verführen. Und man kann sich auf nichts richtig einlassen, weil man schon wieder daran denkt: Vielleicht ist an der nächsten Ecke [ ... ] das noch Bessere, das noch Interessantere, das noch Schönere. Die Landbevölkerung hat die Probleme nicht so sehr, das sind einfach andere Bedingungen. Bei uns ist mittwochs Aldi-Tag, und mit dieser Verführung kann man auch halbwegs umgehen. "

    Silvio Huonder, der 1997 mit dem Roman "Adalina" debütierte, schreibt linear und realistisch. Er instrumentiert sparsam, wenige Striche genügen ihm, um Wirklichkeit zu evozieren. Kurz darauf hebt er mit einem einzigen Detail, einem Nebensatz, den eben entstandenen Eindruck wieder auf. Sein zweiter Roman "Übungsheft der Liebe" hatte einen Rekruten als Helden, den Trainsoldaten Fabio Bosch. Dieses Buch bedeutete für Huonder, der sich einst dem Wehrdienst entzog und lange Jahre bei Reisen in die Schweiz befürchten musste, eingezogen zu werden, wiederum eine erzählerische Heimkehr. Acht Jahre später meldet er sich nun mit "Valentinsnacht" zurück. Wie kam es zur dieser langen Pause? Silvio Huonder:

    "Das ist eigentlich ein Problem des Buchbetriebs. Da wird man ja nur wahrgenommen, wenn man ein Buch im Buchladen hat, ein neues, und wenn man dazwischen Uraufführungen hat, auch wenn das im Staatstheater ist, und Hörspiele, die gesendet werden, neue, oder Dokumentarfilme fürs Fernsehen, dann wird das nicht richtig wahrgenommen. Und so habe ich halt die Pause, diese acht Jahre, mit allerlei anderen Arbeiten verbracht. "

    Silvio Huonders Helden sind stets Probanden, die durch die amourösen Wechselfälle des Lebens zur Reifung gelangen. Auch der Meteorologe Fedo Paulmann neigt zur Handlungsarmut und lässt die Dinge lieber auf sich zukommen. Kyros, Gott der Kälte, nennt er sich bei einem Wetterturnier im Internet. Durch seinen Beruf glaubt er, natürliche Phänomene exakt im voraus berechnen zu können, die Gesetzmäßigkeiten des Chaos ergründen zu können. Doch der Zufall ist es, der die seltsamsten Situationen und Symmetrien schafft, wie es an einer Stelle heißt.

    "Die Liebe und das Wetter, die haben ja eines gemein, und zwar sind das ganz große Dinge, an die wir ganz viele Wünsche knüpfen. Also, es soll im Winter Schnee an Weihnachten geben, der See soll frieren zum Schlittschuhlaufen, wir wollen warmen Frühlingsregen für den Gemüsegarten und dann Sonnenschein für den Urlaub am Meer. Und ähnliche Dinge knüpfen wir eben an die Liebe. Und die Realität sieht dann aber anders aus. [ ... ] Wir werden betrogen und verlassen, und dann verlieben wir uns plötzlich, wenn wir es am wenigsten erwarten. Das sind so die beiden Themen [ ... ] Meteorologie und Liebe, die in diesem Buch hier parallel laufen. Und mit dem einen kann der Held sehr gut umgehen, mit dem anderen überhaupt nicht. "

    Denn eine von "tausend kleinen Möglichkeiten" entfaltet unbarmherzig die Gesetze des Zufalls: Katarina ist in besagter Juni-Nacht schwanger geworden. Das unfreiwillige Paar zieht zusammen. Dabei lassen ihre Aggressionen und seine verfehlten Liebesbeweise die Stimmung erheblich schwanken. Silvio Huonder demonstriert in seinem dritten, sehr zeitgenössischen Roman erneut kaltes Blut und formale Könnerschaft. Lakonisch und mit szenischem Witz beschreibt er die bequeme Unverbindlichkeit der Enddreißiger, die durch einen natürlichen Vorgang in ihren Grundfesten erschüttert wird. Mit dem Geburtenrückgang in Deutschland und der vielbeklagten Zeugungsunwillligkeit der Männer spricht das Buch ein heißdiskutiertes gesellschaftspolitisches Thema an.

    "Ich habe den Roman über längere Zeit, über zwei, drei Jahre entwickelt und geschrieben. Vor einem guten Jahr war er fertig. Und da sprach eigentlich noch niemand von unserer geburtenschwachen Epoche, in der wir leben. Also das hat mich dann selber überrascht, kaum war mein Roman fertig, waren [ ... ]die Medien übervoll mit dem Thema: Woran liegt das, dass unsere Gesellschaft ausstirbt, dass niemand mehr Kinder haben will? Und als Autor hat man halt ein gewisses Sensorium für bestimmte Dinge, die in der Gesellschaft vorgehen. "

    Die Verzweiflung des Fedo Paulmann wächst parallel zu seinem ungeborenen Kind. Tapfer begleitet er Katarina zu den Geburtsvorbereitungskursen, was der Autor mit zuweilen grimmiger Tragikomik schildert. Hinter seiner lakonischen Schreibweise wird ein unterirdisches Zittern spürbar, ein Pyrrhussieg der Biologie über die vermeintliche persönliche Freiheit. Äußeres Zeichen dafür ist ein kleiner Finger, den Paulmann verliert, als er in einem Copy-Shop betrunken in eine Papierschneidemaschine greift. War es Zufall oder Absicht, wollte der werdende Vater eine Art Opfer darbringen? Das bleibt offen.

    "Valentinsnacht" ist voll von solchen irritierenden Symbolen. Doch der Entwicklungsroman tut schließlich das, was er soll: Er entlässt seinen Helden gereift ins Leben. Der bequeme Egoismus, die scheinbar unendliche Jugend der beiden Enddreißiger, von denen Silvio Huonder erzählt, endet urplötzlich an einem 14. Februar.

    "Die doch etwas verkorkste eigenartige Liebesgeschichte, die sich hier entwickelt, die endet ja mit der Geburt eines Kindes, eines ungeplanten Kindes. Und das ist für mich durchaus so was wie eine Rettung aus dieser starren, undefinierten Haltung dem Leben gegenüber. Und man darf sich eigentlich den Moment durchaus erhoffen, dass das Leben anders weitergehen wird, als es bisher war. "