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Von der Einsamkeit der Stars

Der Franzose Nicolas Fargues setzt sich in seinem neuen Roman "Die Rolle meines Lebens" mit dem Phänomen der öffentlichen Prominenz auseinander. Sein Held Antoine ist ein Schauspieler, der gerade seinen ersten großen Erfolg genießt und sich unversehens als Teil der glamourösen Halbwelt der Filmstars wiederfindet.

Von Cornelius Wüllenkemper | 05.10.2009
    Gerade hat es der Nachwuchsschauspieler Antoine Mac Pola auf die Titelseiten der Gazetten geschafft. Dennoch kämpft er mit Selbstzweifeln, hadert mit seiner französisch-karibischen Herkunft. Weder hier noch dort ist er zu Hause, und seine neue Rolle als Filmstar macht ihm da um so mehr zu schaffen. Mit seinem Protagonisten verklausuliert Nicolas Fargues in seinem sechsten Roman einmal mehr Aspekte seiner eigenen Biografie.

    Aufgewachsen ist Fargues in Kamerun und mehr als die Hälfte seines Lebens hat der 37-jährige Franzose im Ausland verbracht. Den rasanten Aufstieg und die plötzliche Medienpräsenz kennt der smarte Autor nicht nur dank seines Bestsellers "Nicht so schlimm" sondern auch aus seiner Zeit als Fotomodell für einen Duft von Chanel.

    "Ich fühle mich als Weltbürger und nicht wirklich als Franzose. Deswegen hatte ich Lust, ein Buch über einen Farbigen zu schreiben. Die Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen ist Teil meines Lebens. Und was den Schauspieler angeht, ist mir die Idee gekommen, weil man ja auch als Schriftsteller von der Öffentlichkeit plötzlich ein Etikett aufgeklebt bekommt, mit der ganzen Mythologie rund um die Schriftstellerei. Und nach einiger Zeit spielt man diese Rolle dann auch wirklich selbst."

    In Nicolas Fargues neuem Roman dreht sich alles um die Frage, wie man in der "Rolle seines Lebens" die Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und seiner Umwelt bewahren kann. Wie geht man mit Erfolg um, der einen plötzlich und unverhofft heimsucht? Fargues Protagonist Antoine droht an dieser Frage zu zerbrechen.

    "Ich wollte kein Generationenporträt schreiben. Mein Held Antoine ist jemand, der Opfer des Systems ist, in dem er lebt ist, er ist ein Produkt seiner Zeit. Und damit steht er natürlich schon für seine Generation. Einerseits ist er von den illusorischen Werten seiner Umwelt fasziniert, andererseits wirft er einen zynischen Blick auf seine Zeitgenossen. Die Verwirrung, in der sich Antoine befindet, ist typisch für seine Generation: In dieser künstlichen Hochglanzwelt hat er Schwierigkeiten, an die Liebe zu glauben, und er weiß einfach nicht, wohin mit seinem Leben."

    Antoine verfällt der blinden Faszination für Ruhm und Prominenz: Er verliebt sich in eine Schauspieldiva, die ihn mit ihren narzisstischen Spielen erniedrigt und damit umso mehr anzieht. Ein alter Schulfreund nimmt zu ihm Kontakt auf und lädt ihn zum Abendessen ein. Antoine nimmt an, denn er will sich selbst treu bleiben und weiterhin mit den ganz normalen Menschen zu tun haben. Und dennoch: Beim Diner verfällt er in die Rolle des Stars, hält selbstüberzeugt große Monologe und lässt sich von der Abendgesellschaft noch dafür hofieren. Offenbar spielt er seine neue Rolle als Filmstar besser als er selbst denkt:

    "Ich wollte zeigen, wie künstlich die Beziehungen zwischen den Menschen sind und wie einsam man letztlich ist. Bei diesem Abendessen sitzen vier Menschen um einen Tisch, und jeder versucht, das Beste für sich dabei rauszuholen. Mein Buch ist eine Manifest der Einsamkeit. Das wird deutlich als Antoine noch einmal eingeladen wird, eben weil sein Schulfreund ihn als Star verehrt."

    Wer von allen bedingungslos bewundert wird, bleibt am Ende einsam und unverstanden - das ist der ernüchternde Tenor von Fargues Erzählung. Dem Leser erscheint Antoine zunächst schemenhaft, sein Charakter wenig markant. Erst am Ende des Romans eröffnet uns der Protagonist seine Herkunft, seine Zerrissenheit zwischen der Welt der Schwarzen und der Welt der Weißen und den mühseligen Weg zum Erfolg. Nicolas Fargues schmuckloser, lapidarer Stil zeichnet Antoine mehr als Hülle denn als Romancharakter.

    "Ich versuche, über die Wirklichkeit zu schreiben, indem ich die kleinen Dingen ins Auge fasse. Ich gehe so vor, weil ich eigentlich keine Geschichten erzählen kann, ich bin sicher kein Storyteller. Ich denke viel nach und meine Romane sind deswegen eher beschreibend als erklärend. Ich sage nicht, dass Literatur so sein muss, aber das ist eben mein Stil."

    Fargues ist bekennender Verehrer von Michel Houellebecqs krudem Realismus. Hier sind die Menschen nicht Individuen, sondern spielen Rollen in einer durchorganisierten Gesellschaft. Raum für Persönlichkeitsentwicklung bleibt in diesen rasant heruntergespulten Lebensläufen kaum, für Selbstzweifel ist kein Platz. Wer nicht an sich glaubt, geht unter. So auch Antoine: Freunde, Familie und Öffentlichkeit wollen in ihm nichts anderes sehen als den Star, der ein traumhaftes Leben führt, erhaben über jeden Zweifel.

    "Irgendwann stellt sich da auch die Frage nach der eigenen Identität. Nun ist man als Schriftsteller selten so bekannt wie ein Schauspieler. Aber ich konnte mir vorstellen, wie man durch das eigene Bild in der Öffentlichkeit seine eigentliche Identität verliert. Darum geht es bei Antoine. Es ist unglaublich, wie die Leute einen plötzlich angucken, wenn man Erfolg hat, übrigens auch die eigene Familie – so, als wenn sie nicht mehr zu ihnen gehören!"

    In einem Ton zwischen unaufgeregtem Realismus und intelligenter Plauderei zeichnet Nicolas Fargues in "Die Rolle meines Lebens" das Porträt eines Mannes, der sich in einer Welt der improvisierten Identitäten auf der Suche nach authentischer Liebe – und Selbstliebe zu verlieren droht. Gleichzeitig wird uns in diesem lesenswerten Roman ein Spiegel vorgehalten. Denn ohne unsere blinde Bewunderung, ohne unseren Glauben an Ruhm und Erfolg, ohne die Projizierung unserer Sehnsüchte, wären die Stars doch nur ganz normale Menschen.

    Nicolas Fargues: Die Rolle meines Lebens
    Rowohlt, Hamburg, 17. 07. 2009, Hardcover, 224 S., Deutsch von Christian Kolb