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Von der Erotik des Zeiten vernichten

Wenn die Journalisten / noch eine Weile hier in der Gegend bleiben, / verkündet der Landesfürst von Bakschischestan, / der Blick träumerisch Richtung Hindukusch, / brauchen wir die nächsten Jahre keine Baumwolle anbauen.

Lutz Rathenow | 17.09.2002
    Es findet sich in dem neuen Gedichtband "Von der Erotik des Zeiten vernichten", den der bekannte lyrische Spezialist für gepflegtes Hohngelächter Adolf Endler mit Vorwort einleitet. Er gerät ins Schwärmen und erkennt sich wohl selbst, wenn er die Gedichte von Matthies in Kontraste aufsplittert und bündelt. Sie seien "grölend wie lispelnd, rasant wie bedächtig, schmissig wie zögerlich, rauh und nicht minder sanft."

    Wer ist der 1952 geborene Frank-Wolf Matthies? 1976 präsentierte Franz Fühmann in der Zeitschrift "Sinn und Form" die neuen Talente Uwe Kolbe und Matthies nachdrücklich. 1979/ 80 veröffentlichte der Rowohlt Verlag zwei Bücher des zornigen jungen Mannes aus Ostberlin. Er schrieb sich in der Nachfolge von Rolf Dieter Brinkmann in die Literatur hinein. Die DDR laufe aus wie ein rostiger Eimer, bald sitze er da mit Honecker allein. In seiner Wohnung fanden Lesungen statt. Matthies war einer der frühen Konstrukteure jener Prenzlauer-Berg-Connection, die später allerdings ohne ihn in die West-Medien hineinwuchs.

    Im November 1980 diskutierten Günter Grass und Johanno Strasser in seiner überfüllten Wohnung, wie man in der DDR polnische Verhältnisse herstellen und den Realsozialismus destabilisieren könnte. Der Wohnungsinhaber wurde verhaftet und 1981 nach Westberlin entlassen. Er stritt noch mit Grass in einer Zeitschrift über die deutsche Kulturnation und verschwand langsam aus der Öffentlichkeit. Zuerst aus der politischen, dann aus der literarischen, in der freilich seine Prosa in kleinen Verlagen vorliegt. Sie verstrickte sich oft in ihren Anspielungen und den vom Autor liebevoll gepflegten Aversionen. Selbst auf Eingeweihte wirkte das kaum verständlich, vielleicht machte es Matthies auch nur Spaß, bei zufälligen Lesern Ratlosigkeit auszulösen.

    Sein neuer Gedicht-Band Von der Erotik des Zeiten vernichten könnte eine Wiederentdeckung sein. Alte Figuren aus seinem Werk (Vater Ubu von Alfred Jarry) tauchen wieder auf, mit neuen Freunden wird über die Welt gehadert und gespottet. Der alternde Rebell zieht poetische Energien aus seiner Vereinzelung. Er steht sich oft selbst im Wege und betrachtet sich dann staunend. Die Unterschiede beim poetischen Herangehen von Matthies sind beträchtlich. Er kommt uns nicht nur in seinen Liebesgedichten zärtlich bis zotig daher. Immer wieder spaziert seine Frau P. durch die Zeilen, aller Zynismus schwindet, wenn er ansetzt:

    Eines Vormittags aber ging sie/ Hinaus, direkt in die Märchen / Kein Blick, kein Hauch, kaum ein Duft/ Füllte die Leere, einzig die / Sehnsucht summt manchmal seither.

    In anderen Texten geht es körperlicher zu. Da gerät sogar das Datengerät der kessen Postfrau in seinem Lederfuteral zum Objekt der Begierde.(Manchmal verliert Matthies die Kontrolle beim Spiel mit den Klischees, Hilflosigkeit zeigt sich reimhaft pur und "endlich Ruh" gesellt sich zu "ab und zu". Häufiger sind zum Glück präzise Wortbilder aus seiner Brandenburger Provinz, das mehrseitige Poem "Wildau im September" gehört zum lyrisch Besten über östliche Befindlichkeiten im neu vereinigten Deutschland.) Der Ruhm an sich und der Ruhm anderer wird immer wieder zu einem Thema. "Manche Leute haben wirklich keinen Ehrgeiz" setzt ein Gedicht an. Zu Neugier und Sprachvermögen gesellt sich bei Matthies zunehmend Selbstironie. Er dichtet sich in ver-schiedene lyrische Rollen, um sich mehr Geselligkeit zu verschaffen. (In den prosaischen Anmerkungen zur Lyrik findet sich folgendes Selbstporträt: "Was ich im Leben bin, läßt sich schnell sagen: ein Einsiedler zu sechst - mit meiner Frau, unserem Hund, der Katze und zwei Kaninchen ... Ich habe zwei, drei Freunde, denen ich viel verdanke, doch die ich beinahe nie sehe.")

    Wird bei ihm auch etwas vom Verschwinden einer ganz speziellen Ost-Generation spürbar? Solchen ins Allgemeine zielenden Erwägungen muß sich keiner hingeben, der seine Zeit mit dem Lesen dieser Gedichte vernichten will. Einige stehen nur für sich, fast vollendet und kostbar:

    Einzig/Nur das Geheimnis/Bietet den Raum/Für Deine Welt/Neben der meinen./ Einzig Dir nur/Öffnen sich/Meine Träume./Einzig mein Rätsel/Wartet auf Antwort/Jeden Moment