Donnerstag, 28. März 2024

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Männliche Brustwarzen
Keine unnütze Verzierung

Wozu ist sie überhaupt da - die männliche Brustwarze? Schließlich können Männer nicht stillen. Der Grund liegt in der vorgeburtlichen Entwicklung: Bis zur zehnten Schwangerschaftswoche entwickeln sich Embryos als Zwitter. Erst danach treten Unterschiede auf. Die männliche Brust ist daher der weiblichen ähnlicher als gedacht.

Von Justin Westhoff | 04.04.2017
    Zur Frage, warum auch Männer Brustwarzen haben, wo sie doch gar nicht stillen, machen sich auch Internetuser beiderlei Geschlechts so ihre Gedanken:
    "Damit man vorne und hinten unterscheiden kann."
    "Weil ein Mann ein verkümmertes Exemplar einer Frau ist."
    "Wir würden ohne einfach blöd aussehen."
    Die echte Erklärung liegt in der vorgeburtlichen Entwicklung: "Männer haben Brustwarzen, weil der Mensch embryonal als Zwitter angelegt wird. Das ist genetisch einfacher, als die Besonderheiten des Geschlechts dann einzeln auszuformen und durch eigene Gene zu bestimmen."
    Nach etwa sechs Wochen im Mutterleib wird beim Ungeborenen gegebenenfalls das männliche Geschlechtshormon Testosteron aktiv, erklärt Professor Carsten Niemitz, Anatom und Biologe, der an der Freien Universität Berlin arbeitete:
    "Wenn man einen Embryo in den Entwicklungsstadien betrachtet, dann sieht man im ersten Monat, dass das völlig gleich ist bei späteren Mädchen oder Jungen, und im zweiten Monat, besonders in der zweiten Hälfte des zweiten Monats, da sieht man dann einen Unterschied."
    Auch Männer haben alle Voraussetzungen zum Stillen
    Im Grunde hat die männliche Brust sogar alle Voraussetzungen zum Stillen, wie etwa die – wenn auch verkümmerten – Drüsen und die Milchgänge. Bei bestimmten hormonellen Störungen können sogar in sehr seltenen Fällen kleine Tropfen einer milchähnlichen Substanz austreten. Und es gab früher Berichte über stillende Männer. Alexander von Humboldt etwa kam auf einer Forschungsreise 1799 in ein kleines Dorf in Venezuela. Dort erzählte man ihm von einem Bauern:
    "Als die Mutter krank wurde, reichte Francisco Lozano dem Baby die Brust und stillte es fünf Monate lang zwei- bis dreimal täglich."
    Ähnliche Geschichten findet man auch im Talmud des Altertums und sogar noch im 19. Jahrhundert. Der Wahrheitsgehalt lässt sich nicht überprüfen, und in der Fachliteratur ist davon ohnehin keine Rede. Möglich scheint hingegen, dass Frauen, die noch nie entbunden haben, zum Beispiel das Kind einer verstorbenen Schwester stillen können.
    Aber auch die männlichen Brustwarzen scheinen nicht völlig unnütz zu sein. Eine Ähnlichkeit mit denen von Frauen gebe es, sagen Internetnutzer:
    "Männer haben Brustwarzen zum Lustgewinn"
    Die Brustwarze: eine erogene Zone des Mannes
    Die männlichen Brustwarzen sind in der Tat oft genauso empfindlich wie die weiblichen, bestätigt der Biologe Carsten Niemitz:
    "Das ist so, und auch die Aufrichtbarkeit durch interne Muskulatur ist völlig gleich gesteuert. Beim Kältereiz sieht man öfter also auch beim Unterhemd des Mannes etwas deutlicher."
    Aber es geht ja nicht nur um die Mamillen, die "Warzen", sondern um die männliche Brust insgesamt. Hier können durchaus Krankheiten entstehen. Neben dem sehr seltenen Krebs in dieser Region beim Mann kommt es relativ häufig zu einer Gynäkomastie, einer Vergrößerung, die weibliche Ausmaße annehmen kann. Dr. Uwe von Fritschen, Plastischer Chirurg von den Helios-Kliniken Berlin, erläutert die Ursachen:

    "Im Prinzip unterscheidet man zwischen physiologischen, also "normalen" Brustvergrößerungen, das wäre bei praktisch allen Neugeborenen, dann in der Pubertät wieder und schließlich auch bei älteren Männern, ist es auch fast immer der Fall. Und dann gibt es Verschiebungen im Hormongleichgewicht, die aus unterschiedlichen Ursachen kommen können. Hormonbildende Tumore, es kann eine Störung der Schilddrüsenfunktion sein, eine Leberzirrhose, häufig sind Medikamente, auch beliebte Drogen, aber sehr häufig ist es natürlich auch ein Übergewicht."
    Männliches Leiden an weiblich anmutender Brust
    Der Biologe Professor Niemitz erzählt zur Gynäkomastie noch ein anderes Beispiel: "In der Frühzeit der Entwicklung der Antibabypille gab es so etwas auch, damals waren die Dosen sehr hoch, die in diesen Pillen waren, aus einer Fabrik in Mexiko wird das berichtet, da haben die Brüste entwickelt, weil sie diese Hormone des Abriebs der Pillen, die auf dem Fließband ankamen, wenn die sie einsortiert haben in die Folien, eingeatmet haben."
    Ist eine weiblich anmutende männliche Brust eher ein Schönheitsmakel oder eine Krankheit? Dr. Uwe von Fritschen:
    "Es gibt große Studien die zeigen, dass gerade Jugendliche erheblich darunter leiden, wenn sie halt eine Brust haben, die der Stolz jeder Mädchenklasse wäre, die sind sozial isoliert, machen keinen Sport mehr, und das hat auch Krankheitswert."
    Bei männlichen Jugendlichen geht die vergrößerte Brust nach der Pubertät zwar fast immer von alleine zurück. Aber, wie gesagt: Sie werden oft gehänselt. Man sollte denken, so ein Junge sollte erst einmal mit sportlichen Aktivitäten abnehmen, bevor er eine kostspielige und nie absolut nebenwirkungsfreie Operation anstrebt. Allerdings ist das leicht gesagt, denn die "weibliche" Brust zeichnet sich auch durchs T-Shirt ab.
    "Und in solchen Fällen kann man auch ausnahmsweise sagen, klar, er muss abnehmen, Hungern klappt häufig nicht so gut, Sport trau er sich nicht, man saugt den Teil zum Beispiel ab, was kein großer Eingriff ist, dass man ihn überhaupt erst mal auf den Weg bringt, an seinem Körper ein bisschen was zu machen."
    Meist besteht die operative Therapie aus einer Kombination von Fettabsaugung und Entfernung des Drüsenkörpers. Wie kompliziert, wie folgenreich ist ein solcher Eingriff bei Männern generell? Das kommt vor allem auf die Größe der Brust und auf die Beschaffenheit der Haut an, sagt Uwe von Fritschen.
    "Je kleiner die Brust natürlich ist und je fester die Haut, um so weniger Narben muss man machen, manchmal nur einen ganz kleinen Schnitt unterhalb der Brustwarze, ist es aber eine sehr große Brust und ein großer Hautüberschuss, dann muss man den Hautüberschuss auch irgendwie entfernen, und dann gibt es mehr Narben."
    Rückentwicklung evolutionär zu aufwendig
    Nun ist der Plastische Chirurg keineswegs dafür, einfach mal so jedem Wunsch nach einer operativen Entfernung der Gynäkomastie nachzukommen.
    "Wichtig ist, dass, bevor man mit einer Therapie beginnt, eine gewissenhafte Untersuchung macht, das heißt, ein Endokrinologe, Urologe, eventuell auch Kinderarzt, sollten Erkrankungen ausschließen, dann ist wichtig festzuhalten, dass nicht jede Gynäkomastie behandelt werden muss, wenn die Patienten es nicht stört, oder besonders in der Pubertät kann man auch gut zuwarten, und die Operation ist dann sicherlich dem kleinen Teil vorbehalten, bei dem das entweder nicht funktioniert, oder die eben beträchtlich darunter leiden und sich sozial isolieren."
    Schließlich zurück zur Evolution: Man kann sich ja sich fragen, warum die Brustwarzen beim Knaben im Lauf der Embryonalentwicklung nicht wieder verschwinden. Der Anthropologe Carsten Niemitz:
    "Ein Organ wieder weg zu rationalisieren durch einen Entwicklungsprozess, wäre ein ungeheurer Aufwand. Und da sie nicht stören, kann man sie da lassen."