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Von der Leyen: Rente mit 67 ist gerechte Lösung

Ursula von der Leyen sagt, dass die Wirtschaft anfange, sehr viel stärker die Kompetenzen des Alters zu schätzen. Die Bundesarbeitsministerin räumt aber ein, dass künftig bei den 55-Jährigen und Älteren in die Weiterbildung investiert werden müsse.

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Silvia Engels | 02.01.2012
    Silvia Engels: Lange beschlossen, nun geht es los: Ab diesem Jahr steigt die Altersgrenze schrittweise an, ab der man ohne Abschläge in Rente gehen kann. Für dieses Jahr gilt: Ausscheidende Arbeitnehmer müssen 65 Jahre plus einen Monat alt sein, um ihre vollen Altersbezüge zu bekommen. Im nächsten Jahr sind es dann zwei Monate mehr und so steigt die Grenze langsam an, bis ab 2031 die Versicherten erst in der Regel mit 67 Jahren zur Ruhe gehen können. Am Telefon ist die zuständige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, CDU, guten Morgen, Frau von der Leyen!

    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Sozialverbände warnen ja schon lange, viele Menschen würden es gesundheitlich nicht schaffen, so lange zu arbeiten. Zudem fänden zu wenig Ältere einen Job, um bis 67 genügend Beiträge für eine auskömmliche Rente gesammelt zu haben. Droht Altersarmut auf breiter Front?

    von der Leyen: Nein, das ist nicht der Fall. Und wenn ich diese beiden Eingangskritikpunkte gleich aufgreifen darf, zunächst einmal die Frage, ob wir bis 67 arbeiten können: Man sollte nicht verkennen, dass in den letzten 50 Jahren allein sich die Lebenserwartung um zehn Jahre verlängert hat, das heißt, die Rente wird auch deutlich länger in Anspruch genommen. Wir sind gesünder und fitter, das weiß jeder, wenn man vergleicht mit den eigenen Großeltern, dass heute die Über-50-Jährigen, Über-55-Jährigen viel fitter sind, als das vor 50 oder 80 Jahren der Fall gewesen ist. Also, da hat sich wirklich was verändert in der Lebenserwartung und im Gesundheitszustand. Und zweitens haben wir eine Veränderung der Gesellschaft, da sehr viel weniger Kinder geboren sind in den letzten 50 Jahren, also weniger junge Menschen da sind, die in Zukunft, in den nächsten 20, 30, 40 Jahren die Rentenkasse füllen werden, das heißt, die monatliche Rente auch erarbeiten für die Älteren. Und wenn man dieses Gleichgewicht nimmt, also sehr viel mehr Ältere, die länger ihre wohlverdiente Rente beziehen, und sehr viel weniger Jüngere, die diese Rente Monat für Monat erarbeiten, dann gibt es eigentlich nur drei Wege, wie man dieses Ungleichgewicht auflösen kann: Entweder, man könnte die Renten kürzen auf die Dauer, das wollen wir nicht. Oder man könnte die Beiträge raufsetzen, das würde die jungen Menschen ersticken, weil sie sehr viel stärkere Lasten noch tragen müssen. Oder die dritte Variante ist, dass von diesen zehn gewonnen Lebensjahren wir zwei Jahre mehr arbeiten. Und ich glaube, das ist eine der fairsten und gerechtesten Lösungen, die wir finden konnten als Gesellschaft, und das ist auch der Grund des Einstiegs jetzt.

    Engels: Aber dann muss der Job auch gefunden werden. Und es ist ja nun auch CSU-Chef Seehofer, der warnt, die Beschäftigungschancen für Ältere seien noch nicht gut genug. Er sagt, ich zitiere: Das bisher Erreichte genügt nicht, mit mir ist eine massenhafte Rentenkürzung nicht zu machen. Das sind doch schwere Geschütze?

    von der Leyen: Es ist richtig, dass wir besser werden müssen, aber wir sollten auch schauen, woher wir kommen. In den letzten zehn Jahren, wenn ich die mal nehme - da war ja noch nicht die Rente mit 67 da, sondern nach wie vor normale Arbeitsmarktlage, Rente mit 65 Jahren -, hat sich enorm was verändert, was das Bild des Alters in der Wirtschaft angeht. Allein die Erwerbstätigkeit der Älteren hat sich verdoppelt in diesen letzten zehn Jahren und ganz egal, ob Sie die Erwerbstätigen an sich rechnen oder nur die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Es sind die Älteren, wo der Zuwachs an Arbeit in den letzten zehn Jahren am stärksten ist im Vergleich zu allen anderen Bevölkerungsgruppen. Das heißt, die Wirtschaft, die auch zunehmend Fachkräfte sucht - weil unser Problem nicht die Arbeit ist, die getan werden muss, sondern die Menschen immer weniger werden, die wir zur Verfügung haben, die diese Arbeit auch ausführen können -, die Wirtschaft fängt an, sehr viel stärker die Kompetenzen des Alters zu schätzen, Lebenserfahrung, Berufserfahrung, Betriebswissen der Älteren. Da ändert sich einiges und das ist der Trend, der weitergehen muss. Ich will nicht sagen, dass wir am Ende des Weges sind. Wir werden sehr viel stärker investieren müssen in das Thema Weiterbildung, da müssen wir besser werden. Im Augenblick ist die Weiterbildung sehr stark konzentriert auf die Mittelalten, wir müssen bei den 55-Jährigen und Älteren in die Weiterbildung investieren. Wir müssen mehr investieren in die körperliche Vorsorge, in die seelische Gesundheit der Mittelalten und Älteren, damit wir eben länger gesund, gut motiviert arbeiten können. Aber die Chancen sind so gut wie nie und das ist auch die Zeit, jetzt die Weichen neu zu stellen und zu sagen, in einer Gesellschaft des langen Lebens sollten wir eben diese gewonnenen Lebensjahre auch durch Wissen, das wir in den Arbeitsmarkt einbringen, besser nutzen.

    Engels: Der Zuwachs der Jobmöglichkeiten für die Älteren auf dem Arbeitsmarkt sei überproportional gestiegen, das haben Sie eben noch einmal wiederholt. Gilt diese Statistik auch noch, wenn man nun herausrechnet, dass aufgrund einer Sonderregelung ja ältere Jobsuchende über 58 gar nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, wenn sie ein Jahr kein Jobangebot bekommen haben?

    von der Leyen: Ja, das gilt auch noch. Denn in der Tat, es hat diese Statistikänderung gegeben ...

    Engels: ... warum eigentlich?

    von der Leyen: Ja, weil die Vorgeschichte ist, dass bisher es so war, dass 58-Jährige von sich aus sagen konnten, wir möchten nicht mehr vermittelt werden, und damit ganz rausfielen aus allem. Rausfielen aus der Vermittlung, rausfielen aus der Statistik, nicht mehr als arbeitssuchend gezählt wurden. Das ist verändert worden. Das war übrigens ein Punkt, wo dann sprunghaft die Statistik der älteren Arbeitslosen anstieg, weil man sagte, nein, sie müssen weiter vermittelt werden, also als arbeitssuchend angesehen werden, aber sie sind nicht mehr, wenn sie ein Jahr lang kein Angebot am Arbeitsmarkt bekommen haben, in der Arbeitslosenstatistik. Wir machen mal einen einfachen Versuch: Wenn man vergleichen würde die heutige Statistik verglichen mit 2008 und sagen, die auf die Zeit anwenden, dann sieht man am deutlichsten, was sich verbessert hat. Damals hatten wir 620.000, im Jahr 2008 620.000 Personen, die nicht in der Statistik nach den heutigen Vorstellungen auftauchten. Heute sind es nur 100.000. Daran sieht man: Auch die Zahl der älteren Langzeitarbeitslosen ist gesunken insgesamt. Der Arbeitsmarkt brummt, ist aufnahmefähig. Das Bild der Älteren verändert sich, es tut sich was. Ich sage aber zum Schluss immer noch deutlich: Es muss sich natürlich noch einiges tun in den nächsten 20 Jahren, wenn wir langsam, Schritt für Schritt, die Rente mit 67 erreichen.

    Engels: Und nehmen wir an, es klappt nicht so, nehmen wir an, die Älteren bekommen nicht in so großem Maß jetzt neue Jobs zugewiesen: Müssen Sie dann nachbessern, müssen dann zum Beispiel die Abschläge, die ja derzeit hoch sind, wenn man doch früher in Rente geht, doch geringer sein, heißt, mehr von der Rente bleiben?

    von der Leyen: Man muss da deutlich die Diskussion so führen, dass dann auch gesagt wird, was die Konsequenzen sind. Die Konsequenzen wären für die junge Generation, also in zehn, 15, 20 Jahren für die junge Generation, deutlich mehr in die Rentenkasse einzahlen, als das heute der Fall ist. Sie werden sowieso schon mehr zahlen müssen, das wissen wir heute. Sie werden nicht wie wir 19,6 Prozent in die Rente einzahlen müssen des Einkommens, sondern es werden dann 22 Prozent sein, das ist heute schon feststehend. Aber diese Zahl würde noch deutlich steigen. Und deshalb noch mal mein Eingangsargument: Wir leben länger, wir haben mehr Ältere, es werden zu dem Zeitpunkt sechs Millionen mehr Menschen im Rentenalter sein, aber sechs Millionen weniger Menschen auch am Arbeitsmarkt sein. Das heißt, weniger Junge sind da, die die Rentenkasse füllen. Wenn wir diese Balance halten wollen, wenn wir generationengerecht bleiben wollen zwischen den Alten, die die wohlverdiente Rente brauchen, und den Jungen, die sie erarbeiten müssen, dann ist der Weg, länger zu arbeiten, zwei Jahre länger zu arbeiten, der richtige, denn die Alternative wäre Rentenkürzung oder eben Beiträge rauf. Und beides ist meines Erachtens nicht zumutbar.

    Engels: Das heißt also für Herrn Seehofer, es ändert sich offenbar nichts?

    von der Leyen: Doch, es ändert sich enorm was in der Wirtschaft und ich glaube, diesen Mut muss man auch der Wirtschaft zutrauen. Denn sie haben ja schon bewiesen in den letzten zehn Jahren, dass sie sehr viel stärker auf die Älteren zugehen. Ich bin auch der Überzeugung, dass wir uns - also, das betrifft ja meine Generation, ich muss bis 66 arbeiten, diejenigen, die 64 geboren sind oder jünger sind, müssen bis 67 arbeiten. Das heißt, wir, diese jungen Alten, wir sollten uns mehr zutrauen, wir sollten uns zutrauen, das auch zu schaffen, wir sollten uns zutrauen, wirklich die Kompetenzen zu entwickeln am Arbeitsmarkt, dieses Land auch mit voranzubringen, auf uns kommt es ja an, wir werden gebraucht und gesucht. Und das ist der Trend, wohin es geht, nämlich, dass die Älteren am Arbeitsmarkt die Kompetenzen haben, die in der Zukunft gebraucht werden.

    Engels: Ursula von der Leyen, CDU, die Bundesarbeitsministerin. Wir sprachen über die Rente mit 67, vielen Dank für das Gespräch!

    von der Leyen: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.