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Von der Tafel an die Werkbank

Seit zehn Jahren können bayrische Gymnasiallehrer für ein Jahr in die Wirtschaft wechseln. Durch den Austausch sollen sie Abiturienten besser auf Wirtschaftsberufe vorbereiten können. Vor Kurzem sind sechs neue Lehrkräfte in das bundesweit einmalige Projekt gestartet.

Von Susanne Lettenbauer | 30.10.2013
    Morgens um halb acht. Judith Scholl hält ihren Betriebsausweis an die Schleuse des BMW-Werkes München. Das Drehkreuz öffnet sich. Ein neuer Tag für die Lehrerin in der Wirtschaft:

    "Ich bin hier im Gebäude 162, da sind ganz moderne neue Ausbildungswerkstätten, hier unten sehen sie schon die ersten Drehmaschinen. Da werde ich noch zwei Tage lang eine Basisqualifizierung mitnehmen dürfen. Also ich darf auch mit Blaumann und Schutzbrille hier mit den Azubis lernen, wie man Metall bearbeitet. Ich bin schon sehr gespannt."

    Judith Scholl stand im vergangenen Jahr noch vor Gymnasiasten am Humboldt-Gymnasium in Vaterstetten bei München. Seit dem 12. September ist sie bei BMW angestellt, hat gelernt, wie man per Outlook-Programm die plötzliche E-mailflut bewältigt, weiß jetzt, wie man sich richtig bewirbt in der Wirtschaft, nimmt an Recruiting-Prozessen teil, betreut Auswärtstermine und genießt die Teamarbeit, die es an Gymnasien oft nicht gibt:

    "Ich habe Mathematik und Chemie für das Lehramt an Gymnasien studiert und zusätzlich noch technisches Englisch in einem Ergänzungsstudium aus privatem Interesse. Nachdem ich hier auch mit Internationalen Kontakt habe, ist das natürlich sehr praktisch, dass ich gut Englisch spreche."

    Die junge Studienrätin erfuhr von dem Projekt Lehrer in der Wirtschaft bereits im Referendariat vor fünf Jahren. Doch ohne Berufserfahrung kann man sich nicht dafür bewerben, also versuchte sie es in diesem Jahr und wurde genommen - von Konstanze Carreras aus der Personalabteilung der BMW Group mit Schwerpunkt Internationale Steuerung Berufsausbildung. 25 Bewerbungen lagen in diesem Jahr auf ihrem Tisch, alle Altersstufen und alle möglichen Fächerkombinationen:

    "Uns ist wichtig, dass die Bewerber zu uns passen, dass die Chemie stimmt, dass wir sehen, da ist ganz einfach eine Bereitschaft da zu lernen, auch die Dinge wieder zu den Schülern zurückzutragen."

    Bei BMW würden nicht nur Realschüler, sondern auch viele Abiturienten eine Ausbildung beginnen, da sei es wichtig den Austausch zwischen Gymnasium und Firma zu fördern, sagt Carrera. Deshalb übernehme ihr Unternehmen auch alle Kosten der Studienrätin Scholl, vom Gehalt bis hin zu den Beamtenzuschlägen. Denn die Lehrkräfte werden für das eine Jahr vom Kultusministerium freigestellt:

    "Weil wir als Unternehmen viel gelernt haben und auch gesehen haben, dass die Lehrer, die bei uns gearbeitet haben, auch einfach ihre Dinge wieder mit in ihren Berufsalltag eingebracht haben und dieser Austausch einfach für beide Seiten sehr konstruktiv ist."

    Judith Scholl kann sich jetzt schon vorstellen, wie sie ihre Erfahrungen nach einem Jahr an ihrem Gymnasium umsetzen möchte:

    "Ich habe mehrere Ideen, ich könnte mir gut vorstellen, was zum Thema Stärkenorientierung zu machen, das ist ein ganz wichtiger Ansatz hier bei der Berufsausbildung beider BMW-Group. Hier lernen Azubis schon zu Beginn ihrer Ausbildung in Workshops ihre fünf ausgeprägtesten Talente kennen."

    Ein Ansatz, der auch Gymnasiasten helfen könnte bei der späteren Berufswahl, hofft der Chef der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Zu den 95 Lehrkräften, die seit 2001 teilnahmen, gehörten erstaunlicherweise mehr Frauen als Männer, so Bertram Brossardt. Derzeit beteiligen sich Siemens, BMW, die Augsburger Lechwerke und MTU an dem Projekt.

    "Wir sind sehr daran interessiert, dass die Lehrer ein gutes und realistisches Bild der Wirtschaft in den Schulen verbreiten. Unsere Lehrer, die in den Wirtschaftsunternehmen arbeiten, erleben dort die reale Welt wie dort Profit erzielt werden muss, wie dort im Team gearbeitet werden muss. Sie sehen dort sehr realistisch, was auf ihre Schüler zukommt."

    An den Lechwerken Augsburg, dem Stromversorger der Region, hilft derzeit ein älterer Lehrer aus. Er koordiniert Schulprojekte des Unternehmens und ist an diesem Tag wie so oft gerade unterwegs, sagt Firmensprecher Eckard Wruck:

    "Unser Lehrer ist wie alle anderen Mitarbeiter voll in das Tagesgeschäft eingebunden, das heisst, er bekommt alles mit, was uns im Bereich Marketing, Kommunikation, Bildung bewegt. Heute ist er gerade unterwegs. Er kümmert sich heute um ein Fortbildungsseminar für Schulleiter, wo wir über die Energiezukunft informieren, wo wir über Wasserkraft und Erzeugung diskutieren. Dieses Programm hat er mitorganisiert und jetzt ist er natürlich vor Ort und schaut, dass alles vernünftig läuft."