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Von der Wirklichkeit eingeholt

Die katholische Kirche in Polen sieht sich Vorwürfen des Kindesmissbrauchs ausgesetzt. Und obwohl die Fälle zum Teil bekannt waren, durften Priester weiter mit Kindern arbeiten. Die Reaktionen der Kirche darauf sorgten für einen Aufschrei: Sie gab den Eltern der Kinder eine Mitschuld.

Von Sabine Adler | 17.10.2013
    Polens katholische Kirche geht mit den Missbrauchsfällen ihrer pädophilen Priester um, als sei der Eiserne Vorhang nie gefallen, als hätte sie nie gehört von den Skandalen in Irland, den USA oder Deutschland. Die polnischen Würdenträger glaubten offenbar bis vor Kurzem, vor derartigen Verbrechen gefeit zu sein. Nun kritisieren polnische Kommentatoren, machen sie alle Fehler, die man machen könne, obwohl der Vatikan Richtlinien erlassen hat, wie mit den Tätern in den eigenen Reihen umzugehen ist.

    Zwar wurden einzelne Missbrauchsfälle bereits vor mehr als zehn Jahren bekannt, brach die Welle der Empörung dennoch erst vor Kurzem los. Papst Franziskus hatte seinen Nuntius in der Dominikanischen Republik abberufen, den polnischen Erzbischof Jozef Wesolowski, weil er Kinder sexuell missbraucht haben soll. Kurz darauf wurde bekannt, dass auch dem polnische Priester Wojciech Gil, der ebenfalls in dem karibischen Land tätig war, ähnliche Verbrechen zur Last gelegt werden. Auf dem Computer des Priesters Wojciech Gil sollen Tausende von Kinderpornofotos gefunden worden sein, weswegen ihn Interpol zur Fahndung ausgeschrieben hat. Der Priester ist inzwischen wieder in Polen, er hält sich für unschuldig.

    "Ich bete für diese Kinder. Ich bitte den Herrgott, dass sie mir vergeben, aber gleichzeitig weiß ich, dass ich ihnen nichts Böses getan habe."
    Für die polnische katholische Kirche kommen die Vorwürfe zur Unzeit, statt sich zu feiern und zu freuen über die für das nächste Jahr geplante Heiligsprechung von Papst Johannes Paul, holt sie nun die raue Wirklichkeit ein, auf die die Würdenträger keine adäquaten Antworten finden und fanden. Zwei Warschauer Jungen, Ministranten, sind im Jahr 2001 missbraucht worden und hatten sich Jahre später wegen der sexuellen Übergriffe ihres Priesters an einen Psychologen gewandt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, der Priester wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und arbeitete dennoch bis vor Kurzem in der Pfarrei, wo er weiter Kontakt mit Kindern hatte.

    Noch vorige Woche nahm die Amtskirche den verurteilten Kinderschänder in Schutz, spielte der Kanzler der Kurie, Wojciech Lipko, die Vorwürfe herunter.

    Dieses Abwiegeln und Aussitzen löste Empörung in der polnischen Öffentlichkeit aus. Erzbischof Hozer enthob daraufhin den katholischen Würdenträger Lipko seines Amtes und entschuldigte sich, allerdings nicht für die gesamte Kirche, wie er hinzufügte.

    Auch Józef Michalik, der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, reagierte mit denkbar ungeeigneten Mitteln. Er verschlimmbesserte die Lage nachhaltig. Denn er gab den Familien der missbrauchten Kinder, Eltern, die geschieden sind, eine Mitschuld.

    "Viele dieser sexuellen Belästigungen könnte man vermeiden, wenn die Familien gesund wären. Wir hören öfter, dass das unangebrachte Haltungen und Missbräuche auslösen kann. Wenn ein Kind Liebe sucht, verirrt es sich und zieht einen anderen Menschen mit hinein."

    Diese Äußerungen lösten einen erneuten Proteststurm aus, um die Lage zu beruhigen, erklärte der Erzbischof nur wenige Stunden später:

    "Ein Kind hat nicht die Kraft, einen anderen Mensch mit hineinzuziehen. Es ist der Erwachsene, der Böses beabsichtigt, der das Kind für seine unangebrachten Interessen benutzt. So wollte ich verstanden werden."

    Statt sich in die Opfer einzufühlen, beeilt sich die Kirche klarzumachen, dass sie wegen der Täter aus ihrer Mitte keinerlei Kollektiv-Verantwortung übernimmt. Ebenso wenig für die missbrauchten Kinder. Wenn sie Ansprüche auf Entschädigung anmeldeten, müssten sie sich an die Täter wenden, nicht an die Kirche, sagte der Primas der katholischen Kirche Polens Jozef Kowalczyk. Man sei bereit, psychologische Hilfe zu bezahlen und geistlichen Beistand zu leisten.