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"Von diesem Regime kann man keine Reformen mehr erwarten"

Syriens Präsident Baschar al Assad hat ein Verfassungsreferendum angekündigt. Gleichzeitig hält die Gewalt gegen Regimegegner an. Die Opposition fordere daher jetzt keine Reformen mehr, sondern den Rücktritt Assads, sagt der Deutschsyrer Bassam Abdullah. Er gehört dem syrischen Widerstand im Exil an und arbeitet als Arzt in Berlin.

Bassam Abdullah im Gespräch mit Anne Raith | 16.02.2012
    Anne Raith: Auf der einen Seite kündigt Machthaber Assad ein Referendum an über eine Verfassung, in der die Monopolstellung seiner Partei nicht mehr verankert sein soll. Doch auf der anderen Seite halten die brutalen Auseinandersetzungen in Syrien an. In New York will die UNO-Vollversammlung heute über eine Syrien-Resolution abstimmen, eine nicht bindende allerdings. Denn die Weltgemeinschaft ist sich im Syrienkonflikt weiterhin uneins. Über die Entwicklungen in und um Syrien möchten wir in den kommenden Minuten sprechen mit dem Deutschsyrer Bassam Abdullah. Der Arzt unterstützt die oppositionellen Kräfte in Syrien von Berlin aus, wo er arbeitet. Einen schönen guten Morgen!

    Bassam Abdullah: Guten Morgen, Frau Raith!

    Raith: Herr Abdullah, Sie haben uns kürzlich erzählt, Sie haben Kontakte zum Beispiel nach Damaskus. Teile der Hauptstadt sollen ja gestern gestürmt worden sein. Was haben Sie in Erfahrung bringen können, was ist gestern passiert?

    Abdullah: Also, konkrete Information hat man natürlich immer wenig aus Damaskus, denn die Informationen sind ja immer eingeschränkt aus Damaskus. Aber was wir über verschiedene Medien und verschiedene Quellen auch wissen: Die Stadt Damaskus, also bestimmte Teile, bestimmte Bezirke wie Kabun zum Beispiel heute früh, wurde von Sicherheitskräften angegriffen. Von Verletzten und Toten ist bis jetzt keine Rede, aber also wie wir immer Erfahrung haben, dass wir auch später noch Namen und Zahlen von Verletzten und Toten auch bekommen.

    Raith: Jetzt hat Präsident Assad gestern erneut ein Verfassungsreferendum angekündigt. Das hatte er schon öfter, aber dieses Mal mit konkretem Termin. Wie ordnen Sie diesen Vorstoß ein?

    Abdullah: Also, das ist ja für uns ... Das ist ja wieder eine politische oder eine diplomatische Taktik, was das Regime zurzeit durchführt. Man sieht ja, immer, wenn das Regime unter internationalen Druck gerät, kommt er immer entgegen und macht solche Reformen, gleichzeitig aber dauert die Gewalt in Syrien an. Es wird pausenlos angegriffen. Und daher ist es ja einfach ... Solche Referenden oder solche Ankündigungen von Präsident Assad, es ist nicht mehr als Zeit gewinnen, um weiter seine militärischen Lösungen und Sicherheitslösungen in Syrien durchzuführen.

    Raith: Aber die Verfassungsänderungen waren zu Beginn der Proteste in Syrien ja noch ein wesentlicher Bestandteil der Forderungen?

    Abdullah: Ja, natürlich, aber das - also, wenn wir dann sagen, dass es am Anfang der Revolution war ein Bestandteil der Reformen, aber es ist jetzt nicht mehr. Also, mit diesem Regime kann man keine Reformen mehr erwarten. Er ist nicht mehr in der Lage, Reformen, also, echte Reformen in Syrien durchzuführen. Das ist ein Regime, das für die Zahl von mehr als 8000 Toten in Syrien verantwortlich ist, und für mehrere dokumentierte Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und daher ist es jetzt, solche Änderungen der Verfassung sind nicht mehr genug und akzeptabel von dem Regime.

    Raith: Was ist denn genug? Ist für Sie allein der Sturz des Regimes, der Sturz Assads Ziel der Revolution?

    Abdullah: Also, die Forderung der Opposition in Syrien ist jetzt mittlerweile eindeutig geworden: Also, die Nummer eins ist ja der Rücktritt des Regimes. Weil, wie gesagt, in diesem Regime kann man keinen Dialog mehr durchführen. Das Zweite, es ist ja eine Übergangsphase, eine Übergangsregierung, die diese Reformen und eine neue Verfassung für Syrien schreibt, und die echten Reformen ohne Druck von Sicherheitskräften, von der Polizei in Syrien durchzuführen.

    Raith: Würden Sie sagen, dass es hilfreich ist, dass die USA den Vorstoß ja, ähnlich wie Sie, nicht ernst nehmen, aber zudem auch noch als lächerlich bezeichnen?

    Abdullah: Also, als lächerlich bezeichnen, das würde ich auch machen. Denn wie wird man in so einer Lage ein Referendum oder eine Volksabstimmung durchführen? Es werden jetzt große Städte in Syrien bombardiert und werden zum großen Teil auch zerstört. Wenn man dann auch nennen möchte: also in Homs, in Hama, in Idlib und Dair az-Zaur und mehrere auch kleine Städten in Syrien. Wie will man ein Referendum hier durchführen? Die sind ja tausende von Regimekritikern, die sind ja auf der Flucht in der Illegalität. Die sitzen Tausende, Zehntausende im Gefängnis und Zehntausende sind außerhalb des Landes geflohen. Wie kann man eine echte oder demokratische Verfassungszustimmung oder eine Volksabstimmung durchführen? Also, wenigstens für die Opposition ist es auch nicht mehr als eine Taktik, die zum großen Teil auch lächerlich ist.

    Raith: Aber diplomatisch betrachtet, wenn das von den USA kommt, könnte das Assad natürlich nur provozieren?

    Abdullah: Also, man hat ja gesehen, es hat Assad schon von Anfang an alles praktisch provoziert. Man hat Assad schon am Anfang der Revolution gefordert und gerufen, selbst diese Demokratisierung und die Reformen in Syrien zu führen. Das hat aber leider nichts gebracht. Im Gegenteil ist die Gewalt mehr geworden, er hat immer solche politische Forderungen als Freibrief für seine militärischen und Sicherheitslösungen in Syrien durchzuführen. Er hat immer darauf gewettet, dass die internationale Gemeinschaft ihre Meinung gegen ihn ändert und dass er diese Revolution mit Gewalt auch eindämmt. Also, provozieren ist, glaube ich, nicht das Wort, sondern, dass ... Dieses Regime hat keine Absicht, echte Reformen in Syrien durchzuführen, sondern die Absicht, diese Revolution mit Gewalt einzudämmen.

    Raith: Auch deswegen will ja die Staatengemeinschaft weiter Druck ausüben mit einer Resolution. Heute kommt die UNO-Vollversammlung in New York zusammen. Die Resolution wäre nicht bindend. Wäre das trotzdem ein gutes Signal?

    Abdullah: Also, gutes Signal wird es auf jeden Fall sein. Vor allem ist es ja auch eine symbolische oder ein Teil auch des internationalen Drucks auf Syrien. Vor allem ist es ja auch symbolisch für Russland und China, dass die internationale Gemeinschaft in einem Feld ist, wo es kein Veto gibt. Sie sind ja einig, dass die Gewalt in Syrien gestoppt werden muss und echte Reformen in Syrien durchgeführt und nicht weiter mit diesen militärischen Aktionen gemacht wird. Außerdem, dass die Leute, die für diese Gewalt und diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch zur Rechenschaft gezogen werden.

    Raith: Sagt der Deutschsyrer Bassam Abdullah. Er gehört dem syrischen Widerstand im Exil an und arbeitet als Arzt in Berlin. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

    Abdullah: Ich danke Ihnen auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.