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Von Einheit keine Spur

Verschiedene Wahlmindestalter, unterschiedliches Stimmgewicht der Bürger, dort Wahlpflicht, hier keine - zu uneinheitlich sei das System zur Durchführung der Europawahl in den jeweiligen Ländern, beklagen Kritiker. Doch eine Angleichung der bestehenden Unterschiede scheint kompliziert.

Von Alois Berger | 31.05.2009
    Die Bewohner der englischen Industrieregionen nördlich von London waren reichlich verwirrt, als kurz vor den Europawahlen italienische Lautsprecherwagen durch die Strassen fuhren und sie aufforderten, die kommunistische Partei zu wählen. Die kommunistische Partei Italiens wohlgemerkt, und das mitten in England. Die Leute fragten sich: "Was erwartet Europa von uns? Sollen wir jetzt auch noch französische oder dänische Abgeordnete nach Straßburg wählen, oder vielleicht sogar Deutsche?"

    1979 war das, bei den ersten Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Rätsel klärte sich schnell auf. Die dröhnende Wahlkampagne der italienischen Kommunisten auf britischem Boden galt nicht den Briten, sondern den italienischen Gastarbeitern auf der Insel. Sie sollten zur Briefwahl animiert werden.

    30 Jahre ist das inzwischen her, doch das Grundproblem der Europawahlen ist dasselbe geblieben: Briten wählen britische Abgeordnete, Italiener italienische, und Deutsche machen ihr Kreuzchen bei deutschen Parteien. Nur Europäer stehen so gut wie nirgends zur Wahl bei diesen europäischen Wahlen. Piotr Maciej Kaczynski ist Wahlforscher beim Center for European Policy Studies in Brüssel:

    "Im Grunde haben wir 27 Wahlen zur selben Zeit. Die meisten Kandidaten stehen nicht auf transnationalen Listen. Gewählt werden vielmehr nationale Kandidaten auf nationalen Listen von nationalen Parteien, die auf die nationale Kleiderordnung achten und sich nach nationalen Gesetzen richten. So ist das System nun mal."

    Knapp 400 Millionen Europäer sind wahlberechtigt, in kleinen Ländern wie Malta oder Zypern reichen 30 000 Stimmen, um einen Sitz im Europaparlament zu bekommen. In großen Ländern wie Deutschland oder Frankreich braucht man mindestens 300 000 pro Abgeordneten, je nachdem, wie hoch die Wahlbeteiligung ist. In Österreich dürfen schon 16-Jährige an die Urne, in Belgien, Luxemburg, Griechenland und Zypern müssen ab 18 alle, dort herrscht Wahlpflicht. In Frankreich gilt für Kandidaten ein Mindestalter von 23 Jahren, in Italien von 25. In den meisten anderen Ländern reicht die Volljährigkeit, außer im Bundesland Hessen, wo man 21 Jahre alt sein muss, um ins Europaparlament einziehen zu können.

    So verschieden die Wahlsysteme sind, am Ende ziehen 736 Abgeordnete ins Europaparlament in Straßburg ein, die bei Abstimmungen alle über gleich viel Einfluss verfügen: Jeder hat eine Stimme.

    Das System ist nicht gerecht. Die Europawahl nächste Woche ist alles andere als eine einheitliche Wahl. Sie ist sogar so uneinheitlich, dass die Kläger gegen den Lissabonner Vertrag das als eines ihrer Hauptargumente in ihre Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingebaut haben. Der Jurist Karl-Albrecht Schachtschneider, Verfasser einer der Klageschriften, stellt die demokratische Legitimität des gesamten Europaparlaments in Frage, weil die Abgeordneten nicht egalitär gewählt werden:

    "Nach deutschem Recht und nach anderen Rechtsordnungen ist das ein klarer Demokratieverstoß, denn das Stimmengewicht der Wähler in Malta ist 1200 Prozent höher als das der Deutschen. Ein solches Gremium, eine Versammlung der Vertreter der Völker, wie es im Vertrag steht, vermag die EU nicht demokratisch zu legitimieren, sondern allenfalls die demokratische Legitimität zu stärken."

    Aber es ist schwer zu sehen, wie es sonst gehen sollte. Europas Staaten sind nun einmal unterschiedlich groß. Um die politischen Kräfteverhältnisse eines Landes auch nur ansatzweise in Straßburg zur Geltung zu bringen, sind mindestens fünf Abgeordnete pro Land nötig. Kleinere Parteien scheiden sonst von vorneherein aus. Doch bei strenger Proportionalität müsste Deutschland bei fünf maltesischen Abgeordneten ziemlich genau 1000 Sitze in Straßburg bekommen. Das ganze EU-Parlament hätte dann mehr als 5000 Abgeordnete. Das ist keine Lösung, meint der Sozialdemokrat und frühere Präsident des Europaparlaments, Klaus Hänsch:

    "Wenn man es strikt durchführte, dann hätten wir ein Europäisches Parlament in der Größe des chinesischen Volkskongresses, also eigentlich kein wirkliches Parlament mehr. Wenn man sagen würde, die Deutschen hätten also das gleiche Verhältnis zwischen Abgeordneten und Wähler wie in Malta oder Luxemburg."

    Deshalb hat man sich geeinigt, dass kleinere Länder eben mehr Sitze bekommen, als ihnen rein rechnerisch zustehen. Einer der vielen Kompromisse, ohne die die Europäische Union nicht möglich wäre.

    Nicht nur für Verfassungsjuristen ist das schwer zu akzeptieren. Auch Europa-Enthusiasten wie der SPD-Abgeordnete Jo Leinen sind mit dem europäischen Wahlsystem unzufrieden. Leinen gehört zu den Europapolitikern alter Schule, die von einem einheitlichen Europa träumen, von starken europäischen Parteien, die von Nikosia bis Helsinki dieselben Themen vertreten. Bislang sind die europäischen Parteien, allen voran die Sozialisten und die Europäische Volkspartei, bestenfalls lockere Dachverbände, die keinerlei Einfluss auf den Wahlkampf der nationalen Parteien haben. Und die machen in 27 Ländern nationalen Wahlkampf mit nationalen Themen. Ein Anachronismus, meint der saarländische Europaabgeordnete Jo Leinen.

    "Das muss sich in Zukunft ändern, weil wir den Bürgern von Schweden bis Sizilien auch ähnliche Geschichten über Europa erzählen wollen. Warum muss Europa etwas gegen den Klimawandel tun? Warum muss Europa zusammenstehen, wenn es den Terrorismus bekämpfen will? Was tun wir, um in der globalisierten Welt wettbewerbsfähig zu sein?"

    In letzter Konsequenz zielen solche Überlegungen auf europaweite Parteilisten mit Kandidaten aus allen EU-Ländern. Die Wähler könnten dann auswählen zwischen Europäischen Sozialdemokraten, Europäischer Volkspartei, Euro-Grünen, Liberalen und anderen Europalisten. Damit würde es auch das Problem der ungleichen Stimmenverteilung zwischen großen und kleinen Ländern lösen oder zumindest entschärfen. Es wäre Aufgabe der Parteien, alle Länder bei der Kandidatenaufstellung zu berücksichtigen.

    Doch genau dieses Europakonzept ist im Grunde längst überholt. Ein politisch einheitliches Europa ist in den meisten EU-Ländern nicht mehr zu vermitteln. Die Europäische Union, so scheint es, überfordert die Menschen zusehens. Zu groß, zu unübersichtlich, zu viele fremde Einflüsse. Wenn den Bürgern in diesem Europa etwas Halt gibt, dann sicher nicht die Vorstellung von einem langsamen Verschwinden der nationalen Identität.

    Für Deutschland in Europa, so werben die meisten deutschen Europakandidaten, für Frankreich in Europa die französischen und so ähnlich klingt der Wahlkampf auch in allen anderen EU-Ländern. Das entspricht der Stimmungslage in Europa. Gerade weil die Grenzen zwischen den Ländern aufweichen, wird das nationale Zugehörigkeitsgefühl für viele immer wichtiger. Europäische Wahllisten, auf denen unter den ersten 20 Kandidaten vielleicht drei oder vier Deutsche sind, würden die Zustimmung zu Europa sicher nicht stärken. Im Gegenteil.

    Europapolitiker wie der Sozialdemokrat Jo Leinen mit seinem Drang nach einem möglichst einheitlichen Europa gehören selbst im Straßburger Parlament inzwischen einer Minderheit an. Die Mehrheit, meint Leinens Parteikollege Klaus Hänsch, hat längst ein anderes Europa vor Augen, ein Europa, in dem die Nationalstaaten mit all ihren Eigenheiten auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

    "Ich glaube, dass das zu den wichtigen und kaum wahrgenommenen oder kaum gewürdigten Veränderungen seit 1979 zählt, dass wir in der Europäischen Union wissen, dass wir Europa einigen, aber nicht vereinheitlichen wollen."

    Bis 1997, bis zum Vertrag von Amsterdam, gab es immer wieder Anläufe, ein europaweit einheitliches Wahlsystem einzuführen. Aber sämtliche Versuche scheiterten. Sie scheiterten an den unterschiedlichen Vorstellungen der Europaabgeordneten; sie scheiterten an den Widerständen der nationalen Parteien; sie scheiterten an den Vorbehalten der Regierungen in den Mitgliedsländern.

    Die demokratischen Traditionen in den Mitgliedsländern sind einfach zu unterschiedlich. So ist es in Deutschland, Österreich, Italien und vielen anderen Ländern zum Beispiel wichtig, dass ein Parlament die politischen Strömungen widerspiegelt, dass sich möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen in diesem Parlament vertreten fühlen.

    Das Ergebnis sind nicht nur bunt gemischte Volksvertretungen, sondern in der Regel auch Koalitionsregierungen aus mehreren Parteien. Für Briten ist dies schwer vorstellbar: Nach britischem Demokratieverständnis müssen Wahlen vor allem eine entscheidungsstarke Regierung liefern, und eine möglichst geschlossen auftretende Opposition, die diese Regierung wirksam kontrollieren kann.

    Zudem spielt in Großbritannien wie auch in Irland die enge Bindung jedes Abgeordneten an seinen Wahlkreis eine wesentlich größere Rolle als in den meisten anderen Ländern.

    Jede Einebnung nationaler Traditionen verschärft bei vielen EU-Bürgern das Gefühl der Entfremdung. Doch die demokratischen Grundprinzipien verlangen, dass alle Wähler möglichst gleich berücksichtigt werden. Es ist ein schwieriger Balanceakt, der die Frage aufwirft: Wie viel Ungleichheit hält ein Parlament aus, das Gesetze beschließt, die für alle EU-Bürger gleichermaßen gelten. Je mehr Unterschiede die EU bei den national geerdeten Wahlsystemen zulässt, desto umstrittener ist die demokratische Legitimation des Europaparlaments.

    Bis Anfang der 90er-Jahre war das alles nicht so wichtig. Das Europaparlament hatte bis dahin so gut wie nichts zu entscheiden. Erst mit dem Maastrichter- und noch mehr mit dem Amsterdamer Vertrag bekamen die Abgeordneten wirklich Macht. Und prompt sahen sich die Regierungschefs gezwungen, dem Europaparlament ein paar Mindestregeln vorzugeben. Im Vertrag von Amsterdam 1997 schrieben sie fest, dass für Europawahlen generell das Verhältniswahlrecht angewandt werden müsse. Das war eine Art Notwehr, erinnert sich der CDU-Abgeordnete Elmar Brok:

    "Das Verhältniswahlsystem ist über den Amsterdamer Vertrag eingeführt worden, weil bis dahin die britischen Wähler durch das Mehrheitswahlsystem in Großbritannien immer entschieden haben, wer die Mehrheit im Europäischen Parlament hat, weil beim Mehrheitswahlrecht ja die Unterschiede im Wahlergebnis so gewaltig sind, was die Zahl der Mandate angeht."

    Doch die neue Vorgabe änderte nicht allzu viel. Briten wie auch Iren akzeptierten zwar das Verhältniswahlrecht, aber sie führten sehr kleine Wahlkreise ein, um die Bindung der Kandidaten zu den Wählern nicht zu gefährden. In manchen Wahlkreisen sind nur drei Abgeordnete zu wählen, wodurch kleine Parteien von vorneherein keine Chance haben und die Großen ähnliche Erdrutschsiege oder Niederlagen verbuchen wie beim Mehrheitswahlrecht.

    Änderungen des Wahlrechtes sind immer heikel. Nationale Regierungen wie auch die allermeisten Europaabgeordneten vermeiden deshalb in der Regel, die bestehenden Wahlsysteme anzutasten. Nur wenn sich eine Partei unmittelbar bedroht fühlt, dann kann es vorkommen, dass sie in die Offensive geht. Derzeit ist es vor allem die bayerische CSU, die mit dem Europäischen Wahlrechtsmosaik hadert. Markus Ferber ist der Spitzenkandidat der Christsozialen:

    "Darüber hinaus ist nicht einzusehen, warum in Österreich eine Vier- Prozent-Klausel gilt, bei uns in Deutschland eine Fünf-Prozent-Klausel, dass Italien und die Niederlande ein sogenanntes Präferenzsystem haben, wo sie die Liste verändern können. Dass in Griechenland erst eine Woche vor der Wahl die Parteien ihre Europawahllisten vorlegen. Dass in Irland kleine Wahlkreise gebildet werden, wo nur drei Abgeordnete zu wählen sind, was fast einer Direktwahl gleichkommt. All das sind Ungereimtheiten, die es natürlich nicht sehr transparent machen, wie das Europaparlament am Ende zustande kommt."

    Dass ausgerechnet die CSU, die sonst immer für besonders viel regionale Eigenständigkeit eintritt, nun ein einheitliches Wahlsystem fordert, ist kein Zufall. Denn für die CSU könnte es eng werden am 7. Juni. Wenn sie weniger als 1,2 Millionen Stimmen einfährt, dann dürfte sie aller Voraussicht nach an der deutschen Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Dann wird die Christlich Soziale Partei im nächsten Europaparlament nicht vertreten sein.

    Das wäre umso bitterer für die CSU, als sie europaweit alles andere als eine kleine Partei ist. 1,2 Millionen Stimmen, das ist mehr als Luxemburg und Malta zusammen an Einwohnern haben. 1,2 Millionen Stimmen, das sind rund 40 Prozent der bayerischen Wähler. Aber umgerechnet auf ganz Deutschland sind es eben doch nur knapp fünf Prozent. Und das könnte zu wenig sein.

    Für die CSU kommen hier zwei ungünstige Regelungen zusammen. Zum einen, dass große Länder wie Deutschland für jeden Sitz im Europaparlament mehr Stimmen brauchen als kleine Länder, und zum Zweiten, dass in Deutschland fünf Prozent der abgegebenen Stimmen nötig sind, um überhaupt in ein Parlament einzuziehen. In Österreich reichen vier Prozent, in Griechenland drei und in Zypern sogar 1,79 Prozent.

    Doch jedes Land habe eben seine eigenen demokratischen Erfahrungen und Traditionen, meint der Sozialdemokrat Klaus Hänsch, und in Deutschland gehöre dazu eben die Fünf- Prozent-Hürde.

    "Ich habe von der CSU in der Vergangenheit noch nie gehört, dass sie das abschaffen wollen. Im Gegenteil, sie haben es im Blick auf noch kleinere Parteien immer begrüßt, dass wir eine solche Klausel haben. Und jetzt, wo sie sich plötzlich in Schwierigkeiten befinden, wollen sie sie abschaffen. Dies halte ich für nicht seriös."

    Auch die CSU spricht nicht allzu laut darüber. Sie will die Niederlage nicht herbei reden. Die Parteiführung in München weiß sehr gut, dass es derzeit weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene eine Chance gibt, den Wahlmodus zu ändern. Die meisten nationalen Regierungen erkennen keinen Handlungsbedarf – und ohne deren Zustimmung geht in Europa sowieso nichts.

    Selbst überzeugte Einheitseuropäer wie Jo Leinen sehen in der Angleichung der europäischen Wahlsysteme inzwischen eher ein Projekt für die ferne Zukunft. Umso wichtiger sei es, fürs Erste wenigstens demokratische Mindeststandards für die Auswahl der Kandidaten aufzustellen, meint der Sozialdemokrat Leinen:

    "In Griechenland gibt es Parteien, wo der Vorsitzende persönlich entscheidet, wer in das Europaparlament darf und wer nicht. Da ist überhaupt keine Beteiligung der Parteimitglieder vorhanden. Das ist sicherlich ein worst case, ein schlechtestes Beispiel."

    Ähnlich ist es auch in Italien, wo Ministerpräsident Berlusconi blutjungen TV-Sternchen und Unterwäschemodels einen Platz im Europaparlament angeboten hatte. Das sei unwürdig und schade dem Ansehen des Europaparlaments, schimpft Leinen und schaut lieber nach Norden:

    "In Schweden gibt es Parteien, die echte Vorwahlen durchführen. Primaries, wie das in den USA heißt. Die Parteimitglieder haben die Möglichkeit, ihre Kandidaten zu wählen. Und erst dann kommen die oberen Parteigremien, die dann die Listen akzeptieren oder auch hier und dort noch mal eine Änderung vornehmen. Aber es ist ein Ansatz von unten nach oben, ein demokratischer Ansatz."

    Zweifel sind allerdings erlaubt, ob das schwedische Modell auch bei den Mittelmeerländern funktionieren würde. So wie es aussieht, ist es einer Mehrheit in Griechenland und in Italien offensichtlich ganz recht, wenn die Parteiführung die Auswahl regelt und das Volk nicht behelligt. Vorwahlen haben keinen Sinn, wenn Parteimitglieder ohnehin zu allem nicken, was die Chefs vorschlagen. Das ist eine Frage der politischen Kultur.

    Länder, die politisch ahnungslose Kandidaten nach Straßburg schicken, schaden vor allem sich selbst: Sie verzichten auf Einfluss. Letztlich wirkt sich die politische Kultur in den Mitgliedsländern auf das Gewicht bei der europäischen Gesetzgebung aus. Italien beispielsweise spielt im Europaparlament eine weit geringere Rolle, als die Größe des Landes und die Zahl der Abgeordneten vermuten ließen.

    Piotr Maciej Kaczynski vom Center for European Policy Studies in Brüssel hat beobachtet, dass selbst die Wahlbeteiligung in den einzelnen Ländern auf die Gesetzgebung durchschlägt. In Polen haben bei den letzten Europawahlen gerade einmal 21 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt. Das habe nicht nur die Autorität der polnischen Abgeordneten im Europaparlament geschwächt, meint Kaczynski. Der Gewichtsverlust lasse sich sogar berechnen. Denn je niedriger die Wahlbeteiligung, desto größer sei der Anteil der extremen Parteien, die ihre Anhänger besser mobilisieren könnten.

    "20 von 54 polnischen Abgeordneten sind in der Fraktion 'Europa der Nationen' gelandet. Das ist das Sammelbecken für Nationalisten und Unabhängige aus allen Ländern, die keinen Einfluss auf die Gesetzgebung haben. Das bedeutet, dass Polen nur 25 bis 30 Abgeordnete im Europaparlament hat, die etwas bewegen können. Polen hat also weniger Berichterstatter, weniger Personal in wichtigen Positionen und weniger Einfluss in den wichtigen Fraktionen."

    Europa wird immer ein Zusammenschluss vieler klar unterscheidbarer Länder bleiben und nie ein Bundesstaat wie die USA werden: der Europawahlkampf und die Europawahlen liefern dafür viele Beispiele. Die Europäer hängen an ihren nationalen Eigenarten und Traditionen. Deshalb dauern Europawahlen auch vier Tage: Denn deutsche Wähler sind nun mal daran gewöhnt, sonntags zu wählen, Briten dürfen nicht an einem Feiertag zur Urne und stimmen deshalb wie Niederländer und Iren wochentags ab. Letten gehen samstags zur Wahl, und Italiener wollen nicht gedrängelt werden: Deshalb haben sie von Samstag früh bis Sonntag Abend um zehn zwei Tage Zeit zum Wählen.