Mittwoch, 17. April 2024

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"Von Ergebnisoffenheit keine Spur"

Der Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestages will sich heute unter Tage ein Bild des Bergwerks machen. Tobias Riedl, Atomexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace, glaubt aber nicht an eine "ergebnisoffene" Untersuchung. Bundesregierung und Atomkonzerne hätten sich längst auf Gorleben geeinigt.

Tobias Riedl im Gespräch mit Jasper Barenberg | 16.09.2010
    Jasper Barenberg: Über die Einzelheiten wird naturgemäß noch gestritten. Dass die Regierung die Laufzeiten der Atomkraftwerke aber verlängert, das ist beschlossene Sache, und damit auch, dass es mehr, dass es viel mehr radioaktiven Abfall geben wird. Umso dringlicher stellt sich die Frage, wo der Atommüll einst sicher gelagert werden kann. Immerhin muss für Millionen von Jahre sichergestellt werden, dass niemand mit dem strahlenden Material in Berührung kommt. Ins Auge gefasst wurde dabei bisher ausschließlich ein Salzstock im niedersächsischen Gorleben. Die genauen Umstände dieser Entscheidung von 1983 nimmt gerade ein Untersuchungsausschuss im Bundestag unter die Lupe. Seine Mitglieder werden heute im Wendland erwartet.

    Mitgehört hat Tobias Riedl, einer der Atomexperten der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Er ist jetzt am Telefon. Einen schönen guten Tag, Herr Riedl.

    Tobias Riedl: Guten Tag!

    Barenberg: Herr Riedl, erwarten Sie denn neue Einsichten oder neue Erkenntnisse jetzt von dem Besuch der Parlamentarier vor Ort?

    Riedl: Man kann es nur hoffen, denn der parlamentarische Untersuchungsausschuss ist ja dafür eingesetzt worden, dass er eben den Dingen auf den Grund geht, ob die damalige Auswahl des Standortes Gorleben mit rechten Dingen zuging. Und wenn sich eben die Beweise dafür finden, dass Gorleben nicht nach wissenschaftlichen, sondern nur nach politischen Kriterien ausgewählt wurde, dann ist Gorleben als Standort hinfällig und nicht länger haltbar. "Greenpeace" hat ja schon vor mehreren Monaten eigentlich unwiderlegt beweisen können, als wir die Akten von damals offengelegt haben, dass es hier sich um eine rein politische und niemals um eine wissenschaftliche Entscheidung handelte.

    Barenberg: Aber es fehlt den Mitgliedern im Untersuchungsausschuss offenbar an Erkenntnis in dieser Sache, an Einsicht?

    Riedl: Ja. Vor allem wird ja durch Norbert Röttgen der parlamentarische Untersuchungsausschuss mehr oder weniger zu einer Schauspieltruppe degradiert, indem er jetzt schon ab 1. Oktober weiter erkunden will und überhaupt nicht abwartet, was denn der parlamentarische Untersuchungsausschuss zu Tage fördert. Das ist eigentlich so nicht hinzunehmen. Man sollte erst einmal die Ergebnisse dieses Untersuchungsausschusses abwarten und dann weiter entscheiden, wie man mit der Endlagerung verfahren will.

    Barenberg: Nun hat der Minister – das haben wir gerade in dem Beitrag ja auch noch mal gehört – ausdrücklich gesagt, dass es um eine ergebnisoffene Erkundung geht, die jetzt wieder aufgenommen werden soll. Halten Sie das für wenig glaubwürdig?

    Riedl: Ich meine, seit man Gorleben als Standort auserkoren hat, wird dort Politik mit der Brechstange und dem Betonmischer gemacht. Es werden Fakten geschaffen, die Gorleben als Standort zementieren sollen, und Norbert Röttgen knüpft jetzt ganz genau hier an. Wenn man sich das anschaut: Der Salzstock wurde schon im industriellen Maßstab ausgebaut; das wäre für eine reine Erkundung überhaupt nicht notwendig gewesen und war auch viel teuerer. Dann gibt es über dem Salzstock eine schlüsselfertige Atomfabrik, die nur dafür da ist, um den Müll endlagerfähig zu verpacken; auch das ist für einen Erkundungsstandort überhaupt nicht notwendig. Und wie kann man von ergebnisoffen sprechen, wenn man überhaupt gar keine Alternativen ernsthaft in Erwägung zieht? Also hier ist wirklich von Ergebnisoffenheit keine Spur und die Bundesregierung hat sich eigentlich längst zusammen mit den Atomkonzernen auf Gorleben geeinigt, so wie es aussieht.

    Barenberg: Andere Standorte in Erwägung zu ziehen, das fordert ja auch Jürgen Trittin von den Grünen. Welche alternativen Standorte würden sich denn anbieten, welche alternativen Standorte gerade mit Blick auf das Material, das nötig ist, um den Atommüll sicher zu lagern?

    Riedl: Ich glaube, das erste, was man überhaupt machen muss, ist, endgültig aus der Atomkraft auszusteigen, denn wenn man sich weltweit die Suche nach einem Endlager anschaut für hoch radioaktiven Müll, sieht man, dass es dafür bisher noch keine, überhaupt gar keine Lösung gibt. Das heißt also, zuerst muss überhaupt mal der Druck herausgenommen werden aus der Diskussion, es muss aufgehört werden mit weiterer Atommüllproduktion, und dann muss man eben wissenschaftliche Kriterien aufstellen, nach denen man dann eine eben transparente und wissenschaftliche Standorterkundung vornimmt.

    Barenberg: Und das ist noch nicht geschehen? Es gibt keine, aus Ihrer Sicht keine wissenschaftlichen Kriterien, um eine solche Lagerung ins Auge zu fassen?

    Riedl: Nein. Gerade das Beispiel in Gorleben zeigt, hier wurden die Kriterien immer angepasst an dem, was man unter Tage gefunden hat, was man im Salzstock gefunden hat. So wurde zum Beispiel über Jahre immer das Mehr-Barrieren-System inbrünstig verteidigt. Das heißt, das System besteht aus drei Barrieren, nämlich dem Behälter, dem Wirtsgestein und einem wasserabweisenden Deckgebirge. Als man dann festgestellt hat, dieses Deckgebirge ist überhaupt nicht vorhanden, hat man dieses System einfach fallen lassen, und genauso geht es jetzt weiter. Es soll eine Sicherheitsanalyse erstellt werden, die wird aber nicht vor der Erkundung erstellt, sondern parallel. Also hier wird sozusagen immer die Ergebnisse aus der Erkundung in die Sicherheitsanalyse direkt einfließen und daraus werden dann die Kriterien entwickelt und man baut sich so sein Endlager, wie man es gerne hätte.

    Barenberg: Das heißt, Herr Riedl, was Sie sagen ist, der Salzstock in Gorleben, oder auch andere Salzstöcke sind grundsätzlich, sind prinzipiell ungeeignet?

    Riedl: Zunächst muss man wissenschaftliche Kriterien aufstellen, welches Wirtsgestein überhaupt geeignet ist. Erst dann kann man in die Fläche gucken, was es zu erkunden gibt. Aber man sollte auch andere Wirtsgesteine dabei in die Auswahl nehmen.

    Barenberg: Und das wären?

    Riedl: Es gibt zum Beispiel ja Tonvorkommen auch in Süddeutschland, die sollte man ins Auge fassen. In anderen Ländern gibt es ja auch Granit, der untersucht wird. Aber man muss auch überlegen, ob die tiefengeologische Lagerung überhaupt die beste Lagerung ist. Auch das sollte man eigentlich noch mal neu diskutieren.

    Barenberg: Nun sagen ja genug Geowissenschaftler, dass die Sicherheit in dem Salzstock von Gorleben wissenschaftlich einwandfrei und prognostizierbar zu erreichen ist. Warum zweifeln Sie daran, warum haben Sie da Zweifel?

    Riedl: Seit Gorleben erkundet wird, gibt es eigentlich ständig in unregelmäßiger Reihenfolge viele Geologen, die ja genau das Gegenteil behaupten und dieses ständig bezweifeln. Bisher wurden eben diese Kriterien noch nicht aufgestellt, an denen man überhaupt beurteilen kann, ab wann ein Endlager sicher ist und wann es nicht sicher ist, und das müsste doch zuerst mal als Allererstes geschehen.

    Barenberg: Sie haben die politische Vorgehensweise der Bundesregierung, des Bundesumweltministers kritisiert. Welche Vorgehensweise wäre nach Ihrer Einschätzung, nach Ihrer Ansicht die richtige?

    Riedl: Die richtige wäre, so schnell wie möglich aus der Atomenergie auszusteigen. Greenpeace hat das auch von einem Institut berechnen lassen. So könnte 2015 der letzte Meiler bereits vom Netz gehen und dann wäre es eben an der Zeit, sich über die Endlagerung des Mülls Gedanken zu machen und hier die nötigen Kriterien aufzustellen und wissenschaftlich eben auch zu begründen.

    Barenberg: Und wie weit wären dann die Betroffenen einzubeziehen in solche Überlegungen? Das ist ja auch ein wichtiger Punkt.

    Riedl: Natürlich! Das ganze Verfahren muss transparent sein. Auch das wird ja in Gorleben nicht gemacht. Man spricht immer von Transparenz und davon, dass man die Bürger mehr beteiligen will. Gleichzeitig tut man nach altem Bergrecht weiter erkunden, das ja explizit die Beteiligung von Bürgern nicht vorsieht. Und jetzt will man am liebsten noch das Atomgesetz so umschreiben, dass die Bürger, die eben betroffen sind durch den Salzstock Gorleben, enteignet werden können. Das hat eben mit Transparenz und Bürgerbeteiligung nichts zu tun.

    Barenberg: Tobias Riedl, Atomexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Danke für das Gespräch, Herr Riedl.

    Riedl: Bitte! Gerne.