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Von Fest zu Fest

Nikolaus, Weihnachten, Silvester, zum Jahresende häufen sich die Feste wieder. Was tun wir eigentlich, wenn wir feiern. Das war das Thema einer Konferenz in Potsdam. Dort haben sich Wissenschaftler aus aller Welt mit allen Facetten des Feierns befasst.

Von Cornelius Wüllenkemper | 15.12.2012
    "Ich glaube, dass hier entscheidende politische Dimension enthalten ist. Ich glaube, wir brauchen Gelegenheiten der Souveränität, damit wir uns nicht nur als Knechte oder Sachbearbeiter unsere eigenen Lebensfunktionen betrachten, sondern damit wir in bestimmten Momenten Herren unseres Lebens sind, dem Leben ebenbürtig in die Augen sehen und sagen: Was sind eigentlich die Gründe, für die es sich zu leben lohnt? Das tun wir bei Festen."

    Meint Robert Pfaller, Professor für Philosophie der Universität für angewandte Kunst in Wien, der sich mit dem Begriff des Exzesses und der Souveränität über das eigene Leben im Werk von George Bataille auseinandersetzte. Von der "Ventilsitte" sprach Winfried Gebhardt, Professor für Soziologie an der Universität Koblenz-Landau. Feste untersuchte Gebhardt in seinem Vortrag vor allem unter dem Aspekt der Lockerung von Regelwerken, die für ihn zentraler Bestandteil eines Festes ist, ob beim Karneval oder im Fußballstadion.

    "Das Besondere am Fest war meines Erachtens immer, dass es den Exzess bis zu einem gewissen Grad zuließ, aber erstens zeitlich beschränkte, an ganz bestimmte Räume band, rituelle durch ganz bestimmte Rieten, die ja auch immer kontrolliert waren, in vorgegebene Formen lenkte, sodass ein Überborden der Gefühle begrenzt wurde. Und wen man das Exzessive aus dem Fest herausnimmt, dann sucht es sich unkontrolliert, an unerwarteter Stelle neue Ausdrucksformen. Und die kann man dann in der Tat nicht mehr kontrollieren."

    Festliches Empfinden, so Gebhardt, ist eine individuelle Art der Gefühlsverarbeitung, ein "Management der Gefühle" und kann folglich nicht politisch verordnet werden. Öffentliche Feste würden durch deren umfassende Inszenierung zunehmend profanisiert. Gebhardt ist überzeugt.

    "Dass der Sinngehalt, der mit öffentlichen Festen und Feiern verbunden war heutzutage entweder nicht mehr richtig transportiert werden kann, oder dass diese Art von öffentlichen Sinn gar nicht mehr nachgefragt wird. Man sieht das ja an den großen politischen Feiern unseres Staates. Ob das jetzt der Tag der Deutschen Einheit ist oder andere. Die Aufmerksamkeit, die diese Feste erregen, ist minimal."

    Michael Maurer, Professor für Kulturgeschichte an der Universität Jena, beschäftigte sich mit der Bedeutung des rituellen Festes zur Identitätsstiftung einer Gemeinschaft. Rüdiger Zill vom Einstein Forum zeigte unter anderem die Möglichkeit auf, durch Einladung oder Nicht-Einladung Gruppen zu definieren, oder Feste zu boykottieren und gar absichtlich zu verderben. Wie Feste auch instrumentalisiert werden, um eigene Interessen durchzusetzen, zeigte der Historiker Joe Perry von der Universität Atlanta am Beispiel des modernen Weihnachtsfestes:

    "Emotionale Gemeinschaften bilden sich über ein gemeinsames Gefühl. Im frühen 20. Jahrhundert beginnen die Werbestrategen, diese Sentimentalität als Werkzeug zu nutzen, und machten aus der Ware ein "Geschenk". Einen anderen Aspekt der Instrumentalisierung von Festen kann man in den frühen Dreißigern bei den Weihnachtsabenden der SA im sogenannten Sturmlokal beobachten. Dort wird Sentimentalität mit deren totaler Verweigerung kombiniert, was dann zu Ärger, Wut und einem populistischen Nationalismus führt. Die Idee, dass sich ein enger Familienkern zur Feier einer universellen Harmonie zusammenfindet, passt letztlich auch zum Konzept der Volksgemeinschaft."

    Auch wenn eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Fest natürlich nicht unbedingt festliche Stimmung aufkommen lässt, so war in Potsdam doch vielseitig und interessant zu erfahren, dass inszenierte Feste ebenso unerlässlich für das eigene emotionale Gerüst, wie auch für die Bewahrung einer Kulturgemeinschaft sind. Wie eng Feste dabei auch mit dem Spiel verbunden sind, zeigte Robert Pfaller aus Wien: Beides basiere letztlich auf einer Illusion. Einer Illusion, der wir freilich gerne glauben.