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Von Geldströmen und Pandemien

Medizininformatik. - Wissenschaftler wissen bisher nur wenig darüber, wie sich moderne Pandemien ausbreiten. Der Grund für die Wissenslücke: Das menschliche Reiseverhalten ist nur schwer messbar - und damit auch der Transport von Krankheiten. Forscher aus Göttingen haben die Reiserouten der Menschen nun so gut verfolgen können wie nie zuvor. Indem sie auf deren Geld schauten.

Von Björn Schwentker | 26.01.2006
    Wo ist es nur geblieben, das ganze Geld? Eine Frage, die man sich auch rein wissenschaftlich stellen kann. Wie Dirk Brockmann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Er spürt amerikanischen Dollarnoten nach. Dabei geht es ihm eigentlich gar nicht ums Geld:

    "Wenn man wissen möchte, wie sich Seuchen ausbreiten geografisch, dann muss man natürlich wissen, wie Menschen reisen, weil es ganz klar ist, dass Menschen durch ihr Reiseverhalten eine Seuche von einem Punkt zum nächsten Punkt bringen. Wir kamen auf die Idee, das indirekt zu machen, indem wir schauen, wie sich das Geld bewegt."

    Kennt man nämlich die Wege des Geldes, so auch direkt die Reisen ihrer Besitzer. Das ist viel einfacher, als einzeln die Reisedaten verschiedener Verkehrsmittel wie Flugzeug, Bahn und Auto auszuwerten. Unter www.wheresgeorge.com gibt es für den amerikanischen Raum ein einzigartiges "Bill-Tracking-System". Dort geben US-Bürger, die einen Dollarschein im Portemonnaie finden, dessen Seriennummer ein und wo sie gerade sind. Die Internetseite zeigt dann an, wo der Schein bereits vorher gesichtet wurde. Und weil ziemlich viele Amerikaner mitmachen, lässt sich so die Reise der Banknoten quer durch die Vereinigten Staaten verfolgen. 50 Millionen Einträge sind in den letzten sechs Jahren zusammengekommen. Für die Göttinger Forscher eine traumhafte Datenbasis. Brockmann:

    "Wir haben sozusagen per Hand einen kleinen Bruchteil dieser 50 Millionen Dollarnoten heruntergeladen, circa eine halbe Million, das sind aber für uns immer noch extrem viele Daten, mit denen man sehr gut Statistik machen kann."

    Um sicher zu sein, dass die Bewegung der Scheine auch tatsächlich mit dem Reiseverhalten der Menschen übereinstimmt, verglichen die Göttinger die Dollardaten mit - allerdings viel lückenhafteren - Flugdaten. Die Reiseströme stimmten überein. Brockmann:

    "Als wir ursprünglich diese Studie gemacht haben, haben wir nicht geglaubt, dass sich da irgendeine Gesetzmäßigkeit überhaupt entdecken lässt, aber es hat sich gezeigt, es folgt einem so genannten universellen Skalierungsgesetz,"

    Das heißt: Der Physiker fand eine Formel fürs Reisen - welche Reiseentfernung wie häufig ist. Daten aus Europa zeigen, dass das Gesetz auch hier stimmt. Es ist generell gültig, unabhängig von Land oder Bevölkerung. Die neue Formel offenbart ein wichtiges Detail über das menschliche Reisen. Brockmann:

    "Man kann nicht sagen: Es gibt eine typische Entfernung, die ein Mensch in sagen wir einer Woche zurücklegt. Das gibt es einfach nicht, diese Größe."

    So logisch das klingen mag - bisher hatte man eine solche typische Entfernung immer angenommen - und dann einfließen lassen in die Modelle zur Ausbreitung von Krankheiten. Denn die Forscher arbeiteten mit alten Daten, etwa von der Pest im 14. Jahrhundert. Damals reisten die meisten an einem Tag kaum weiter als zehn Kilometer. Was somit als typische Entfernung galt. Modelle, die das berücksichtigen, berechnen korrekt, wie sich damals die Pest über Europa ausbreitete: wie eine Welle, die über die einzelnen Länder schwappte. Mit der heutigen Welt hat das aber wenig zu tun. Heute reisen einige Menschen sehr weit - und zwar in kürzester Zeit. Brockmann:

    "Wenn man jetzt die konventionellen Modelle erweitert, indem man das moderne Reiseverhalten einbaut, dann findet man nicht mehr so eine Art Wellenausbreitung, sondern ganz andere raumzeitliche Muster","

    explosionsartig kann sich etwa eine Pandemie über den Globus ausbreiten, bevor sie sich in den verschiedensten Ländern in kleineren Wellen weiterbewegt. Die Forscher müssen nun ihre universelle "Reiseformel" in neue epidemiologische Modelle einbauen. Damit sie wissen, wo moderne Pandemien zuschlagen. Brockmann:

    ""Wenn wir wissen, wie schnell eine Krankheit von A nach B gegangen ist, dann können wir sofort sagen, wie schnell von A zu jedem anderen Ort. Ich denke zum Beispiel daran, dass man Impfstrategien entwickeln könnte, die berücksichtigen, dass die Menschen halt so reisen, wie sie heutzutage reisen und die generiert werden aus solchen neuartigen Modellen."

    Solche Modelle wären dann ebenso universell wie die neue Reiseformel. Und ließen sich darum nicht nur auf einzelne Krankheiten anwenden wie etwa Sars oder eine Grippe-Erkrankung Sondern auf alles, was der Menschheit noch an Infektionen drohen mag.