Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Von Lebenslügen, Comichelden und einem, der durch die Mitte geht

Er schreibt Theaterstücke und Romane, ist Filmregisseur und Familienvater: Der 1961 geborene Neuseeländer Anthony McCarten. Schon vor längerem hat er gezeigt, dass er ein Händchen für tolle Geschichten hat: Sein Theaterstück "Ladies Night" wurde als Film-Komödie mit dem Titel "Ganz oder gar nicht" 1997 zum britischen Kinoerfolg. Sein vorletzter Roman "Superhero" ist nun in Deutschland erschienen, erntet gute Kritiken und soll ebenfalls verfilmt werden.

Von Annette Brüggemann | 01.10.2007
    Slow motion, fast forward, harte Schnitte, fettgedruckte Wörter wie "Peng, Krach, Wumm, Schepper" mit Ausrufungszeichen. Wer Anthony McCartens Roman "Superhero" aufschlägt, ist aufgefordert, sich auf ein Lesevergnügen der anderen Art einzulassen. Anstatt Kapitel gibt es "Akt eins bis drei", der Schlussteil verbirgt "Outtakes und gestrichene Szenen". McCarten selbst bezeichnet sein neues Genre schmunzelnd als "hybrid cine novel", als "hybriden Filmroman." Die Story simpel wie es sich für einen Film gehört, das was dahinter steckt: verstörend, voller Brüche und Fragen. Ein Buch, das einen zum Lachen und zum Weinen bringt, das einem ans Herz geht und welcher Text schafft das heutzutage schon.

    "Ich stieß auf einen Zeitungsartikel über einen sehr bekannten, hoch angesehenen Psychologen, der seine Karriere zerstörte, indem er etwas völlig Unprofessionelles tat. Involviert war ein 14-jähriger Junge mit einer Krebsdiagnose. Die Geschichte wurde zu einem unglaublichen Skandal, die Leute waren empört. Für mich war der interessante Aspekt, der zum Roman führte, dass dieser Psychologe etwas tat, was er noch nie zuvor in seiner langen Karriere getan hat."

    Besagter Psychologe hatte dem 14-jährigen, krebskranken Jungen eine Prostituierte besorgt.
    Und genau das macht Adrian King, der Psychologe in McCartens Roman für seinen jungen Patienten Donald Delpe. Auf den ersten Blick enspricht dieser voll und ganz dem Klischee eines pubertierenden Jungen. Schlaksig, übergroße Turnschuhe, voll-iPod-verkabelt, im Kopf nur das Eine: Sex. Doch nicht nur dass in seinem Körper ein "Permaport" genanntes Ding steckt, mit dem sich Chemotherapie-Chemikalien hinein pumpen lassen, Donald ist beflügelt von einer außergewöhnlichen Phantasie, die ihn zum mutigen Außenseiter macht.

    "Er ist eine Nervensäge. Hinter all dem Mist, den er so rauslässt - ziemlich typisch für einen 14-Jährigen, der sich versteckt, der den Funkkontakt mit der Welt verweigert, untertaucht mit seinem Mobiltelefon, er ist einer dieser Jugendlichen, zu dem du als Eltern nicht durchdringen kannst - dahinter ist er ein sehr zarter, sensibler und kreativer Typ, dessen Leben von außen im Übermaß definiert wird."

    Donalds Flucht vor der Realität einer Leukämie-Diagnose, vor seinem Alltag bestehend aus Chemotherapie, Haarausfall und Kotzerei macht ihn zum großen Träumer. Er erfindet seinen eigenen Superhelden: Miracleman. Und der ist verdammt zur Unsterblichkeit. Dass Miracleman selbst lieber sterblich sein möchte, ist nur eine von vielen spielerischen Umkehrungen, die McCartens Roman anbietet. Auszüge aus Donalds Comicheften machen deutlich, wie dicht Spass und Ernst beeinander liegen. Und dass es die tiefen Geheimnisse sind, die ein Leben auszeichnen. Als Donald im Roman auf Tanya, die schöne Prostituierte trifft, bleibt offen, ob er auf den Sex mit ihr verzichtet und lieber ihren nackten Fuß malend auf Papier verewigt.

    "Donald: Kann ich Sie etwas fragen?
    Tanya (legt sich einen Sarong um und knotet ihn über der Brust): Natürlich.
    Donald: Wie ist das, wenn man Sex hat?
    Tanya: Wie das ist?
    Donald: Ja. Wenn man's wirklich macht. Ich... hab einfach keine Ahnung.
    Tanya: Nun... wie stellst du es dir vor?
    Donald: Woher soll ich das wissen?
    Das verdient eine ehrliche Antwort. Mehr als das, unter den Umständen verdient es die beste Antwort, die sie je gegeben hat. Sie überlegt es sich genau.
    Tanya: Nun, wenn du mit der Richtigen zusammen bist... ich glaube, man könnte sagen, das ist... eine Art Wettbewerb. Ihr wollt beide, dass der andere gewinnt.
    Darüber denkt er nach, starrt ein paar Augenblicke lang an die Decke, dann blickt er sie wieder an.
    Donald: Danke."

    Als Anthony McCarten seinen Roman "Superhero" schrieb, war sein eigener Sohn 15 Jahre alt. Im Interview erzählt McCarten wie er neue Seiten an ihm entdeckte, die er selbst als Jugendlicher nicht durchlebt hatte. Die Nase voll zu haben von der Realität, der Rückzug in eine virtuelle Computerwelt. Und während beide seiner Eltern an Krebs starben, verwandelte sich sein Heimatort Wellington, Neuseeland, in eine Filmkulisse. "Der Herr der Ringe" wurde gedreht und Millionen von Menschen nahmen vor Ort als Statisten teil.
    In McCartens ungewöhnlichem Buch ist nichts so wie es scheint. Es ist kein Buch über Krebs und die Unausweichlichkeit des Todes. Es ist ein zartes, starkes und lebendiges Buch.

    "Alles hat eine Dringlichkeit in diesem Buch aufgrund der gesundheitlichen Situation des Jungen. Es ist einfach keine Zeit für Oberflächlichkeiten. Die Dringlichkeit des Jungen steckt jeden an, sogar mich hat es angesteckt beim Schreiben. Das Buch sollte die Qualität eines Adrenalinrausches haben, eines Jungen, dessen Puls 30 Schläge mehr als normal hat. Und ich wollte eine Prosa mit einem Puls, der 30 Schläge die Minute mehr hat."

    "Superhero" erzählt von der Intensität des Lebens, das laut Anthony McCarten zu kurz ist für billige Moralvorstellungen. Kitsch ist dem Autor, glücklicherweise, fremd. Und auch wenn der Roman eine seifenopernhafte Dramatik entfaltet - Donalds Geschichte führt zum Wesentlichen.

    "Dieses Buch ist letzten Endes ein Buch über Menschen, die das verfolgen, wovon sie denken, dass sie es haben wollen. Und wenn sie es haben, realisieren sie, dass es nicht das ist, was sie wollten. Falsche Träume, der Versuch, die weiße Göttin zu entschleiern - wenn du sie hast, willst du sie nicht mehr. Das ist die Reise, auf der sie alle sind."

    Der Roman "Superhero" umfasst rund 300 Seiten und ist bei Diogenes als Taschenbuch erschienen zum Preis von 19,90 Euro. Parallel dazu gibt's vom Verlag ein Hörbuch mit 5 Cd's, gelesen von Rufus Beck zum Preis von 29,95 Euro.