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Von Mann zu Mann

Zu Paul Celans rheinischen Freunden zählten Rolf Schroers, Paul Schallück und Heinrich Böll. Die Briefwechsel der Autoren geben einen interessanten Einblick in die inneren und äußeren Widrigkeiten in das Leben des Dichters Paul Celan.

Von Helmut Mörchen | 08.03.2012
    Die vier in diesem vorzüglich edierten Briefband vereinten Autoren Paul Celan, Rolf Schroers, Paul Schallück und Heinrich Böll sind sich im Mai 1952 auf der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf begegnet. Bei diesem Dichtertreffen scheiterte bekanntlich Paul Celan mit der Lesung seiner Gedichte, unter ihnen die "Todesfuge". Celans rhythmisch-melodische Sprachgewalt überforderte offensichtlich die Kollegen, die sich in einem neuen Realismus der Nachkriegsära eingerichtet hatten. Außerdem stieß wohl Celans weihevoll pathetischer Vortragsstil die meisten ab. Eine weitere Einladung zu den Treffen der Gruppe 47 nahm Celan verständlicherweise nicht mehr an.

    Aber gleichwohl hatte seine Teilnahme an der Niendorfer Tagung für ihn höchst bedeutsame Folgen. Denn seitdem die Gruppe 47 auch Kritiker und Verleger zuließ, wurden ihre Zusammenkünfte zu einem Laufsteg für junge Autoren und zu einer Verkaufsbörse neuer Texte. Mit der Herbsttagung 1951 in der Laufenmühle bei Stuttgart hatte die Deutsche Verlags-Anstalt das Sponsoring der Gruppe 47 begonnen. Der Verlag übernahm nicht nur die gesamten Tagungskosten, sondern stiftete auch das Preisgeld für den Gruppenpreis und begründete eine "Reihe junger Autoren", in der dann Texte von Tagungsteilnehmern wie Milo Dor, Wolfgang Hildesheimer, Jürgen von Hollander, Karl Krolow und Rolf Schroers erschienen.

    Mit Rolf Schroers hatte Paul Celan den intensivsten Briefkontakt. Er war es auch, der den DVA-Lektor Willi A. Koch in seiner Entscheidung bestärkte, Celans Gedichte in der Deutschen Verlags-Anstalt herauszubringen. Im Dezember 1952 erschien dort sein Gedichtband "Mohn und Gedächtnis".

    Schon im ersten Brief an Paul Celan, nur wenige Tage nach der Begegnung in Niendorf, distanzierte sich Schroers vom "misstönenden Geschrei der Tafelrunde" und dankte für das nächtliche Nachgespräch: "Sie sehen, ich schwärme, und ich bitte Sie herzlich, es mir für diesmal zu erlauben." Schroers schlägt hier einen Ton der Verehrung an, der den ganzen Briefwechsel mit Celan durchzieht, eine Verehrung, die den Partner als überlegenen Autor anerkennt. Celan dankte diese ihm so selten entgegengebrachte Achtung und Wärme mit ausführlichen und sehr persönlichen Antworten.

    Sehr bald tauschten sich die beiden Schriftsteller nicht nur über Literatur aus, sondern auch über die Wechselfälle des Lebens, über ihre Sorgen und Nöte. So schrieb Celan dem Brieffreund vom Tod seines so ersehnten Sohnes kurz nach der Geburt. Und Rolf Schroers berichtete kurze Zeit später darauf voll Sorge von der Gehirnhautentzündung seiner Tochter. Noch im selben Monat, im November 1953 nahm Celan dann die Zusendung des Romans "Jakob und die Sehnsucht" von Rolf Schroers zum Anlass, ihm in diesem Zusammenhang fast überraschend das "Du" anzubieten: "Was soll ich nun sagen? Dieses Buch bedeutet mir mehr als Bücher mir bedeuten – was sich mir aufdrängt, ist die Frage, ob wir nicht Du zueinander sagen sollen – von Herzen Paul". Mit der Weitergabe des Romans an einen bekannten französischen Kritiker kann Celan sich für die unermüdliche Förderung seines Werks durch den Freund in Deutschland revanchieren. Und in der Tat, Schroers heute gänzlich vergessener Roman erschien bald darauf in französischer Übersetzung.

    Der vom Umfang her schmalere Briefwechsel mit Paul Schallück knüpft ebenfalls an die Niendorfer Begegnung im Jahre 1952 an, bei der Schallück anders als Schroers zunächst - Zitat - "ein sehr ungenaues und unbefriedigendes Bild" von Celan gewonnen hatte. Schallück betont deshalb in seinem ersten Brief an Celan Ende September 1952, wie froh er sei, ihn nun bei einem Besuch in Paris besser kennengelernt zu haben. Einfühlsam warnt er den Dichterkollegen vor einer selbst gewählten Einsamkeit, die, wie er schreibt, "nicht sehr lange mehr gut" für ihn sein könne: "Erlauben Sie mir, lieber Celan", so fügt er hinzu, "dass ich ein wenig Furcht um Sie habe." Wie recht Paul Schallück mit dieser Einschätzung haben sollte!

    Immer wieder litt Celan unter Zurücksetzung und Diskriminierungen. Es hatte ihn zum Beispiel sehr gequält, dass er den Preis des Bundesverbandes der Deutschen Industrie 1957 in Lübeck mit Friedrich Sieburg teilen musste. Er machte sich Vorwürfe, beim Festakt einem zynischen Ex-Nazi die Hand gegeben und das Geld eines Verbands angenommen zu haben, der jemand wie Sieburg auszeichnet. Seine rheinischen Freunde Schallück und Schroers versuchten diesen Eindruck wenn nicht auszuräumen, so doch wenigstens zu relativieren. Schwieriger war die Moderation eines Konfliktes mit dem Literaturkritiker Günter Blöcker, dessen Kritik des Celanschen Gedichtbandes "Sprachgitter" Sätze enthielt, die Paul Celan als antisemitisch empfinden musste. Er dankte Schallück und Schroers, dass sie im Gegensatz zu Ingeborg Bachmann und Wolfgang Hildesheimer seine Sicht unterstützten. Niedergeschlagen schreibt er:

    "Ich bin nicht zum erstenmal der Überempfindliche, Misstrauische, an Verfolgungswahn Leidende, der ... Schonung verdient – Die Blöcker-Geschichte ist für die meisten ... Gesprächsstoff, ein Thema für Literatenquatsch. Ach ja."

    Der verletzliche Celan suchte immer wieder Schutz bei seinen rheinischen Freunden, zu denen sich auch Heinrich Böll zählen lässt.

    Böll war nach dem Niendorfer Dichtertreffen mehrfach Gastgeber Celans bei dessen Kölnbesuchen. Aus einem Brief Bölls an Schroers erfahren wir, wie verständnisvoll Heinrich Böll Celan bei einem seiner Kölner Besuche in der Sieburg-Affäre beraten hat. Als ihn dann aber wenig später Celan um Unterstützung bat wegen des Vorfalls einer antisemitischen Studentenäußerung am Rande einer Lesung Celans in der Uni Bonn, wimmelte Böll ihn kurz angebunden ab. Er habe gerade zu viel mit dem Abschluss seines Romans "Billard um halbzehn" zu tun, so seine Replik. Der Schlagabtausch zwischen beiden ist danach so heftig, dass Böll schließlich den Briefwechsel kalt abbricht:

    "Leben Sie wohl: Sie kennen meine Telefonnummer und meine Adresse."

    Die Funkstille danach hat zwei Jahre gedauert.

    Man erfährt in diesem bei Suhrkamp erschienenen Briefband viel über das kulturelle Klima und das literarische Leben in der Bundesrepublik während der Ära Adenauer. Und jüngere Leser erfahren hier wohl zum ersten Mal von damals so hoch geschätzten Autoren wie Rolf Schroers und Paul Schallück. Und wem der größere Nachruhm gebührt - dem Nobelpreisträger Heinrich Böll oder dem Dichter der "Todesfuge" Paul Celan - das wird die Zukunft zeigen.

    Paul Celan: Briefwechsel mit den rheinischen Freunden. Heinrich Böll, Paul Schallück und Rolf Schroers. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 772 Seiten, Euro 34,90.