Freitag, 29. März 2024

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Von Müttern, Boxern und Giraffen

In "Staub auf unseren Herzen" ist Susanne Lothar in ihrem letzten Film zu sehen. Der indonesische Regisseur Edwin blickt in "Die Nacht der Giraffe" auf gestrandete Menschen im Zoo, in "Valley of Saints" verlassen zwei Freunde die Heimat, und Eike Besuden erzählt in "Gibsy" die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann.

Von Jörg Albrecht | 16.01.2013
    "Staub auf unseren Herzen"
    "Was ist nur mit dir los? – Warum bist du so? Was hast du falsch gemacht? Sag's mir ins Gesicht! Ja, ich habe dich betrogen mit deiner Freundin. Und du warst schwanger."

    Abweisend, verbittert, zutiefst verletzt. Auch in ihrer letzten Rolle zeigt Susanne Lothar noch einmal ihr ganzes Können. Sie spielt Chris – geschieden, Mutter einer 30-jährigen Tochter und eines Sohns im Teenageralter. Chris hat sich auf ein Treffen mit ihrem Ex eingelassen. Doch die Verletzungen, die er ihr vor vielen Jahren zugefügt hat, sind nie verheilt. Mag Chris in ihrem Job als Lebensberaterin auch noch so erfolgreich sein – sich selbst hat sie nie therapieren können. Darunter leidet auch die von Stephanie Stremler gespielte Tochter Kathi, die es trotz ihrer 30 Jahre nicht geschafft hat sich abzunabeln und ihr Leben auf eigene Füße zu stellen. Auch in Erziehungsfragen – Kathi hat einen vierjährigen Sohn – spielt Chris ihre Dominanz aus.

    "Das geht im Moment so nicht. Merkst du das nicht? Komm jetzt mit nach vorne und dann gibst du mir ihn und dann gehen wir! Du hilfst mir!"

    Es kommt zu einem Zweikampf zwischen Mutter und Tochter, die sich – gefangen in ihren Verhaltensmustern – zu behaupten versuchen. "Staub auf unseren Herzen" hat Regisseurin Hanna Doose ihre Abschlussarbeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin genannt. Sparsam sind ihre erzählerischen Mittel. Die Filmemacherin rückt ganz die beiden Darstellerinnen in den Fokus, lässt ihrem improvisierten Spiel freien Lauf. Das Ergebnis ist das wahrhaftige Psychogramm zweier Frauen, das immer mehr den Charakter eines Duells annimmt.

    "Staub auf unseren Herzen": Empfehlenswert!

    Der Magier (Nicolas Saputra) verzaubert Lana (Ladya Cheryl) mit seinen Zaubertricks. - NUR IN VERBINUNG MIT KINOFILM
    Der Magier (Nicolas Saputra) verzaubert Lana (Ladya Cheryl) mit seinen Zaubertricks. (Neue Visionen Filmverleih)
    "Die Nacht der Giraffe"
    So realitätsnah der Film von Hanna Doose ist, so märchenhaft erscheint dagegen die indonesische Produktion "Die Nacht der Giraffe". Deren Schauplatz ist der Zoo von Jakarta.

    "Grundsätzlich gibt es im Zoo drei Arten von Lebewesen. Die Erste sind die Zoobesucher, die hierher kommen, um sich etwas anzusehen. Die zweite Art sind die Tiere. Die dritte Art sind die Menschen, die selber im Zoo leben."

    Menschen wie Lana, die dort als kleines Mädchen von ihrem Vater ausgesetzt worden ist und seitdem auf dem Gelände lebt – zusammen mit anderen im Zoo Gestrandeten. Der indonesische Regisseur Edwin, der in einen Mikrokosmos eintaucht, gestaltet die Übergänge zwischen Traum und Wirklichkeit fließend. Die atmosphärischen, oft symbolhaften und poetischen Bilder ersetzen hier eine klassische Handlung. Doch auf Dauer verstören sie, ja langweilen sie mehr, als dass sie faszinieren.

    "Die Nacht der Giraffe" von Edwin ist ein seltsamer Film. Eher enttäuschend.

    "Valley of Saints – Ein Tal in Kaschmir"
    Sie singen, dass sie die schweren Zeiten hinter sich lassen und einen Neustart versuchen wollen. Dieses neue Leben soll die alten Wunden heilen und den Schmerz aus ihren Herzen nehmen. Gulzar und Afzal, zwei Freunde vom Dal-See in Kaschmir, beschließen ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Eine Heimat – so idyllisch wie bedrohlich. Es ist nicht nur ein Leben in Armut. Auch der Grenzkonflikt zwischen Indien und Pakistan ist täglich spürbar. Die Begegnung mit einer jungen Wissenschaftlerin, die nach Kaschmir gekommen ist, um Wasserproben zu untersuchen, wird zumindest Gulzar an seinem Entschluss zweifeln lassen. Die Freundschaft der beiden Männer steht daraufhin vor einer Zerreißprobe.

    Gedreht an Originalschauplätzen unter teils gefährlichen Bedingungen für das Filmteam, ist Musa Syeed, dessen Familie selbst aus Kaschmir stammt, ein erstaunlicher Film gelungen. Geschickt bindet der Regisseur politische, soziale und ökologische Themen ein in seine Freundschafts- und Liebesgeschichte. Der fast ausschließlich mit Laiendarstellern gedrehte Film überzeugt aber auch durch die Kraft seiner Bilder.

    "Valley of Saints – Ein Tal in Kaschmir" von Musa Syeed läuft in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Absolut empfehlenswert.

    Trailer zum Film "Valley of Saints - Ein Tal im Kaschmir"

    Johann Rukeli Trollmann (Hannes Wegener) als Karikatur eines Ariers - NUR IN VERBINDUNG MIT FILM
    Johann Rukeli Trollmann (Hannes Wegener) als Karikatur eines Ariers. (Real Fiction/Jörg Landsberg)
    "Gibsy"
    "Ich bin jetzt der blonde Boxer. Alles hell. Alles blond. Ich werde deutsch boxen. Deutsch."

    Von Zivilcourage erzählt der Filmemacher Eike Besuden in "Gibsy – Die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann". Auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1933 stieg Trollmann bei einem Kampf weiß gepudert in den Ring. Als Sohn einer Sinti-Familie – von den Zeitungen "Der Zigeuner-Boxer" genannt – hatte der Deutsche Meister im Halbschwergewicht nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten keine Chance mehr auf Siege und Titel. Sein Box-Stil wurde als "undeutsch" geächtet.

    Der Auftritt Trollmanns als Karikatur des arischen Boxers steht im Zentrum dieser Dokumentation. Das wenige Archivmaterial – so gibt es nur eine einzige Filmaufnahme, die Trollmann zeigt – hat Eike Besuden durch Spielszenen ergänzt, unter anderem mit Hannelore Elsner als Trollmanns Mutter. Das Konzept erinnert an die Dokudramen von Heinrich Breloer. Schade nur, dass diese Passagen zu brav und steril inszeniert worden sind.

    "Gibsy" von Eike Besuden: Zwiespältig!