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Von Quarksäcken und Pflaumblattspinnern

Der Lyriker Oswald Egger präsentiert unter dem Titel "nihilum album" eine umfangreiche Sammlung von Vierzeilern, die zuvorderst mit ihrer rätselhaften Sprache auffallen. Damit gelingt ihm eine Grenzüberschreitung von Literatur zur Musik, die jedoch in hohem Maße verwirrend ist. Für den Leser ist die inviduelle Interpretation entscheidend.

Von Martin Krumbholz | 25.07.2007
    "Das Wesen des Gedichts ist Gesang, nicht Gemälde" (Herder). Oswald Egger will mit seinen Texten die Volksliedtradition erneuern: mit einer eigenwilligen, in jedem Sinn exzentrischen Sprachmusik, Lautpoesie, die die Grenze zwischen Literatur und Musik, aber auch die zwischen "Sinn" und "Unsinn" provokant überschreitet.

    Deshalb ist es wichtig, Egger selbst - als authentischen Interpreten seiner selbst - die Gedichte lesen zu hören: Dem Band liegt eine vom Autor aufgenommene CD bei. Der Titel "nihilum album" ließe sich als "Weißnicht" übersetzen (aber auch das wäre ein Kalauer) oder als "Weißes Nichts" oder "Nicht-Album"...
    Oswald Egger wurde 1963 in Lana in Südtirol geboren. Er lebt in Wien und auf der Raketenstation Hombroich, am Museum Insel Hombroich fungiert er als Nachfolger Thomas Klings als Koordinator für Literatur.
    Oswald Egger mutet seinen Lesern mit diesem Buch einiges zu. 3650 Vierzeiler, zehn für jeden Tag des Jahres, das ergibt weit mehr als 12.000 Verse, was etwa dem Umfang beider Teile von Goethes "Faust" entspräche. Vieles davon ist nach landläufigen Begriffen unverständlich, weil der Text ganz seinen autonomen lautmalerischen Gesetzen folgt und eine eigene Semantik zu etablieren scheint: "Bekannte" Wörter der deutschen Sprache mischen sich mit "unbekannten" und erzeugen ein schier undurchdringliches Geflecht, einen fremdartigen, kryptischen, kühnen Text eigenen Rechts. Wie stellt der Autor sich seinen idealtypischen Leser vor?

    Oswald Egger erklärt, er biete seinem Leser nicht die geschlossene Faust, sondern die offene Hand an. Mit anderen Worten: Kein geschlossenes Weltbild oder –erklärungsmodell, denn dazu sehe er sich gar nicht in der Lage, sondern das Angebot, sich in einen Raum aus Bildern und Klängen zu begeben und in diesem seine eigenen Assoziationen zu entfalten. Der Leser werde vermutlich nicht das ganze Buch von A bis Z lesen, sondern er werde darin herumstöbern, und das sei durchaus auch im Sinn des Autors.

    Was, bitteschön, ist ein Quarksack, was sind Pflaumblattspinner, was ist ein Bizockel? Reicht unser vorhandenes Vokabular nicht aus, die Welt zu benennen?

    Wäre es nicht schade, wenn es einen Quarksack nicht gäbe? Einen Pflaumblattspinner gibt es, es ist ein Insekt.

    Es gibt ein "lyrisches Ich", und es gibt erzählerische Elemente, teils im Präsens, teils im Präteritum. Eine eigentliche Dramaturgie ist allerdings nicht zu erkennen. Es gibt Behauptungen und es gibt Fragen. Es gibt Strophen von zündendem Witz:

    "Ein Hase/ fraß Gras/ und schnitt sich damit/ Zungentzwei",

    und es gibt solche, die fast eine Art fragmentarischer Psychologie zu enthalten scheinen:

    "Wenn ich/ stark-nicht-bin/ was bin ich/ dann?"

    Und, ganz selten, glimmt sogar so etwas wie subtiles Pathos auf:

    "An was für/ einem Tag/ öffnest du die Tür und/ trittst in die Hütte?"

    Man kann Geschichten in diesem Buch entdecken, auch Figuren, aber das "Ich" ist nicht unbedingt mit sich selbst identisch, es sind unendlich viele unterschiedliche und natürlich fiktive Ichs. Es werden Fabeln und Märchen und andere Mythologeme zitiert. Entscheidend ist, daß der Leser oder Hörer sich auf eine Welt der Abenteuer einlässt und darin Eigenes entdeckt.


    Oswald Egger: nihilum album. Lieder & Gedichte
    Suhrkamp Verlag 2007
    150 Seiten, 22,80 Euro