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"Von Rechtsschwenk kann nun wirklich nicht die Rede sein"

"Angela Merkel steht für einen Kurs der Mitte", verteidigt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe die Bundeskanzlerin und erneut gewählte CDU-Chefin. Vor dem Hintergrund von Vertrauensschwund gegenüber der Politik sei es der Auftrag der CDU, ihren Charakter als Volkspartei zu verteidigen, sagte Gröhe.

Hermann Gröhe im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.11.2010
    Friedbert Meurer: Die alte Garde der CDU tritt ab, die neuen kommen. Dabei so alt sind Roland Koch, Christian Wulff und Jürgen Rüttgers nun auch wieder nicht. Koch wird Unternehmenschef, Wulff ist schon Bundespräsident geworden. Statt der potenziellen Konkurrenten um die Macht heißen die Stellvertreter der Partei jetzt Volker Bouffier, Ursula von der Leyen und Norbert Röttgen.

    "Volker Bouffier: Zuwanderung und Integration, alle konstruktiven Ansätze zu diesem Thema sind von der Union gekommen unter Führung von Angela Merkel."

    "Ursula von der Leyen: Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen uns vertrauen, dass wir die Antworten für die Zukunft finden, dass wir den Weg vorangehen, dass sie sich uns anvertrauen."

    "Norbert Röttgen: Ich sage den Grünen auch von dieser Stelle, Selbstzufriedenheit und Hochmut kommt vor dem Fall. Wir sind die diskutierende Partei, die freuen sich über Umfrageergebnisse."

    Meurer: Das neue Machttrio in der CDU, Volker Bouffier, Ursula von der Leyen und Norbert Röttgen, allesamt gestern zu Stellvertretern von Angela Merkel als Parteivorsitzende gewählt worden. – Am Telefon begrüße ich Hermann Gröhe, den Generalsekretär der CDU. Guten Morgen, Herr Gröhe.

    Hermann Gröhe: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Ist die neue Führung genehmer für die Kanzlerin als die alte?

    Gröhe: Es ist vor allen Dingen eine starke Führung, die wichtige Themen durch starke Persönlichkeiten zum Ausdruck bringt, und da gehört das offene Wort dazu, aber unbestritten ist Angela Merkel unsere Vorsitzende.

    Meurer: War es das Ziel von Angela Merkel, dass Koch, Wulff nicht mehr in der Parteiführung sind?

    Gröhe: Davon kann nicht die Rede sein und Sie haben in der Anmoderation ja selbst darauf hingewiesen, dass es ganz unterschiedliche Gründe hat, wenn der eine zu unserem Staatsoberhaupt gewählt wird, wir freuen uns darüber, ein anderer die Politik verlässt, ein anderer nach einer Wahlniederlage Konsequenzen zieht auch im Hinblick auf seine Spitzenfunktion in der Partei. Das würde niemand so planen, drei von vier Stellvertretern auf einmal auszuwechseln. Aber dass wir das in dieser kraftvollen Art und Weise getan haben zeigt, wie stark diese Volkspartei ist.

    Meurer: Angela Merkel hat ja gestern die ehemaligen Mitglieder der CDU-Führung verabschiedet, auch Roland Koch, und da hat sie sinngemäß gesagt, anfangs ist nicht alles so ganz glatt im Einvernehmen zwischen uns gelaufen. War das am Ende wirklich alles im reinen zwischen den beiden?

    Gröhe: Gerade Roland Koch und Angela Merkel haben in der Zeit der unmittelbaren Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise in besonderer Weise eng zusammengearbeitet, weil Roland Koch dort geradezu zu einem Sprecher der Ministerpräsidenten insgesamt, nicht nur der der Union geworden ist, wenn es auch um das Austarieren der Interessen der Länder und des Bundes ging, und da war dies eine ganz enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit, und nicht ohne Grund hat Angela Merkel ausdrücklich von Freundschaft im Hinblick auf Roland Koch und sie gesprochen.

    Meurer: Herr Gröhe, auch Sie wissen, die Umfragen sind mager, im Bund und gerade auch in Baden-Württemberg. Nordrhein-Westfalen ist vor ein paar Monaten verloren gegangen. Haben das die Delegierten, die sich offenbar so geschlossen gezeigt haben, gestern ausgeblendet, diese schwierige Situation?

    Gröhe: Angela Merkel hat mit einer überaus kämpferischen Rede die Seele der Delegierten erreicht und den Gemeinschaftsgeist auch erfolgreich angesprochen, das Zusammenstehen auch bei Gegenwind. Insofern haben alle Delegierten auch die Herausforderungen vor Augen, die wir angehen wollen, aber sie wollen es als Mannschaft gemeinsam tun und haben auch bewusst die Führung gestärkt.

    Meurer: Hat der Rechtsschwenk die CDU-Vorsitzende über die 90-Prozent-Hürde getragen und ihr ein vergleichbar gutes Ergebnis eingebracht?

    Gröhe: Von Rechtsschwenk kann nun wirklich nicht die Rede sein. Es war eine grundsatzorientierte, es war eine Rede, die besonders auch aus der Perspektive der Parteivorsitzenden die Dinge, die vor uns liegen, ansprach. Es war ja ein Parteitag, das war keine Regierungserklärung, da steht Parteiprogrammatik im Vordergrund, auch eine kämpferische Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Das war kein Rechtskurs, Angela Merkel steht für den Kurs der Mitte.

    Meurer: Der Rechtskurs wird ja sozusagen als Etikett an die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende geheftet, weniger jetzt wegen der Rede gestern, Herr Gröhe, sondern wegen ihrer Politik: Atomlaufzeiten, klare Absage an Schwarz-Grün. Ist das kein Schwenk hin zu den Konservativen in der CDU?

    Gröhe: Also Schwarz-Grün scheitert auf Bundesebene auf dem zunehmenden Kurs der Verantwortungsverweigerung von Seiten der Grünen. Das hat nichts mit unserem Kurs in allererster Linie zu tun. Wir ziehen konsequent den Kurs, den wir vor der Wahl angekündigt haben. Dazu gehörte die Laufzeitverlängerung. Und die Grünen haben einst "Stuttgart 21" im Bundestag zugestimmt und werden jetzt zur reinen Dagegenpartei. Das ist der Ausstieg aus Regierungsfähigkeit. Nein!
    Und die Laufzeitverlängerung? Wissen Sie, darüber haben wir in der Union insgesamt diskutiert und gemeinsam die Weichen gestellt dafür, die Kernenergie als Brückentechnologie zu nutzen. Angela Merkel steht weltweit wie kaum eine andere Persönlichkeit für Klimaschutz, für den Weg ins erneuerbare Energie-Zeitalter. Also wir halten Kurs, wir sind in der Mitte.

    Meurer: Bestreiten Sie, Herr Gröhe, dass die Kanzlerin jetzt, Ende 2010, eine andere Kanzlerin ist als in der Großen Koalition?

    Gröhe: Nein, und die Situation der Großen Koalition ist auch eine ganz besondere gewesen. Wenn die beiden großen Volksparteien, die Jahrzehnte sozusagen eher die Gegenpole der politischen Debatte sind, zusammenarbeiten, erfolgreich unter Angela Merkels Führung zusammenarbeiten, dann ist das eine andere Situation, als wenn sozusagen der Normalfall der deutschen Parteiendemokratie, nämlich eine große Formation in der Regierungsverantwortung, eine etwas kleinere oder in dem Fall deutlich kleinere in der Opposition. Da werden die Auseinandersetzungen auch klarer. In Zeiten der Großen Koalition wurde die Abwesenheit einer starken Opposition häufig beklagt, war manche Parlamentsdebatte vielleicht auch nicht furchtbar spannend, wenn eine so große Mehrheit in der Mitte die Debatte dominiert. Insofern sind wir jetzt auch angesichts mancher härteren Auseinandersetzung eher wieder ein Stück im Normalfall der Demokratie.

    Meurer: Der Normalfall könnte bald schon wieder vorbei sein. Das Parteiensystem ändert sich erheblich. Kann man dann wirklich, sollte man dann wirklich alle möglichen Koalitionen als Hirngespinste ausschließen?

    Gröhe: Man sollte zunächst sagen, was man selbst will, den eigenen Kurs deutlich machen, und zwar nicht nur im Tagesgeschäft, sondern in den leitenden Prinzipien. Das ist wichtig. Wir haben in der Tat Vertrauensschwund gegenüber allen demokratischen Institutionen, wir haben täglich neu die Herausforderung, unseren Charakter als Volkspartei zu verteidigen. Ich sage es einmal so: Volksparteien sind so notwendig wie nie zuvor, um die Gesellschaft zusammenzuhalten, aber auch so schwer wie nie zuvor. Also da muss man in erster Linie selbst überzeugen und darf nicht auf Koalitionsoptionen schielen.

    Meurer: Was ist die größte Gefahr, dass die CDU keine Volkspartei mehr ist?

    Gröhe: Dass unsere Gesellschaft insgesamt auseinanderdriftet, dass der großartige Auftrag von Volksparteien, zusammenzuführen, auf einem Wertefundament zu sagen, wir bringen jung und alt, Stadt und Land, Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen, dass das in einer immer bunter werdenden Gesellschaft schwerer wird, und das ist eine Herausforderung. Ein Blick in die Nachbarländer in Europa zeigt, dass Parteien, die Jahrzehnte dominante Formationen waren, sehr ins Strudeln gekommen sind. Insofern müssen wir unseren Anspruch täglich neu erarbeiten, und dieser Parteitag stärkt uns dabei den Rücken.

    Meurer: Um Werte geht es vor allen Dingen bei einem Thema, das Sie auf Ihrem Bundesparteitag, Herr Gröhe, beschäftigt, nämlich bei der Präimplantationsdiagnostik. Da ging gestern Abend die Debatte in Karlsruhe schon los, wird heute Morgen fortgesetzt. Was ist Ihre persönliche Meinung zu diesem Thema?

    Gröhe: Wie viele ist das auch bei mir ein langes Ringen, aber ich habe mich entschieden. Ich bin der Überzeugung, dass bei allem Verständnis dafür, dass es Grenzsituationen für Paare bei schwerer erblicher Belastung gibt, wir enge Ausnahmefälle auf Dauer nicht als enge Ausnahmefälle halten können, Grenzen dann insgesamt brechen und wir die Unbedingtheit des Lebens- und Menschenwürdeschutzes fallen lassen. Ich bin für ein Verbot der PID.

    Meurer: Deckt sich das mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs?

    Gröhe: Der Bundesgerichtshof hat gesagt, dass die jetzige rechtliche Regelung kein Verbot darstellt. Das war vorher umstritten, viele haben es für eine ausreichende Verbotsregelung gehalten, bis auf den Fall, der dann zum Gericht kam, haben sich die entsprechenden Institutionen daran gehalten. Insofern hat der Bundesgerichtshof gesagt, wenn ihr etwas verbieten wollt, dann müsst ihr es explizit tun, dann darf das nicht sozusagen im Ungefähren gelassen werden. Insofern ist jetzt der Gesetzgeber gefordert.

    Meurer: Sie werden es nicht hinkriegen ohne die FDP.

    Gröhe: Wir werden es wie bei anderen Fragen ohnehin nicht als Koalition gegen Opposition machen, sondern es wird Gruppenanträge geben, mindestens zwei, einen, der auf Verbot zielt, einen, der die Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen zulassen will, und dann wird nicht anhand von Fraktions- oder Parteilinien, sondern so wie bei den Fragen von Stammzellforschung, Abtreibung, Patientenverfügung unabhängig davon in Gruppen frei nach dem Gewissen der Abgeordneten entschieden.

    Meurer: CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Danke, Herr Gröhe, auf Wiederhören nach Karlsruhe.

    Gröhe: Ich danke Ihnen, Herr Meurer, Wiedersehen nach Köln.