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Von trügerischer Hoffnung auf Frieden erfüllt

Am 17. März 1956 starb in Paris die Nobelpreisträgerin Irène Joliot-Curie an akuter Leukämie - eine Folge der unsichtbaren radioaktiven Strahlung, der sie sich jahrzehntelang ausgesetzt hatte. Die Tochter der Nobelpreisträgerin Marie Curie hat durch die Entdeckung der künstlichen Radioaktivität das atomare Wettrüsten letztlich selber mit auf den Weg gebracht. Die Hoffnung auf eine friedliche Nutzung der Atomenergie gab sie nie auf.

Vor Irene Meichsner | 17.03.2006
    "Am letzten Tag der Nobelpreisträgertagung in Lindau trafen wir Frau Irène Joliot-Curie, die Tochter von Marie und Pierre Curie, die selbst - mit ihrem Mann, Frédéric Joliot-Curie zusammen - den Nobelpreis erhalten hat. Eine 55-jährige Frau, die für diesen Ausflug sich ein Kopftuch umgebunden hat, einen Lodenmantel übergeworfen hat - ich werde nun Frau Joliot-Curie fragen, welche Eindrücke sie in Lindau bei der Tagung der Nobelpreisträger der Chemie empfangen hat."

    Irène Joliot-Curie: "Ich glaube, dass das eine glückliche Idee ist, hier eine gewisse Anzahl von Wissenschaftlern zu vereinigen... Solche internationalen Tagungen sind sehr wichtig, weil sie eine lebendige Brücke herstellen zwischen den Völkern und der Wissenschaft - unabhängig von Fragen der Nationalität oder der politischen Meinung."

    Viel Zeit blieb Irène Joliot-Curie nicht mehr nach diesem Treffen der Chemienobelpreisträger 1952 in Lindau. Am 17. März 1956 starb sie in Paris an akuter Leukämie - eine Folge der unsichtbaren radioaktiven Strahlung, der sie sich jahrzehntelang ausgesetzt hatte.

    1934 gelang Irène Joliot-Curie das entscheidende Experiment, für das sie mit ihrem Mann Frédéric, einem früheren Assistenten ihrer Mutter, schon im folgenden Jahr den Nobelpreis bekam.

    "Wenn man Aluminium einer Alphastrahlung aussetzt, formt sich durch Verwandlung ein radioaktives Element von ungefähr drei Minuten Dauer","

    schilderte sie selber den Moment, als das erste künstliche radioaktive Element in einem kleinen Glasröhrchen entstand.

    1897 in Paris geboren, war sie - wie kaum eine andere Frau vor ihr - für eine wissenschaftliche Karriere prädestiniert. Irène war 6, als ihre Mutter den Physiknobelpreis bekam - und saß als 14-Jährige in der ersten Reihe, als Marie Curie in Stockholm auch noch den Nobelpreis für Chemie entgegennahm. So begeisterte sich Irène schon als Kind für die Wissenschaft.

    ""Ich glaube, was wirkliche wissenschaftliche Forschungsarbeit ausmacht, ist der uneigennützige Wissensdurst, den sie stillen soll; ein Umstand, der paradox ist, weil es schließlich diese Art von Arbeit ist, die letztlich die sensationellsten praktischen Konsequenzen hat."

    Seit 1919 arbeitete Irène Curie im französischen Radium-Institut, das auf Initiative ihrer Mutter in Paris gegründet worden war.

    "Sie schien Angst zu haben, mehr als Tochter ihrer Mutter statt als selbstständige Wissenschaftlerin betrachtet zu werden","

    argwöhnte ihre deutsche Kollegin Lise Meitner, die der 31-Jährigen in England begegnete.

    Irène wirkte spröde, streng, menschenscheu. Aber viele haben sie auch unterschätzt. Seit 1937 Professorin an der Pariser Sorbonne, sympathisierte sie offen mit der Frauenbewegung. Ihr Ideal von sozialer Gerechtigkeit und Frieden teilte sie mit ihrem Mann. Auch Frédéric Joliot-Curie war, zwei Jahre nach ihrem Tod, Gast einer Nobelpreistagung in Lindau.

    Frédéric Joliot-Curie: ""Herr Präsident, meine lieben Kollegen! Zuallererst möchte ich Ihnen sagen, wie außerordentlich ich es bedauert habe, 1952 krank gewesen zu sein, so dass ich Irène Joliot-Curie damals nicht nach Lindau begleiten konnte.
    Ich erinnere mich, wie glücklich sie war über die anregenden und interessanten Begegnungen mit ihren Nobelpreiskollegen hier in Lindau - und Sie werden verstehen, wie sehr es mich betrübt, sie heute hier nicht mehr bei mir zu haben."

    Die Anfänge des atomaren Wettrüstens haben beide noch miterlebt. Sie hatten es durch die Entdeckung der künstlichen Radioaktivität letztlich selber mit auf den Weg gebracht.

    "Es bekümmert uns zu sehen", sagte Irène Joliot-Curie 1948 bei einem Vortrag über "Radioaktivität und Atomenergie", "dass ein großes Land wie die USA all seine Kräfte darauf verschwendet, die destruktive Kraft der Atombomben zu verbessern und dabei andere große Probleme von allgemeinem Interesse vernachlässigt."

    Die Hoffnung auf eine friedliche Nutzung der Atomenergie gab sie nicht auf. Eine stolze Frau, die sich ihren Kinderglauben an den Segen der Wissenschaft bis zum bitteren Ende bewahrt hat.