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Vor 100 Jahren
Als britische Truppen Daressalam besetzten

Daressalam, heute die größte Stadt Tansanias, war einst Kolonialmetropole des Deutschen Kaiserreichs. Von 1891 an war es die Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas. Im Ersten Weltkrieg kämpften europäische Truppen auch auf afrikanischem Boden. Am 4. September 1916 besetzten britische Einheiten Daressalam.

Von Regina Kusch | 04.09.2016
    Gräber für deutsche Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in Ostafrika gefallen sind, auf dem Militärfriedhof in Daressalam in Tansania.
    Gräber für deutsche Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in Ostafrika gefallen sind, auf dem Militärfriedhof in Daressalam in Tansania. (picture alliance / dpa / Carola Frentzen)
    "Auch England hat unserem Vaterlande den Krieg erklärt. Wir müssen damit rechnen, dass der Feind in Deutsch-Ostafrika einzudringen versucht. Den ungeschützten Städten an der Küste, in erster Linie Daressalam, das so viele deutsche Frauen und Kinder beherbergt, wird, wie wir hoffen, der Schrecken des Krieges erspart werden."
    Heinrich Schnee, der Gouverneur Deutsch-Ostafrikas, wollte zu Beginn des Ersten Weltkrieges um jeden Preis Kampfhandlungen in der größten deutschen Kolonie verhindern.
    Daressalam, übersetzt "Haus des Friedens", war einst ein malerisches Fischerdorf am Indischen Ozean im heutigen Tansania. 1891 wurde es Hauptstadt der deutschen Kolonialmacht.
    Paul von Lettow-Vorbeck widersetzt sich dem Gouverneur
    Ende des 19. Jahrhunderts hatten die europäischen Großmächte Afrika weitgehend unter sich aufgeteilt, sich dort im Falle eines Krieges allerdings zur Neutralität verpflichtet. Um unnötige Zerstörung zu verhindern, erklärte Schnee sämtliche Küstenstädte zu "offenen Plätzen" und verbot bei gegnerischen Landungsversuchen jede Gegenwehr. Der Afrikanologe Andreas Eckert von der Berliner Humboldt Universität:
    "Zunächst waren die Deutschen militärisch gar nicht so gut aufgestellt. Die Briten, dadurch dass sie noch eine ganze Reihe von anderen Kolonien hatten, auch aus Südafrika entsprechend militärisches Gerät und Kriegsschiffe bringen konnten, waren erst mal in einer besseren Lage."
    Der Kommandeur der kaiserlichen Schutztruppen Paul von Lettow-Vorbeck allerdings hielt seinen Vorgesetzten, den Gouverneur, für einen Schwächling und widersetzte sich ihm offen. Er wollte den Briten die Ugandabahn, die ihnen die Verbindung vom Indischen Ozean an den Victoriasee sicherte, abjagen. Je mehr Soldaten die Briten zur Verteidigung der Bahnstrecke nach Afrika schickten, desto weniger würden sie Deutschland in Europa bedrohen, erklärte er später seine Strategie.
    "Wir Ostafrikaner wurden uns bewusst, dass dieser Krieg nicht der Verteidigung deutschen Kolonialbesitzes galt. Der Erringung des Gesamtsieges galt unser Kampf. Wir hatten alles daran zu setzen, um der bald aus 1.000 Wunden blutenden Heimat Entlastung zu schaffen. So wurde die Kolonie ein Kampfmittel, das voll einzusetzen war."
    Krieg der Europäer auf afrikanischem Boden
    1916 begann eine alliierte Offensive. Belgische Truppen drohten von Westen, portugiesische von Süden.
    "Die Briten haben dann sukzessive verschiedene Regionen des Landes eingenommen. Vom Norden her, es grenzt ja an Kenia, die Kilimandscharo Region, dann auch Tabora im Westen des Landes, auch eine wichtige Verwaltungsstelle und Daressalam blieb als letzte große Stadt übrig, und irgendwann gab es nur noch wenig Gegenwehr und vor allem haben die Briten auch immer mehr größere Kriegsschiffe und Soldaten Richtung Ostafrika geschickt."
    Am 4. September 1916 besetzten britische Truppen Daressalam.
    "Das war in gewisser Weise auch noch mal ein symbolischer Akt, weil auch die Hauptstadt der Kolonie den Briten in die Hände fiel."
    Mit der Guerilla-Taktik einer Räuberbande konnte sich Lettow Vorbeck bis November 1918 durchschlagen und kapitulierte erst nach dem offiziellen Kriegsende als letzter deutscher Offizier.
    "Was später Teil der sogenannten Dolchstoßlegende wurde, die ja ganz prägend war für die Weimarer Republik, also die Vorstellung, dass Deutschland schon die Niederlange zugegeben hätte, obwohl noch siegreiche Truppen im Feld unterwegs gewesen wären."
    Verlust der Kolonien
    Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages verlor Deutschland seine Kolonien. Der ehemalige Gouverneur Heinrich Schnee wehrte sich gegen den Vorwurf, dass die Deutschen schlechte Kolonialherren gewesen wären und prägte den Begriff der "Kolonialschuldlüge". Der skrupellose Lettow Vorbeck galt in Deutschland lange Zeit als unbesiegter Held.
    Dass die afrikanische Zivilbevölkerung für einen europäischen Krieg auf ihrem Boden leiden musste, hat lange niemanden interessiert. Allein in Ostafrika, schätzen Historiker heute, verloren weit über 300.000 Zivilisten ihr Leben. Ganze Landstriche waren verwüstet, die Bevölkerung aus ihren niedergebrannten Dörfern vertrieben und noch Jahre nach Kriegsende herrschten Hunger und Epidemien. Finanzielle Unterstützung für die afrikanischen Opfer des Krieges gab es kaum. Die kolonialen Grenzen wurden neu gezogen, ohne den Afrikanern ein Mitspracherecht zuzugestehen. Daressalam unterstand britischem Mandat - bis zur Unabhängigkeit Tansanias 1961.