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Vor 100 Jahren
Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk

Im Verlauf des Ersten Weltkriegs setzte die deutsche Regierung zunehmend auf einen Separatfrieden mit Russland, um den Zweifrontenkrieg zu beenden. Nach dem Sturz des Zaren im Februar 1917 und dem Sieg der Bolschewiki im Oktober schien die Gelegenheit gekommen: Die Sowjet-Regierung bot Deutschland Friedensgespräche an.

Von Otto Langels | 03.03.2018
    Blick auf die Delegationen am Verhandlungstisch in der weißrussischen Stadt Brest-Litowsk im Jahr 1917. Am 3. März 1918 unterzeichneten hier die Sowjetregierung und die sogenannten Mittelmächte den ersten Friedensvertrag des Ersten Weltkriegs. Im November 1918 wurde der Vertrag, in dem sich die Sowjetunion zu großen Landabtretungen und der Zahlung von 6 Milliarden Goldmark verpflichtet hatte, für ungültig erklärt.
    Blick auf die Delegationen am Verhandlungstisch in der weißrussischen Stadt Brest-Litowsk im Jahr 1917. (picture alliance / dpa / UPI)
    "Im Grunde war der Vertrag eine Kapitulation vor den Deutschen, nichts anderes. Die russische Seite bekam nichts weiter als den Frieden, aber sonst hatte sie nur zu bezahlen."
    Fasst der Berliner Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski den Inhalt des Friedensvertrags von Brest-Litowsk zusammen.
    Gut ein Jahr zuvor, im Februar 1917, war in Russland das zaristische Regime gestürzt worden, zwei Monate später hatten die USA dem Deutschen Reich den Krieg erklärt. Die Aussichten der Mittelmächte Deutschland und Österreich auf einen militärischen Erfolg waren damit gesunken, auch wenn der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung Russlands vorübergehend für Entlastung an der Ostfront sorgte. Anfang November bot die neue, durch die Oktoberrevolution an die Macht gekommene Regierung der Bolschewiki allen Kriegsparteien Frieden an.
    "Die Ausgangslage war für die russische Seite katastrophal, weil die russische Armee zerfiel, sich auflöste und die Deutschen nach Belieben vorrücken konnten. Und deshalb hatten die Deutschen alle Trümpfe in der Hand, der russischen Seite ihre Bedingungen zu diktieren."
    Die deutsche Reichsregierung und die Oberste Heeresleitung waren an einem Separatfrieden mit Russland interessiert, um die frei werdenden militärischen Kräfte nach Westen zu verlagern und in eine Entscheidungsschlacht gegen Frankreich und seine Verbündeten führen zu können.
    Waffenstillstand im Dezember 1917
    Im Dezember trat an der gesamten Ostfront ein Waffenstillstand in Kraft, in der russischen Grenzstadt Brest-Litowsk begannen Friedensverhandlungen. Sowjetrussischer Delegationsleiter war zunächst Adolf Abramowitsch Joffe, später Leo Trotzki.
    "Bevor Trotzki zu den Verhandlungen fuhr, nahm er einen an der Straße stehenden, schmutzigen, verlausten Soldaten mit, und den setzte er mit in den Saal hinein. Und dann nahmen sie noch eine Terroristin mit, die einen Gouverneur erschossen hatte und die dann dort am Tisch dem Kronprinzen davon berichtete, dass sie mal als Terroristin Gouverneure erschossen habe."
    Die russische Seite wollte damit demonstrieren, dass neben Adligen und altgedienten Diplomaten neue, revolutionäre Akteure die politische Bühne betraten.
    Russen setzten zunächst auf Verzögerungstaktik
    Die Russen verfolgten zunächst eine Verzögerungstaktik. Leo Trotzki, neben Wladimir Lenin führender Kopf der Bolschewiki, schrieb über das Vorgehen in seiner Delegation.
    "In die Friedensverhandlungen traten wir mit der Hoffnung ein, die Arbeitermassen Deutschlands und Österreich-Ungarns aufzurütteln. Zu diesem Zweck war es nötig, die Verhandlungen möglichst in die Länge zu ziehen, damit die europäischen Arbeiter Zeit hätten, die Tatsache der Sowjetrevolution und im Besonderen ihre Friedenspolitik gehörig zu erfassen.
    Trotzki hoffte jedoch vergeblich, dass die westeuropäischen Proletarier dem russischen Beispiel folgen, ihre Regierungen stürzen und damit den Bolschewiki eine Atempause und bessere Ausgangslage am Verhandlungstisch verschaffen würden. Stattdessen lehnte die deutsche Delegation Trotzkis Kompromissformel "Weder Krieg noch Frieden" rigoros ab. Auf russischer Seite siegte Lenins Sinn für Realismus.
    "Er hat in einer Kampfabstimmung im Politbüro durchgesetzt, dass diese Friedensbedingungen der Deutschen, die dann immer schlimmer wurden, weil die russische Seite an Einfluss verlor, unterschrieben würden."
    Am 3. März 1918 wurde dann in Brest-Litowsk der Friedensvertrag unterzeichnet.
    "Artikel I. Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei einerseits und Russland andererseits erklären, dass der Kriegszustand zwischen ihnen beendet ist. Sie sind entschlossen, fortan in Frieden und Freundschaft miteinander zu leben.
    Artikel V. Russland wird die völlige Demobilmachung seines Heeres einschließlich der von der jetzigen Regierung neugebildeten Heeresteile unverzüglich durchführen."
    "Das war zweifellos ein Gewaltfrieden und ein Raubfrieden, der der russischen Seite mit brutalem Zynismus aufgezwungen wurde."
    Russland musste unter anderem Finnland, den baltischen Staaten, Polen und Georgien die Unabhängigkeit gewähren und drei Viertel der Stahl- und Eisenindustrie abtreten. Starke deutsche Verbände verblieben allerdings weiterhin im Osten, um die Vorherrschaft abzusichern und fehlten für eine entscheidende Offensive im Westen.
    Als ein Dreivierteljahr später die deutsche Republik ausgerufen wurde und der Kaiser im holländischen Exil abdankte, war der von Deutschland diktierte Frieden von Brest-Litowsk nur noch Makulatur. Das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne zwischen dem Deutschen Reich einerseits und Großbritannien und Frankreich andererseits erklärte am 11. November 1918 den Friedensvertrag von Brest-Litowsk für null und nichtig.