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Vor 100 Jahren
Die Eröffnungsrede der Weimarer Nationalversammlung

Als Friedrich Ebert die Nationalversammlung in Weimar eröffnete, zog er in seiner Rede eine Bilanz der drei Monate nach dem revolutionären Umsturz von Anfang November 1918. Dabei beschwor er den "Geist von Weimar" als verheißungsvollen Neubeginn in einem demokratisch verfassten Deutschland.

Von Volker Ullrich | 06.02.2019
    Auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin hält Friedrich Ebert am 9. November 1918 eine Ansprache.
    "Spießbürgerlich und im Verlauf schwunglos" soll Eberts Rede gewesen sein - anders als bei seiner Ansprache am 9. November 1918 in Berlin (picture-alliance / dpa)
    "Meine Damen und Herren, die Reichsregierung begrüßt durch mich die Verfassungsgebende Versammlung der deutschen Nationen. Besonders herzlich begrüße ich die Frauen, die zum ersten Mal gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen."
    Mit diesen Worten eröffnete der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert im Namen des Rates der Volksbeauftragten am Nachmittag des 6. Februar 1919 die konstituierende Sitzung der Nationalversammlung im Weimarer Nationaltheater. Für die Stadt in Thüringen als Tagungsort hatte sich vor allem Ebert, die dominierende Figur in der Revolutionsregierung, stark gemacht. Zum einen, weil die Verhältnisse in der Hauptstadt Berlin nach den Unruhen von Anfang Januar noch als zu unsicher galten. Zum anderen, weil die Stadt Goethes und Schillers als besonders geeignet erschien, den politischen Neuanfang nach dem Untergang des Kaiserreichs zu beglaubigen.
    "Es wird in der ganzen Welt als angenehm empfunden, wenn man den Geist von Weimar mit dem Aufbau des neuen Deutschen Reiches verbindet."
    Alle Deutschen - auch die Frauen
    In seiner Eröffnungsrede bekräftigte Ebert die politische Linie, die er von Beginn der Revolution im November 1918 unbeirrt verfolgt hatte. Eine Herrschaft der Arbeiter- und Soldatenräte, wie sie die radikale Linke propagierte, kam für ihn nicht in Frage. Alle wichtigen Entscheidungen über die gesellschaftliche und politische Zukunft sollten der Nationalversammlung vorbehalten bleiben, an deren Wahl alle Deutschen ab dem 20. Lebensjahr, also zum ersten Mal auch die Frauen, teilnehmen durften.
    "Nur auf der breiten Heerstraße der parlamentarischen Beratung und Beschlussfassung lassen sich die unaufschiebbaren Veränderungen auch auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete vorwärts bringen, ohne das Reich und sein Wirtschaftsleben zugrunde zu richten. Deshalb begrüßt die Reichsregierung in dieser Nationalversammlung den höchsten und einzigen Souverän in Deutschland."
    Zugleich warb Ebert um Verständnis für die Schwierigkeiten, mit denen die sozialdemokratischen Volksbeauftragten in den drei Monaten zuvor zu kämpfen gehabt hatten:
    "Wir waren im eigentlichsten Wortsinne die Konkursverwalter des alten Regimes: alle Scheuern, alle Läger waren leer, alle Vorräte gingen zur Neige, der Kredit war erschöpft, die Moral tief gesunken. Wir haben alles getan, um das wirtschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen. Wenn der Erfolg nicht unseren Wünschen entsprach, so müssen die Umstände, die das verhinderten, gerecht gewürdigt werden."
    Spießbürgerlich und im Verlauf schwunglos
    Kein Wunder, dass selbst wohlmeinende Beobachter dieser mit geschäftsmäßiger Nüchternheit vorgetragenen Rede wenig abgewinnen konnten.
    "Klein, nicht ganz ohne einen gewissen Charme, aber spießbürgerlich und im Verlauf schwunglos. Ebert wirkt wie ein braver Handwerksmeister. Die ganze Sitzung ohne Stimmung und Größe".
    So fasste Theodor Wolff, der Chefredakteur des "Berliner Tageblatts", seinen Eindruck zusammen. Allerdings musste Ebert auch Rücksicht nehmen auf die bürgerlichen Parteien. Die SPD hatte bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 nur 37,8 Prozent der Stimmen bekommen, also das Ziel der absoluten Mehrheit klar verfehlt. Es lag nahe, eine Koalition mit den Linksliberalen und dem katholischen Zentrum einzugehen – jenen Parteien also, mit denen die Sozialdemokraten bereits seit Juli 1917 im "Interfraktionellen Ausschuss" des Reichstags zusammengearbeitet hatten. Am 1. Februar 1919 nahmen Ebert und seine Parteifreunde Gespräche mit der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei auf; am 8. Februar erklärte sich auch das Zentrum bereit, sich an einer Regierung zu beteiligen. Damit war der Weg frei für die Bildung der "Weimarer Koalition".
    Drei Tage später wählte die Nationalversammlung Friedrich Ebert zum ersten Reichspräsidenten. Nichts hätte den Neubeginn deutlicher demonstrieren können als die Tatsache, dass nun ein ehemaliger Sattler, der nur die Volksschule besucht hatte, das höchste Staatsamt bekleidete. Für die bislang führenden gesellschaftlichen Eliten des Kaiserreichs war gerade das ein Stein des Anstoßes. Es waren nicht zuletzt die hasserfüllten Angriffe seiner Gegner, die zum frühen Tod Eberts im Februar 1925 beitragen sollten. Mit ihm wurde ein Wegbereiter der parlamentarischen Demokratie in Deutschland zu Grabe getragen.