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Vor 100 Jahren
Die Verabschiedung der Völkerbundsatzung

Es war die Antwort auf die Katastrophe des Ersten Weltkrieges: Am am 28. April 1919 wurde der Völkerbund gegründet. Der Vorläufer der Vereinten Nationen sollte Großmachtdiplomatien beenden und die Nationen gleichberechtigt in eine supranationale Gemeinschaft einbinden – um Kriege zu verhindern.

Von Bert-Oliver Manig | 28.04.2019
    Der deutsche Politiker Dr. Gustav Stresemann (Mitte am Rednerpult) spricht vor den Mitgliedern des Völkerbundes. (undatierte Aufnahme) |
    Der deutsche Politiker Gustav Stresemann (Mitte am Rednerpult) spricht vor den Mitgliedern des Völkerbundes in Genf. (undatierte Aufnahme) (picture-alliance / dpa)
    Es regnete in Strömen am 28. April 1919 in der französischen Hauptstadt – doch im historischen Rückblick war dies der hellste Tag während der Verhandlungen der Pariser Friedenskonferenz: Vertreter von 32 Ländern unterzeichneten die Völkerbundsatzung, das wohl revolutionärste Dokument in der Geschichte des Völkerrechts.
    Anstelle der souveränen Großmächte sollte künftig eine supranationale Gemeinschaft gleichberechtigter Nationalstaaten für eine friedliche Ordnung der Welt sorgen. Denn nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, der allein auf den Schlachtfeldern neun Millionen Tote und zahllose Versehrte gefordert hatte, waren Geheimdiplomatie und hegemoniales Machtstaatsdenken grundlegend diskreditiert.
    Der britische Minister Robert Cecil, ein enthusiastischer Anhänger des neuen Prinzips, hatte schon am 12. November 1918, einen Tag nach dem militärischen Sieg über Deutschland, betont:
    "Wir haben dafür gekämpft, die verderbliche und unwahre Idee einer exklusiven nationalen Moral auszulöschen, um an ihre Stelle etwas Besseres zu setzen. Der Frieden kann der Welt nicht durch eine mächtige Allianz der Sieger aufgezwungen werden, er kann nur durch ein allgemeines Abkommen, eine Vereinigung der Nationen, gesichert werden. Wenn der Bund der Völker nur ein Traum bleibt, ist es schwer, nicht zu verzweifeln."
    Cecil war einer der Autoren der Völkerbundsatzung, die als Hauptorgane einen Rat, ein Ständiges Sekretariat und eine Bundesversammlung in Genf sowie einen Gerichtshof in Den Haag vorsah.
    Ächtung von Angriffskriegen
    Dass der Völkerbund kein Traum blieb, sondern seine Satzung tatsächlich geltendes Recht wurde, war in erster Linie dem Einsatz des US-Präsidenten Woodrow Wilson zu verdanken. Das in der Satzung verankerte Verbot von Geheimverträgen, die Ächtung von Angriffskriegen und die Verpflichtung zu internationaler Abrüstung waren Wilsons Hauptanliegen.
    Um den Völkerbund zu gründen, waren Zugeständnisse an die machtpolitischen Realitäten nötig. So wich die Satzung vom Prinzip der Gleichberechtigung insoweit ab, als sie fünf Großmächten: Großbritannien, Frankreich, Japan, Italien und den USA ständige Sitze im Rat des Völkerbunds einräumte.
    Dennoch war der Völkerbund der Kern eines kollektiven Sicherheitssystems: Alle Mitgliedsstaaten verpflichteten sich, Streitfragen vor dem neu zu gründenden Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag auszutragen. Verstöße gegen die Friedenspflicht sollten scharfe Sanktionen nach sich ziehen:
    "Schreitet ein Bundesmitglied zum Kriege, so wird es ohne weiteres so angesehen, als hätte es eine Kriegshandlung gegen alle anderen Bundesmitglieder begangen. Diese verpflichten sich, unverzüglich alle Handels- und Finanzbeziehungen zu ihm abzubrechen."
    Auch ein gemeinsames militärisches Einschreiten des Bundes gegen Friedensbrecher sah Artikel 16 als Ultima Ratio vor.
    Hitler fürchtete supranationale Verpflichtungen
    Ein schwerer Rückschlag war es, dass der isolationistische US-Senat die Pariser Verträge nicht ratifizierte und die Vereinigten Staaten dem Völkerbund nicht beitraten. Dennoch gab es Entwicklungschancen, besonders nachdem 1926 das Deutsche Reich aufgenommen wurde und einen ständigen Sitz im Völkerbundrat erhielt.
    Doch im Oktober 1933 verließ Deutschland die Genfer Abrüstungskonferenz und trat aus dem Völkerbund aus. Reichskanzler Adolf Hitler fürchtete supranationale Verpflichtungen und verachtete den Geist der Verständigung in Genf. Er plädierte stattdessen für den Bilateralismus:
    "Wenn wir mit Engländern, Franzosen oder Polen Verträge tätigen sollen, wünschen wir von vornherein sie nur mit Männern abzuschließen, die selbst hundertprozentig als Engländer, Franzosen oder Polen denken und für ihre Nationen handeln. Denn nicht mit Unterhändlern wollen wir Pakte schließen, sondern mit Völkern Verträge."
    Trotz zahlreicher Rechtsbrüche Japans, Deutschlands und Italiens in den 1930er-Jahren ließen sich die demokratischen Staaten auf bilaterale Verhandlungen mit den Aggressoren ein – die Sanktionsmöglichkeiten der Völkerbundsatzung blieben ungenutzt. Dieser Rückfall in die hergebrachte Großmachtdiplomatie mündete in den Zweiten Weltkrieg. 1946 löste sich der Völkerbund auf, seinen Besitz überschrieb er den 1945 gegründeten Vereinten Nationen.