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Vor 100 Jahren
Einstein stellt seine Allgemeine Relativitätstheorie vor

Albert Einstein gilt als das Forschergenie schlechthin - er prägte die Physik gleich mit mehreren Geniestreichen. Sein wohl größtes Meisterwerk aber präsentierte er vor 100 Jahren: Am 4. November 1915 stellte Einstein in der Preußischen Akademie der Wissenschaften die Grundzüge der Allgemeinen Relativitätstheorie vor.

Von Frank Grotelüschen | 04.11.2015
    Ein Chip aus Quarzglas mit einem Albert-Einstein-Motiv darauf wird mit einer Pinzette über einen beleuchteten Mikroskoptisch gehalten.
    Ein Chip aus Quarzglas mit einem Albert-Einstein-Motiv darauf wird mit einer Pinzette über einen beleuchteten Mikroskoptisch gehalten. (picture alliance / dpa / Felix Kästle)
    Ich komme nicht zum Schreiben, weil ich mit wirklich großen Dingen beschäftigt bin. Tag und Nacht grüble ich an der Vertiefung der Dinge, die einen unerhörten Fortschritt in den Grundproblemen der Physik bedeuten.
    Februar 1914. Fieberhaft brütet Albert Einstein über den Gleichungen seines neuen Werks – der Allgemeinen Relativitätstheorie. Wie schon Einsteins erstes Meisterwerk einige Jahre zuvor, wird es eine Arbeit, die die Physik erschüttern wird:
    "Zur Elektrodynamik bewegter Körper; von Albert Einstein."
    Das Werk, veröffentlicht 1905, geht als spezielle Relativitätstheorie in die Geschichte ein. Das Licht, so Einsteins Ausgangspunkt, eilt mit konstant 300.000 Kilometern pro Sekunde durchs All. Daraus zieht der geniale Denker eine revolutionäre Erkenntnis: Raum und Zeit sind nicht absolut, sondern relativ. Unter Umständen kann der Raum gestaucht erscheinen und die Zeit gedehnt. Doch bald ist klar: Die Theorie besitzt einen Makel.
    "Die spezielle Relativitätstheorie funktioniert nur für Bewegungen mit konstanter Geschwindigkeit."
    Bewegung ist relativ
    Sagt Dennis Lehmkuhl, Wissenschaftshistoriker am California Institute of Technology in den USA.
    "Das dachte Einstein, das ist sozusagen noch keine konsequente Relativitätstheorie, sondern wirklich alle Bewegung sollte relativ sein."
    Die spezielle Relativitätstheorie gilt nur für Systeme, die sich gleichförmig bewegen. Um das Manko zu beseitigen, will Einstein die Theorie verallgemeinern. 1907 kommt ihm ein erster Geistesblitz.
    "Ich saß im Berner Patentamt in einem Sessel, als mir plötzlich der Gedanke kam: Wenn sich ein Mensch im freien Fall befindet, wird er seine eigene Schwere nicht empfinden können. Mir ging ein Licht auf. Die Begeisterung, die ich da empfand, trieb mich zur Gravitationstheorie."
    "Wie ganz häufig bei Einstein war der Ausgangspunkt ein Gedankenexperiment – das sogenannte Fahrstuhl-Gedankenexperiment."
    Steht ein Fahrstuhl auf der Erde, verspürt ein Fahrgast in ihm die Schwere seines Körpers. Doch was passiert, wenn der Fahrstuhl in der Schwerelosigkeit des Weltraums aufwärts beschleunigt wird, und zwar mit einer Kraft, die dem Körpergewicht des Insassen entspricht? In beiden Fällen, so Einstein, verspürt der Fahrgast dieselbe Wirkung, ohne ahnen zu können, ob sie durch Gravitation verursacht wird oder durch Beschleunigung.
    "Das hat ihn auf die Idee gebracht, dass solche Beschleunigungskräfte und die Schwerkraft wesensgleich sind, von der gleichen Natur sind."
    Sagt Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Äquivalenzprinzip, so nennt sich der Grundpfeiler für Einsteins neue Theorie. Doch das Wichtigste fehlt noch, das Kernstück – die mathematischen Gleichungen.
    "Er kam nach einer Weile darauf, dass er sagte: Am besten kann ich diese vereinheitlichten Kräfte beschreiben, wenn ich mir vorstelle, dass die Raumdimensionen gekrümmt sind. Auf diese Weise hat er den ersten Hinweis auf die mathematische Formulierung der Theorie gefunden. Nämlich die Theorie gekrümmter Flächen."
    1915 gelingt der Durchbruch
    Doch Einstein weiß nicht, wie man mit solchen gekrümmten Flächen rechnen muss, wie die Mathematik dafür beschaffen ist.
    "Einstein musste sich das erst mal alles beibringen. Er hat diese Theorie immer weiter ausgearbeitet, obwohl eigentlich keiner außer ihm selber so richtig dran geglaubt hat, muss man sagen."
    "Das eine ist sicher, dass ich mich im Leben noch nicht annähernd so geplagt habe. Rauchen wir ein Schlot, arbeiten wie ein Ross, essen ohne Überlegung und Auswahl, schlafen unregelmäßig."
    1915 gelingt Einstein der Durchbruch. Er hat die komplexe Mathematik durchdrungen und die Gleichungen gefunden.
    "Dann gab's vier Arbeiten, die er jeweils der Akademie eine Woche nach der anderen in Berlin vorgestellt hat. Und hat sich dann Schritt für Schritt der richtigen Lösung angenähert."
    Am 4. November 1915 stellt Einstein in Berlin vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften die Grundzüge der Theorie vor, drei Wochen später kann er sie vollenden.
    "Es ist der wertvollste Fund, den ich in meinem Leben gemacht habe."
    Die Theorie zeichnet ein neues Bild der Gravitation: Laut Einstein entsteht sie dadurch, dass schwere Massen den Raum um sich herum krümmen und andere Massen dieser Krümmung folgen. Zunächst reagiert die Fachwelt verhalten. Das ändert sich 1919, als der Astronom Arthur Eddington bei einer Sonnenfinsternis beobachtet, wie die Sonne das Licht ferner Sterne ablenkt. Einsteins Theorie gilt als bewiesen.
    "Das hat Einstein eigentlich zum Superstar gemacht."
    Heute sind viele Phänomene ohne Einstein nicht zu erklären, schwarze Löcher etwa oder der Urknall. Aber auch auf unseren Alltag wirkt sich die Theorie aus: Atomuhren würden deutlich ungenauer sein, und damit die Navis in Handys und Autos. Nicht nur deshalb gilt sie als ein Grundpfeiler der Physik – und als Einsteins größtes Meisterwerk.
    "Das war so originell, dass es überhaupt nicht klar ist, wenn Einstein das nicht getan hätte, ob es nicht womöglich 100, 200 Jahre mehr gedauert hätte, bis jemand anderes auf diese Idee gekommen wäre."