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Vor 100 Jahren geboren
Die Schauspielerin Heidemarie Hatheyer

Schon im jungen Alter spielte Heidemarie Hatheyer die großen Tragödinnen der Klassik und der Moderne an den wichtigen deutschsprachigen Bühnen. Gleichzeitig war die Österreicherin eine gefragte Filmschauspielerin - auch wenn sie die Arbeit vor der Kamera stets als "Nebenbeschäftigung" begriff.

Von Hildegard Wenner | 08.04.2018
    Die österreichische Schauspielerin während einer Probe des Stückes "Ein Glas Wasser" im Akademietheater in Wien am 16.3.1962.
    Die österreichische Schauspielerin Heidemarie Hatheyer lebte von 1918 bis 1990 (dpa / Votava)
    "Ich möchte jetzt gleich sagen, dass ich den Film nie gemocht habe. Nicht beim Dreh, auch nicht, als er fertig war und als mir klar war, dass er wahrscheinlich der Erfolg meines Lebens sein wird. Ich kann mit diesem Film nichts anfangen."
    Doch die "Geierwally" sollte Heidemarie Hatheyer ein Schauspielerleben lang begleiten. Die Geschichte jener störrischen Tiroler Sennerin, 1940 nach Wilhelmine von Hillerns Romanvorlage gedreht, war eigentlich eine schräge Klamotte, allerdings mit Zutaten versehen, die den Nazis gefielen: kämpferische Protagonisten, so unbezwingbar wie die dräuende Alpenkulisse. Der Regisseur Hans Steinhoff hatte gleich 1933 schon den "Hitlerjungen Quex" und weitere Propagandafilme abgeliefert.
    "Für mich war das so ein blöder Blut- und Bodenfilm, den man halt macht, weil man Zehntausend Mark dafür kriegt, und nachher geht man und spielt die 'Heilige Johanna' an den Münchner Kammerspielen, ist ja viel interessanter."
    Von Medea bis Mutter Courage
    Otto Falckenberg hatte die am 8. April 1918 in Kärnten geborene Heidemarie Hatheyer an die Münchner Kammerspiele verpflichtet, gerade 19 war sie und dem stets auf Nachwuchs erpichten berühmten Theaterdirektor durch kleine Rollen an Wiener Theatern aufgefallen.
    Mit eben George Bernard Shaws "Heiliger Johanna" zum Beispiel qualifizierte sie sich gleich fürs so genannte "erste Fach" und verteidigte ihre Titelrollen über Jahrzehnte: ob als Gerhart Hauptmanns "Rose Bernd" - da feierte die Kritik ihre "antikische Größe" -, ob als "Elektra", "Medea", "Maria Stuart", "Minna von Barnhelm", Lorcas "Yerma" und "Bernada Alba", Brechts "Mutter Courage" oder als Hauptmanns kindsversessene Frau John, auch wenn das Drama hier mal "Die Ratten" hieß.
    "Det Kind ist aus meinem Leibe geschnitten, det Kind is' mit meinem Blute erkauft. Nich' genug, alle Welt is' hinter mir her und will et mir abjagen, als wenn, de tick ringsum von hungrigen Wölfen umgeben bin."
    "Ihr Typ war neu und frappierend. Schön im üblichen Sinne war sie nicht, eher herb und fast derb. Aber sie dampfte schier vor Leben. Sie fackelte nie sentimental. Sie war zugreifend und von einer tragischen Heftigkeit", diagnostizierte der Theaterkritiker Friedrich Luft.
    Vierjähriges Drehverbot nach NS-Propagandafilm
    Mit einer fürstlichen Gage lockte Gustaf Gründgens Hatheyer 1942 an sein Preußisches Staatstheater nach Berlin. Hier boomte auch die Filmbranche als Medium der "Volksaufklärung" und Massenunterhaltung. Die UFA-Stars, Schmuckstücke der
    NS-Kulturpolitik, wurden hofiert - und der Champagner auf den Empfängen der Reichskulturkammer vernebelte ihnen den Verstand.
    In einem Machwerk über die nationalsozialistischen Krankenmorde, das so genannte Euthanasieprogramm, übernahm Hatheyer die Rolle einer an multipler Sklerose erkrankten Frau - und glaubte, es ginge um humane Sterbehilfe.
    "Das war der Film 'Ich klage an', mit dem ich dann nach dem Krieg zum Teil sehr große Schwierigkeiten hatte, weil mir als 21-jährigem Menschen gar nicht klar war, dass ich da für ein Propagandading missbraucht wurde. Ich habe mir dann erzählen lassen, als der Film längst lief, dass Goebbels selbst sich an den Schneidetisch gesetzt hat; und da wurde das so gedreht: 'Tötung unwerten Lebens lag in der Luft'."
    "Indirekte Mittäterschaft", lautete nach dem Krieg das Urteil der Spruchkammer, verbunden mit einem vierjährigen Drehverbot.
    Hauptberuflich Theater, nebenberuflich Film
    Doch auf der Bühne konnte Heidemarie Hatheyer an die alten Erfolge anknüpfen. "Wir sind noch einmal davongekommen", Thornton Wilders Stück der Stunde, beförderte sie am Münchner Residenztheater gleich wieder in die erste Liga der Charakterdarstellerinnen. Bald meldete sich Boleslaw Barlog aus Berlin und Gustaf Gründgens brauchte sie an seinem neuen Haus in Düsseldorf.
    "Ich war immer hauptberuflich eine Theaterschauspielerin."
    Doch die Kamera, diese große Schmeichlerin, lockte die Schauspielerin "nebenberuflich" zurück ans Set - fortan schleppten die Regisseure des Herz- und Heimatkinos sie von Traualtar zu Traualtar; an heiratswütigen hübschen Leinwandärzten und Hoferben herrschte ja in den 50er Jahren kein Mangel.
    So manchen Etappensieg im Kampf gegen das leidige Dirndl errang Hatheyer am Schauspielhaus Zürich. Mehr als ein Vierteljahrhundert - bis 1983 - stand sie als unangefochtene Diva auf der "Pfauenbühne".
    Nach der Uraufführung von William Faulkners "Requiem für eine Nonne" schrieb ein begeisterter Schweizer Feuilletonist: "Heidemarie Hatheyer hat alles auf eine Karte gesetzt. Und sie hat gewonnen. Sie gewinnt, wenn sie kalt oberflächlich und gemein und wenn sie zerknirscht und rührend ist. Wenn je von einer Starrolle gesprochen werden konnte, dann hier."
    Heidemarie Hatheyer starb am 11. Mai 1990. Erlebt hat sie gerade noch den völlig verjuxten und längst berühmteren "Geierwally"-Film von Walter "Wally" Bockmayer. Man wünscht sich, dass sie im Kino herzlich und vor allem: befreit gelacht hat.