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Vor 100 Jahren geboren
Die ungarische Schriftstellerin Magda Szabó

Magda Szabó gehörte zu den bedeutendsten Autorinnen ihres Landes und war eine wichtige unabhängige Stimme im sozialistischen Ungarn. In ihren Romanen setzte sie sich mit Werteverfall und Generationskonflikten auseinander. Heute vor 100 Jahren wurde sie im ostungarischen Debrecen geboren.

Von Doris Liebermann | 05.10.2017
    Das Bild zeigt die ungarische Schriftstellerin Magda Szabo am Vorabend ihres 90. Geburtstags in Budapest.
    Die ungarische Schriftstellerin Magda Szabo. (picture alliance / EPA / Attila Kovacs)
    "Ich träume selten. Wenn aber doch, schrecke ich schweißgebadet auf. Dann lasse ich mich wieder zurücksinken und warte ab, bis sich mein Herz beruhigt, inzwischen sinniere ich über die nicht abzuwehrende magische Macht der Nächte. [...]"
    So beginnt Magda Szabós bekanntester Roman "Hinter der Tür", der von dem gleichnamigen ungarischen Regisseur Istvan Szabó verfilmt wurde und 2012 in die Kinos kam. Roman und Film erzählen von der besonderen Beziehung zweier Frauen, einer Schriftstellerin und einer eigensinnigen Haushälterin, die allmählich eine Art Mutter-Tochter-Verhältnis entwickeln, sich aber immer wieder verletzen. Der autobiografisch geprägte Roman spielt in den Jahren nach dem Volksaufstand von 1956 in Ungarn, die Schriftstellerin darf nach Jahren des Publikationsverbots endlich ihre Manuskripte veröffentlichen – so wie Magda Szabó selbst.
    Erinnerungen bis heute nicht ins Deutsche übersetzt
    "Für Elise", diesen deutschen Titel – nach Beethovens bekanntem Klavierstück – gab Magda Szabó ihren autobiografischen Erinnerungen, die bis heute nicht ins Deutsche übersetzt sind. Die Schriftstellerin wurde am 5. Oktober 1917 in der ost-ungarischen Stadt Debrecen geboren. Sie entstammte einer calvinistischen Lehrer- und Beamtenfamilie, zu ihren Vorfahren gehörten auch Gelehrte, Wissenschaftler und Dichter.
    "... wo ich geboren bin, bläst ständig der Wind. Auf der Großebene in Ungarn war es manchmal kalt, wie in Sibirien. Erfrorene Vögel lagen auf den Straßen und im Sommer ist es afrikanische Hitze. Die Früchte springen entzwei in dieser Luft. Kälte und Wärme ohne Erbarmen, die haben mich erzogen."
    Schon vor der Schule lernte sie bei ihrem Vater Latein, in der Schule später auch Deutsch. Sie war ein stilles und kränkliches Kind. Statt mit Gleichaltrigen zu spielen, beschäftigte sie sich mit Papier und Bleistift.
    "Ich bin in einer Atmosphäre aufgewachsen, wo ganz normal war, kleine Gedichte zu schreiben ... sogar ich mit zehn Jahren schrieb meinen ersten Roman. ... Es hieß "Sibylle" … und endete mit Begräbnis und Tod, was überhaupt für meine ganze Tätigkeit sehr charakteristisch ist, mit Tod und Begräbnis sich zu beschäftigen. Komischerweise, das zehnjährige Kind wusste das."
    Jahrelang schrieb sie für die Schublade
    Die hochbegabte junge Frau studierte klassische Philologie, promovierte mit 22 Jahren und arbeitete als Lehrerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie vier Jahre lang im Ministerium für Religion und Erziehung tätig. Im Zuge der Eliminierung der demokratischen Opposition im stalinistischen Ungarn verlor sie ihre Stelle. Bis 1959 arbeitete sie wieder als Lehrerin in Budapest.
    Ende der 40er-Jahre debütierte Magda Szabó mit Gedichten und wurde mit einem Literaturpreis ausgezeichnet, der ihr wegen ihrer sogenannten "bürgerlichen Herkunft" wieder aberkannt wurde. Jahrelang schrieb sie für die Schublade, bis 1958 ihr erster Roman "Das Fresko" erscheinen durfte und gleich ein großer Erfolg wurde. Szabó zeichnete glaubhafte Charaktere und schilderte subtil zwischenmenschliche Konflikte, die um Schuld, Schicksal und Unerlösbarkeit kreisten - mit einer zutiefst menschlichen Stimme, die frei von realsozialistischen Plattitüden war. "Das Fresko" geht dem wahren Leben einer Pfarrersfamilie nach, das hinter Konventionen und Lebenslügen verborgen liegt.
    "Ich glaube, ich schreibe immer etwas, um etwas zu verteidigen. ...Und aus meinen Romanen, müssen Sie wissen, dass ich in einer Kleinstadt geboren bin. ... Die Kleinstadt kennt kein Erbarmen. Hinter ihrer scheinbaren Liebenswürdigkeit lauern Leidenschaften ohnegleichen."
    Sie starb mit einem Buch auf dem Schoß
    Die überaus produktive Autorin verfasste Romane, Jugendbücher, Reiseberichte und Theaterstücke. In der Erzählung "Eine altmodische Geschichte" begibt sie sich auf die Suche nach den Lebensspuren ihrer Familie und ihrer Mutter.
    "Ich wollte meiner Nation etwas erzählen oder sagen und wollte mich selbst ausdrücken und sehr interessanterweise, das wurde international."
    Magda Szabó wurde vielfach geehrt und ausgezeichnet. Sie starb am 19. November 2007 in der Nähe von Budapest - wie es heißt, beim Lesen, mit einem Buch auf dem Schoß.