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Vor 100 Jahren geboren
Kurt Hübner – Theaterleiter und Talentsucher

Ob Peter Zadek, Peter Stein oder Rainer Werner Fassbinder - viele der späteren Großen und Größten der deutschsprachigen Bühnen wurden als junge Talente von Kurt Hübner entdeckt und engagiert. Der Theatermacher, der als Intendant in Ulm, Bremen und dann in Berlin arbeitete, wurde heute vor 100 Jahren in Hamburg geboren.

Von Hildegard Wenner | 30.10.2016
    Der Theaterregisseur Kurt Hübner.
    Der Theaterregisseur Kurt Hübner. (imago/teutopress)
    "Ich bin stolz darauf, dass ich so viele Menschen entdeckt habe, die für das lebendige Theater eine große Rolle gespielt haben und immer noch spielen."
    Der Königsmacher läuft stets Gefahr, hinter seinen Königen, zu verschwinden. Es sei denn, es sind zu viele, als dass sich einer in den Vordergrund schieben könnte.
    Der Intendant Kurt Hübner hatte an jedem Finger zehn Könige: Regisseure, Bühnenbildner, Schauspielerinnen.
    "Diese Neugier auf Menschen, diese Neugier auf neue Wahrheiten und neue ästhetische Formen, neue Ausdrucksmittel hat mich zu diesen Leuten geführt."
    Da war zum Beispiel ein gewisser Peter Zadek, eben aus dem englischen Exil zurück und vom erhabenen deutschen Stadttheater kein bisschen beeindruckt. Den ließ Kurt Hübner, seit 1959 Intendant in Ulm, Brendan Behans "Geisel" als große Sause in Szene setzen, im Bühnenbild von Wilfried Minks, noch so ein unbeschriebenes Blatt. Die Stadt wurde zur - wenn auch despektierlichen - Donaumetropole, zumindest in den Feuilletons.
    "Wir haben damals noch ungeheure Tabuverletzungen gemacht, und deshalb haben wir auch so viel Beunruhigung im Publikum geschafft. Wir haben die Leute an ihren wunden Punkten gefasst."
    Arbeiten am Bühnen-Dreamteam
    Bremen wollte auch Theatergeschichte schreiben und lockte Hübner samt Entourage an den Goetheplatz. Ab 1962 strickte der neue Generalintendant dort weiter am Bühnen-Dreamteam: fand und förderte Regisseure wie Peter Stein, Rainer Werner Fassbinder, Hans Neuenfels, Klaus Michael Grüber – die Bühnenbildner Karl Ernst Hermann, Erich Wonder, Jürgen Rose, Minks, der in Bremen auch als Regisseur debütierte – und Schauspieler:
    "Fangen wir bei den Frauen an: Die Lampe und die Clever, und nehmen wir Namen wie Bruno Ganz oder Vadim Glowna oder Schedewy."
    Bevor es aber nur noch um "die anderen" geht: Hübner führte auch selbst Regie. Seinen "Hamlet", Bruno Ganz, ließ er auf der Bühne "sein", dahinter aber eher "nicht sein":
    "Lieber Ganz,
    Ihr Hamlet hat mit Shakespeares Hamlet nicht das Geringste zu tun. Auf der Bühne zeigte sich ein leerer, strohdreschender, engagementloser, humorloser, sentimentaler Holzkopf."
    Schrieb er dem Anfang zwanzigjährigen Schauspieler nach der Vorstellung. Die Inszenierung wurde dennoch zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
    Geboren am 30. Oktober 1916 in Hamburg, landete Kurt Hübner – nach dem Abitur und kurzer Schauspielerausbildung – als Kriegsberichterstatter an den diversen Fronten des Zweiten Weltkriegs. Nach 1945 pendelte er zunächst zwischen Radio und Theater: Er war zum Beispiel Hörspielchef im NDR, Dramaturg und Regisseur an diversen westdeutschen Bühnen. Als Intendant war der Patriarch Hübner mit den viel zitierten stahlblauen Augen und dem knarzigen Ton überhaupt kein Freund noch so zaghafter Mitbestimmungsmodelle der 60er-Jahre. Aber er wusste auch, dass diese "Verrückten" ihn mit ihrer Kunst überholen würden. Dass er sie entdeckt hatte, war ihm Vergnügen genug.
    Nach elf Spielzeiten von Bremen nach Berlin
    "Es ist immer das Wesentliche bei mir gewesen, auch in Bremen, dass ich die verschiedensten Individualitäten an dem Theater versammelte und dadurch entstanden diese neuen Impulse, die haben sich ja alle gegenseitig befruchtet."
    Der "Bremer Stil" war im Kern eine Operation am offenen klassischen Stoff. Statt Bühnenweihspiel mit bedeutungsschwerer Deko und Insignien, die der "Bildungsbürger" mühelos zu entziffern gewohnt war, erlebte das Publikum, das zusehens jünger wurde, Schillers "Räuber" Maschinenpistolen-bewehrt oder einen "Torquato Tasso" mit ganz heutigem Herrschaftsdiskurs.
    Modernes Regietheater? Hübner selbst nannte es "Bremer Stillosigkeit".
    "Es gab kein Programm. Was Programm war, ergab sich aus den Menschen und unserem Widerstand gegen das Herkömmliche."
    In der Freien und Hansestadt Bremen heißen die politischen Entscheidungsträger Senatoren, das klingt weiser, als es manchmal ist und führte in diesem Fall zum Ende der ästhetischen Revolution. Trotz Demos und 7.000 Unterschriften für den Intendanten wechselte Hübner 1973 nach elf Spielzeiten an die Freie Volksbühne Berlin – ohne festes Ensemble. "Seine Leute", Zadek, Grüber oder Fassbinder, kamen nun als Gastregisseure ins Haus; Peter Stein residierte als Nachbar an der Berliner Schaubühne.
    Nachdem Hübner den Chefsessel 1986 Hans Neuenfels überlassen hatte, verzweifelte er zunehmend am "Betrieb". "Firlefanz und Trallala" wurden ihm Lieblingsbegriffe für das Theater, vom Regieführen und Spielen wollte er aber nicht ganz lassen. Und auch nicht vom Königsmachen. Den Nachwuchs für den erlauchten Eysoldt-Ring suchte und prämierte er bis zu seinem Tod am 21. August 2007. Inzwischen trägt dieser Förderpreis seinen Namen.
    Und in Bremen gibt es nicht nur einen Hübner-Preis: auch einen Kurt-Hübner-Platz.