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Vor 125 Jahren begonnen
Fridtjof Nansens Nordpolexpedition

Am 24. Juni 1893 brach der norwegische Zoologe Fridtjof Nansen zu seiner Nordpolarexpedition auf. Zwar erreichte er den geografischen Nordpol nicht, konnte dafür aber einen neuen Rekord aufstellen: Kein Mensch war zuvor weiter nach Norden vorgedrungen.

Von Dagmar Röhrlich | 24.06.2018
    Der norwegische Polarforscher, Zoologe, Ozeanograf, Diplomat und Friedensnobelpreisträger Fridtjof Nansen um 1900 aufgenommen
    Fridtjof Nansen, aufgenommen um 1900 (imago/UIG)
    Der Nordpol war Ende des 19. Jahrhunderts terra incognita, unerforschtes Land. Ein Ort, der den brillanten und abenteuerlustigen Wissenschaftler Fridtjof Nansen magisch anzog - und der doch unerreichbar schien.
    "Überall verhinderte das Eis das Vordringen der Menschheit nach Norden. (...) Wo könnte nur die richtige Route liegen?"
    Der Zufall half dem 1861 in der Nähe des heutigen Oslo geborenen Norweger. Er hatte gerade sein Zoologie-Studium begonnen, als die Zeitungen 1884 von Wrackteilen berichteten, die Inuit an der Südwestküste Grönlands gefunden hatten. Sie stammten von der "Jeannette", einem Forschungsschiff, das vor Sibirien vom Packeis eingeschlossen und zerquetscht worden war. Die Artefakte, so war zu lesen, könnten nur mit dem Eis durch das Polarmeer getrieben sein. Es musste also eine Meeresströmung existieren, die das Eis driften ließ.
    "Mir war sofort klar, dass das ein möglicher Weg wäre. Wenn eine Eisscholle durch dieses unbekannte Gebiet treiben konnte, lässt sich das in den Dienst der Forschung stellen. Mein Plan war gefasst."
    Nach gut drei Monaten schloss das Packeis das Schiff ein
    Fridtjof Nansen träumte von einem Expeditionsschiff, mit dem er sich vor Sibirien im Packeis einfrieren und quasi huckepack mit der Eisdrift zum Nordpol treiben lassen konnte. Doch sein Traum musste warten. Erst als er durch seine Grönland-Querung berühmt geworden war, fand er Sponsoren: Er ließ die "Fram" bauen und stach am 24. Juni 1893 in See - mit 13 Mann Besatzung und Proviant für fünf Jahre:
    "Hinter mir lag alles, was ich im Leben lieb hatte. Was lag vor mir? Wie viele Jahre mochten vergehen, ehe ich alles das wiedersah? Oben im Fenster saß Liv, mein Töchterchen, und klatschte in die Händchen. Glückliches Kind, du ahnst noch nicht, wie wunderbar verwickelt und wechselvoll das Leben ist!"
    Erst ging es die norwegische Küste entlang, dann Richtung Sibirien. Am 9. Oktober 1893 schloss Packeis die "Fram" ein.
    "Nachmittags - wir saßen gerade müßig und plauderten - entstand ganz plötzlich ein ohrenbetäubendes Getöse und das ganze Schiff erzitterte. (...) Es war die erste Eispressung. Alle Mann stürzten an Deck, um zuzusehen. Die 'Fram' verhielt sich wundervoll, wie ich es von ihr erwartet hatte."
    Das Eis scheint gegen die "Fram" zu kämpfen, doch sie hält stand. Dafür verläuft die Driftfahrt anders als gehofft. Die Sonne verschwindet für die Monate der Polarnacht, kehrt zurück - und es geht immer mehr nach Westen als nach Norden. Der zweite Winter nähert sich, der Pol bleibt weit entfernt. Nansen entscheidet, es im Frühjahr zu Fuß zu versuchen.
    "Wenn ich jetzt über das Eis hinausblicke, ist es mir, als ob meine Muskeln zittern vor sehnsüchtigem Verlangen, endlich einmal im Ernst über das Eis zu laufen - Ermüdung und Entbehrungen würden dann ein Vergnügen sein."
    Nach drei Jahren zurück in Norwegen
    Nansen bricht am 14. März 1895 mit Hjalmar Johansen auf. Sie nehmen drei Schlitten mit, zwei Kajaks und 28 Hunde. Ein quälender Kampf beginnt. Das Eis ist gegen sie, driftet nach Süden, wird immer schwieriger zu durchqueren. Am 8. April sind sie nur noch 368 Kilometer vom Pol entfernt - so weit nördlich war niemand zuvor. Allerdings:
    Ich habe längst eingesehen, dass es unmöglich ist, den Pol oder seine unmittelbare Nachbarschaft auf einem Eis wie diesem und mit diesen Hunden zu erreichen. Wir müssen umkehren. Früher oder später."
    Sie kehren um. Doch wohin? Die Eisdrift hat die "Fram" längst fortgetragen. Die beiden Männer schlagen sich zum Franz-Joseph-Land durch, überwintern dort. Im Mai 1896 ziehen sie nach Süden - und treffen auf den britischen Polarforscher Frederick George Jackson. Sein Dampfer bringt sie am 13. August nach Vardø in Norwegen. Eine Woche später kehrt auch die "Fram" zurück. Das Eis hat sie in weitem Bogen um Franz-Joseph-Land und Spitzbergen getragen.
    Das wissenschaftliche Erbe der Expedition wirkt bis heute nach. So war es Fridtjof Nansen, der einen ersten Einblick in die Strömungsverhältnisse im Nordpolarmeer gewann. Und nach seiner Expedition war auch klar, dass es am Nordpol kein Land gibt, sondern nur eisig kalte Tiefsee.