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Vor 125 Jahren geboren
Die französische Journalistin und Politikerin Louise Weiss

Journalistin, Schriftstellerin, Filmemacherin, Humanistin, Pazifistin, Vorkämpferin für ein geeintes Europa und für die politischen Rechte der Frau: Louise Weiss, die erste Alterspräsidentin des Europäischen Parlaments, hat in ihrem Leben viel erlebt. Heute vor 125 Jahren wurde sie geboren.

Von Peter Hölzle | 25.01.2018
    Eingang zum Louise-Weiss-Gebäude in Straßburg, Sitz des Europäischen Parlaments
    Eingang zum Louise-Weiss-Gebäude in Straßburg, Sitz des Europäischen Parlaments (Deutschlandradio / Andreas Diel)
    "Mesdames et messieurs … Meine Damen und Herren, … die Gunst des Schicksals und die Wege der Schriftstellerei haben mich zu dieser Tribüne geführt, … auf der ich eine Beglückung verspüre, wie sie so tief nur ein Mensch verspüren kann, der miterlebt, dass sich all das, wozu er in seiner Jugend berufen war, … an seinem Lebensabend vollendet."
    So eröffnet, emphatisch und gerührt, am 17. Juli 1979 die Alterspräsidentin Louise Weiss die erste Sitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg. Die am 25. Januar 1893 im nordfranzösischen Arras Geborene ist 86 Jahre alt und kann auf ein bewegtes Leben - auch im Dienste Europas - zurückblicken.
    "Als Journalistin, Schriftstellerin, Filmemacherin … darf ich wohl sagen …, Europäer – lasst uns gemeinsam unser kostbarstes Gut bewahren, unsere Kultur, in der wir brüderlich … verbunden sind. … Die europäischen Institutionen haben europäische Zuckerrüben, Butter, Käse, Wein, Kälber, ja sogar europäische Schweine zustande gebracht, aber keinen europäischen Menschen. Solche europäischen Menschen gab es im Mittelalter, in der Renaissance, im Zeitalter der Aufklärung und sogar im 19. Jahrhundert, und sie gilt es wieder zu schaffen."
    Mahnung an das Europäische Parlament
    Gut 40 Jahre nach dieser Straßburger Rede beherrschen die "europäischen Menschen" noch immer nicht das Bild des alten Kontinents. Eher das Gegenteil ist der Fall. Der Austritt Großbritanniens einerseits und der Zuwachs nationalistischer Parteien in verschiedenen Mitgliedsstaaten andererseits schwächen die Bindekräfte der europäischen Solidarität und schüren die Fremdenfeindlichkeit. Nicht von ungefähr mahnte die Alterspräsidentin schon 1979 das Europäische Parlament:
    "Anderswo vegetieren die Menschen noch dahin oder schlimmer noch: müssen Hunger leiden. Trotz aller Gefahren jedoch …, die dieses Europa bedrohen, muss Europa die notleidende Welt weiter unterstützen. Dies bleibt unsere Bürde und Last."
    Für ihre humanitäre wie ihre europapolitische Mission tritt Louise Weiss früh ein. Die studierte Geisteswissenschaftlerin mit Diplom der Universität Oxford arbeitet von 1914 bis 1918 als Kriegskrankenschwester und gründet im Département Côtes-du-Nord ein Hospital. Schon während des Ersten Weltkriegs betätigt sie sich journalistisch, gibt von 1918 bis 1934 die Wochenzeitung "Europe nouvelle" - 'Neues Europa' - heraus, mit der sie für die Vereinigung des Kontinents und die deutsch-französische Annäherung wirbt, und streitet hartnäckig, aber erfolglos für das Frauenstimmrecht.
    Mitten in Paris an eine Laterne gekettet
    Dabei schreckt sie vor spektakulären Aktionen nicht zurück: Mit anderen Frauen kettet sie sich mitten in Paris an einer Laterne an, klagt gegen die "Wahlunfähigkeit der Frauen" und kandidiert 1936 zum Trotz für die Nationalversammlung. Beeindruckt von so viel Beharrungsvermögen, macht ihr der sozialistische Ministerpräsident Léon Blum ein Angebot.
    "Er ließ mich also kommen, sondierte das Terrain, um zu hören, ob ich einer seiner weiblichen Minister werden wolle. … Ich antwortete: Unter der Bedingung, dass ich als Ministerin nicht auf meine Kampagne für das Frauenstimmrecht zu verzichten hätte. Er sagte mir: 'Kommt überhaupt nicht in Frage.' … Ich habe abgelehnt. "
    Rückgrat zeigte die streitbare Journalistin nicht nur hier. Rückgrat zeigte sie auch in zahllosen anderen Situationen ihres an Wechselfällen reichen Lebens; nicht zuletzt im Widerstand gegen Nazi-Deutschland. Noch in der selbstgewählten Grabinschrift der am
    26. Mai 1983 hochbetagt in Paris Verstorbenen zeigt sich ihre Standfestigkeit. Übersetzt lautet sie:
    "Hier ruht Louise Weiss, die Europäerin, Französin des 20. Jahrhunderts, Aristo-Prolo – Aristokratin im Denken, Proletarierin in der Arbeit, gottlos, aber respektvoll."