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Vor 125 Jahren
Tschaikowskys "Symphonie Pathétique"

Peter Tschaikowsky war einer der bedeutendsten russischen Komponisten des späten 19. Jahrhunderts. Er starb vor 125 Jahren. Kurz vor seinem Tod, am 28. Oktober 1893, dirigierte er die Uraufführung seiner "Symphonie Pathétique"; ein innovatives Werk, mit dem er der sinfonischen Musik neue Impulse gab.

Von Helga Heyder-Späth | 28.10.2018
    Büste am Grab Peter Tschaikowskys auf dem Tichwiner Friedhof im Alexander-Newski-Kloster in St. Petersburg
    Büste am Grab Peter Tschaikowskys auf dem Tichwiner Friedhof im Alexander-Newski-Kloster in St. Petersburg (imago / INSADCO)
    "War die Stunde nicht gekommen, um das größte und letzte Werk zu beginnen, das zusammenfassende und abschließende, die Klage und Beichte, das große Geständnis, die Sechste Symphonie?
    Diese Frage legt Klaus Mann in seinem Roman "Symphonie Pathétique" Peter Tschaikowsky in den Mund. Der Literat schaut in den 1930er Jahren verklärend auf den großen russischen Komponisten des 19. Jahrhunderts, vor allem auf dessen Schwanengesang: die Symphonie Nummer 6 in h-Moll opus 74.
    Wie in früheren Werken verfolgt Tschaikowsky in seiner h-Moll-Sinfonie eine Programm-Idee. Sie kommt ihm auf einer Konzertreise, die ihn unter anderem nach Kiew, Warschau und Hamburg führt. Im Februar 1893 schreibt er seinem geliebten Neffen Vladimir Davidow:
    "Während meiner Reise tauchte in mir der Gedanke an eine Sinfonie auf, aber mit einem Programm, dass es für alle ein Rätsel bleiben wird… Dieses Programm ist mehr denn je von Subjektivität durchdrungen, und nicht selten habe ich, während ich in Gedanken daran arbeitete, sehr geweint."
    Eine deutliche Sprache ohne Worte
    In Worte hat Tschaikowsky dieses Programm nicht gefasst, aber seine Musik spricht eine deutliche Sprache:
    "Hier ist einer damit beschäftigt, den Sinn seines Lebens in Töne zu formen. "
    So versteht es Klaus Mann. – Tschaikowsky verrät zumindest, er habe "seine ganze Seele" in die Sinfonie gelegt.
    Nicht zuletzt, weil es ihm die Zeitumstände unmöglich machten, offen zu seiner Homosexualität zu stehen, ist sein Leben von emotionalen Spannungen geprägt. Sie spiegeln sich vielleicht schon in den extremen Tempo- und Dynamikwechseln des Eröffnungssatzes. Als zweiten Satz lässt Tschaikowsky einen wehmütigen Walzer folgen.
    Der dritte Satz wirkt dann schon wie ein stürmisches Finale. Aber Tschaikowsky schließt noch ein "Adagio lamentoso" an, so Dorothea Redepenning von der Universität Heidelberg:
    "Der letzte Satz ist musikgeschichtlich wirklich ein Novum: ein klagendes Adagio. Es liegt so eine absteigende Melodie zugrunde, dann gibt es Reminiszenzen an frühere eigene Werke, Reminiszenzen innerhalb dieser Sinfonie selbst. In Tschaikowskys Schaffen ist es eine neue Etappe, hätte er länger gelebt, hätten wir von ihm noch ganz andere Dinge erwarten können."
    Zitat aus der Totenliturgie
    Sowohl im ersten als auch im letzten Satz zitiert Tschaikowsky eine Melodie aus der russisch- orthodoxen Totenliturgie. Dass er sich in seiner Sinfonie, die er "Pathétique", also "die Pathetische" nennt, tatsächlich mit dem Tod auseinandersetzt, belegt ein Brief vom September 1893 an seinen Freund und Gönner, den Großfürsten Konstantin Konstantinowitsch. Darin lehnt er dessen Bitte ab, ein Requiem des Literaten Alexej Apuchtin zu vertonen:
    "Mich verwirrt der Umstand, dass meine letzte Sinfonie von einer Stimmung durchdrungen ist, die der, von der das 'Requiem' erfüllt ist, nahe verwandt ist."
    Nur wenige Tage, nachdem Tschaikowsky am 28. Oktober 1893 in Sankt Petersburg die Uraufführung dirigiert hatte, stirbt er mit nur 53 Jahren an der Cholera. Schon bald kursieren Gerüchte, er habe infiziertes Wasser getrunken, in der Absicht, sich das Leben zu nehmen.
    "Das ist inzwischen gründlich recherchiert. Die Sinfonie ist nicht ein klingendes Zeugnis davon, dass der Autor suizidal ist. Es ist eine programmatische Idee, die quasi einen Seelenzustand beschreibt. Er hat nach vorne geschaut. Er war voller Initiative."
    Das Publikum der Petersburger Uraufführung reagiert eher verhalten. Bei einer zweiten Aufführung in Moskau wird das Werk begeistert aufgenommen. Tschaikowsky hat diesen Erfolg nicht mehr erlebt. Aber er wusste, dass ihm mit seiner "Symphonie Pathétique" ein großer Wurf gelungen war:
    "Auf die Sinfonie bin ich sehr stolz, und ich glaube, dass sie das beste meiner Werke ist."