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Vor 125 Jahren

Wahrscheinlich dachten alle, dass ich der dümmste Typ war, der jemals von einer Farm kam.

Von Michael Kleff | 22.02.2004
    Frank Winfield Woolworth hatte als Jugendlicher offensichtlich nicht die beste Meinung von sich selbst. Dabei sollte der 1852 geborene Sohn einer armen Kartoffelbauern-Familie schon wenige Jahre später ein Vermögen verdienen mit einer grandiosen Geschäftsidee: dem "Great Five-Cent Store". Am 22. Februar 1879, eröffnete Woolworth seinen ersten Laden, in dem alle Waren fünf Cent kosteten. In Uttica, einem Ort weit im Norden von New York, legte der junge Geschäftsmann den Grundstein für eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Mochten finanziell besser gestellte Familien es sich leisten können, in Luxusläden wie Tiffany´s einzukaufen, so befriedigte Woolworth die Bedürfnisse der Massen.

    Zwei Strohhalme - ein Traum - alles für einen Dime auf der Hauptstraße. Nach diesem griffigen Motto war über ein Jahrhundert lang Woolworth landauf, landab in den Städten der USA der Gemischtwarenladen für alle. Wo man fast alles bekam. Von Anfang an verfolgte Frank Woolworth dieses Konzept: eine breites Angebot an Waren vorzuhalten zu Preisen, die sich selbst die ärmste Familie auch in der Zeit der großen Wirtschaftskrise 50 Jahre später leisten konnte. Bei Woolworth fühlte sich jeder reich - was wohl eins der Geheimnisse der Ladenkette war.

    Woolworth gehörte einfach zum Straßenbild von New York. Es war irgendwie ein sehr einladender Ort. Man wusste nie, was man in den Gängen mit den vielen Angeboten finden würde. Aber wie wenig Geld man auch hatte, du hast immer etwas gefunden. Das hat viel Spaß gemacht.

    So erinnert sich die New Yorkerin Barbara Snyder an ihre regelmäßigen Besuche in einem Woolworth-Laden in Manhattan in den fünfziger Jahren. In New York steht auch das berühmte Woolworth Buildung. Das 1913 errichtete Gebäude, in dem das Hauptquartier des acht Jahre zuvor in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Woolworth-Unternehmen untergebracht war, gilt mit seinen 57 Stockwerken als einer der ersten echten Wolkenkratzer.
    Schon davor, kurz nach der Jahrhundertwende, hatte Geschäftsgründer Woolworth Weitsicht bewiesen und im Zuge seiner geschäftlichen Erfolge im eigenen Land die Idee vom "Laden für Jedermann" nach Übersee gebracht. 1909 öffnete das erste Woolworth-Geschäft in England. In Bremen nahm 1927 der erste deutsche "25 und 50 Pfennig-Laden" den Betrieb auf. Und von 1929 an konnten bis zu Castros Machtübernahme auch Kubaner amerikanische Waren zu Woolworth-Preisen einkaufen. Überall war Woolworth ein angesehenes Geschäft.

    Die Produkte waren von guter Qualität. Es waren keine Überproduktionen oder Ladenhüter wie in Ramschläden. Alles war zudem sehr übersichtlich angeordnet. Man wusste, wo man was fand. Man hatte den Eindruck, dass dieser Platz schon immer da gewesen sei und immer da sein würde. Es war keine Eintagsfliege. Heute aufgemacht, morgen geschlossen. Man hatte einfach das Gefühl, sich darauf verlassen zu können.

    Doch spätestens seit Mitte der siebziger Jahres des vergangenen Jahrhunderts ging es mit Woolworth bergab. Dazu trugen sowohl der harte Konkurrenzkampf auf dem Warenhaussektor wie unternehmerische Fehlentscheidungen bei. Am 17. Juli 1997 verkündete die Konzernleitung das Ende der Firma F.W. Woolworth. Die verbliebenen rund 400 Läden in den USA wurden geschlossen, die Geschäfte in Europa von neuen Gesellschaften übernommen. In Amerika strömten die Menschen von Küste zu Küste ein letztes Mal in die Warenhausfilialen. Nicht nur die Zeitschrift Village Voice in New York beklagte am Tag darauf, dass ein weiteres Stück amerikanischer Volkskultur von der Landkarte verschwunden sei.

    Eine Stimme, die klang, als ob es darum ging, Trauergästen beizustehen, warb über den Hauslautsprecher um die Kunden für die letzten Sonderangebote - Wir sagen Dankeschön für 118 wunderschöne gemeinsame Jahre - Und als ob das nicht gereicht hätte, einem die Tränen in die Augen zu treiben, fiel der Blick dann auf die Imbisstheke, deren graue Plastikoberfläche und die Drehstühle einen blitzartig in die Kindheit zurückversetzten. Ein letztes Mal, denn auch die "five-and-dime" Imbisse stehen jetzt auf der Liste der ausgestorbenen Arten.

    Literatur

    Nina Brown Baker, Nickels and Dimes, The Story of F.W. Woolworth, Harcourt, Brace and Company, New York 1954
    John P. Nichols, Skyline Queen and the Merchant Prince, The Woolworth Story, Trident Press, New York 1973
    Monica Randall, Winfield, Living in the Shadow of the Woolworths, Thomas Dunne Books, New York 2003
    Karen Plunkett-Powell, Remembering Wollworth´s, St. Martin´s Press, New York 1999