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Vor 150 Jahren
Die Bildhauerin Käthe Kollwitz geboren

Käthe Kollwitz wollte mit ihren Darstellungen des hungernden Proletariats die sozialen Bedingungen veranschaulichen, unter denen die Arbeiterschaft um 1900 lebte. Das Spätwerk der sozial engagierten Künstlerin und Pazifistin gilt als Meilenstein der Geschichte der Skulptur. Am 8. Juli 1867 wurde sie in Königsberg geboren.

Von Carmela Thiele | 08.07.2017
    Käthe Kollwitz (1867-1945) arbeitete als Grafikerin, Malerin und Bildhauerin.
    Ein Selbstbildnis der Künstlerin Käthe Kollwitz (© Käthe-Kollwitz-Museum Berlin)
    In globalen Zeiten, in denen sich Kriege und Armut vor unseren Augen ereignen, wirken ihre Humanität einklagenden Bilder überraschend aktuell. Käthe Kollwitz' künstlerisches Werk spiegelt menschliches Leid, Tod und Trauer. Die am 8. Juli 1867 in Königsberg geborene Tochter eines Juristen schlich sich schon als Jugendliche in dunkle Kneipen und zeichnete die kantigen Figuren von Arbeitern und Bauern. Ihre Enkelin Jutta Bohnke-Kollwitz erinnert sich.
    "Sie fand sie einfach ungekünstelt, ungeziert, nicht einstudiert, ganz lebendig, natürlich und schön, während die Bourgeoisie in ihren Bewegungen sie überhaupt nicht reizte."
    "Eine Medaille für eine Frau, das ginge dann doch zu weit"
    Käthe entwickelte einen sozialkritischen Blick auf die Gesellschaft und setzte sich damit als Künstlerin durch - obwohl Frauen damals keine eigene Schöpferkraft zugestanden wurde. So verweigerte ihr Kaiser Wilhelm II. die ihr 1898 im Rahmen der Großen Berliner Kunstausstellung zugesprochene goldene Medaille.
    "Ich bitte Sie, meine Herren, eine Medaille für eine Frau, das ginge dann doch zu weit. … Orden und Ehrenzeichen gehören an die Brust verdienter Männer."
    Dennoch wurde die damals 30-Jährige mit einem Schlag bekannt. Inspiriert von dem Drama Gerhart Hauptmanns hatte sie ihre Grafik-Folge "Ein Weberaufstand" geschaffen. Als junge Frau war sie dem Schriftsteller persönlich begegnet und seither der Literatur zugetan. In den Blättern zum Weberaufstand vermittelte sie die Not frühzeitig gealterter Frauen, die ohnmächtig dem Dahinsiechen ihrer unterernährten Kinder zusehen müssen.
    Nähe zur Sozialdemokratie
    Rund zehn Jahre später griff sie ein ähnliches Thema auf, den Deutschen Bauernkrieg. Wieder erzählte sie ihre Geschichten über Mutterfiguren. In einem Brief beschrieb sie ihr Blatt "vergewaltigt".
    "Eine Frau ist in einem verwüsteten Krautgarten liegengelassen worden. Sie wurde von umherstreifenden Söldnern vergewaltigt. Das Bauernhaus ist zerstört, hinter dem Zaun steht ihr Kind, das davongelaufen war und nun herübersieht."
    Eine Künstlerin, die eine solch krasse Szene in eine Kupferplatte radierte, ist nur als Pazifistin zu denken. Ihre Themen verraten ihre Nähe zur Sozialdemokratie. Mit ihrem Ehemann Karl Kollwitz, Armenarzt und SPD-Mitglied, gehörte sie zum engagierten Berliner Bürgertum.
    Autodidaktin
    Die in Berlin und München an Frauenakademien als Zeichnerin und Malerin ausgebildete Kollwitz brachte sich in der heimischen Wohnung die druckgrafischen Techniken selbst bei, ihre Modelle waren nun ihre Kinder und die von zahlreichen Schwangerschaften ermatteten Patientinnen ihres Mannes. Alles schien auf einem guten Weg zu sein bis zum Sommer 1914, als ihrer minderjähriger Sohn Peter darum bat, in den Krieg ziehen zu dürfen.
    "Immer wendet er sich stumm mit flehenden Blicken zu mir, daß ich für ihn spreche. (…) Ich stehe auf, Peter folgt mir, wir stehen an der Türe und umarmen und küssen uns und ich bitte den Karl für Peter."
    Elf Wochen später traf eine feindliche Kugel ihren Jungen beim Ausheben eines Unterstands in Belgien. Nun war sie die Mutter, die sich vor Gram beugte, ihre Kunst vernachlässigte. Dann begann sie autodidaktisch mit Gips und Ton zu arbeiten. Es sollte ein Denkmal für die im Ersten Weltkrieg geopferte Jugend entstehen. 18 Jahre brauchte sie für die endgültige Fassung, die 1932 auf dem Soldatenfriedhof in Belgien aufgestellt wurde. Es zeigt zwei überlebensgroß kniende Einzelfiguren, trauernde Eltern mit den Gesichtszügen von Karl und Käthe Kollwitz.
    Zurückgezogenes Leben im Alter
    "Sie war ein sehr gütiger Mensch, hatte ganz warme braune Augen, die einen nicht wieder losließen. Man hatte das Gefühl, man spricht in diese Augen hinein."
    Während der NS-Zeit hatte sie Ausstellungsverbot und lebte zurückgezogen im Kreise ihrer Familie, ein Sohn war ihr geblieben. Ihre Enkelin Jutta hatte sie noch bis kurz vor ihrem Tod im April 1945 gepflegt. Ungeduldig soll die gebrechliche Künstlerin auf ihr Ende gewartet haben. Konnte sie die Gegenwart nun nicht mehr ertragen? Käthe Kollwitz starb im Alter von 78 Jahren auf dem Rüdenhof bei Moritzburg, wo ein Bewunderer ihrer sozialkritischen Kunst, Prinz Ernst Heinrich von Sachsen, ihr Zuflucht gewährt hatte.