Freitag, 19. April 2024

Archiv

Vor 150 Jahren in den USA
Eröffnung der ersten transkontinentalen Eisenbahnlinie

Am 10. Mai 1869 wurde die erste transkontinentale Eisenbahnlinie der USA vollendet: 2.600 Kilometer Schienen verbanden die Wirtschaftszentren der Ost- mit den Goldgräberstädten der Westküste und brachte den Bahngesellschaften vor allem Land und Geld. Doch der Bau kostete viele Menschenleben.

Von Regina Kusch | 10.05.2019
    Fotografie von William Henry Jackson: Ein Erste-Klasse-Zug auf der Burlington Route, deren Streckennetz bis in den Mittleren Westen reichte.
    Fotografie von William Henry Jackson: Ein Erste-Klasse-Zug auf der Burlington Route, deren Streckennetz bis in den Mittleren Westen reichte. (imago / United Archives International)
    Der 10. Mai 1869 war ein sonniger Montag am Promontory Summit. Viele Schaulustige waren auf das Hochplateau am großen Salzsee in Utah gekommen, um einem historischen Moment beizuwohnen: der Verbindung der kalifornischen Küste im Westen mit dem Atlantischen Ozean im Osten durch die erste transkontinentale Schienenstrecke. Die Präsidenten der Eisenbahngesellschaften Central Pacific Railroad und Union Pacific reichten sich im Blitzlichtgewitter der Fotografen feierlich die Hände und der kalifornische Gouverneur Leland Stanford schlug einen goldenen Nagel in die letzte Schwelle. Ein Reporter der "Illustrated Newspaper" schwärmte:
    "Eine Reise durch die Prärie war früher ein gewaltiges Unternehmen, das viel Geduld und Ausdauer erforderte. Jetzt dauert sie nicht mehr sechs Monate, sondern weniger als eine Woche. Der Planwagen ist Vergangenheit geworden. An seine Stelle tritt der Eisenbahnwaggon mit all seinen Annehmlichkeiten."
    Investoren waren abgeschreckt von enormen Kosten
    Im Osten existierte bereits ein Eisenbahnnetz, das aber nur vom Atlantik bis Omaha am Missouri River reichte. Von dort fehlten etwa 2.600 Kilometer Schienenverbindung bis nach Sacramento. Diese Strecke führte durch dünn besiedelte Wildnis und über die Gebirgsketten der Rocky Mountains und der Sierra Nevada. Doch die enormen Baukosten hatten Investoren immer wieder abgeschreckt, dieses fehlende Teilstück zu vollenden, so der Nordamerika-Historiker Sönke Kunkel von der Freien Universität Berlin.
    "Das Land war zwar im Eisenbahnfieber seit den 1830er, 1840er Jahren, hatte das größte Streckennetz der Welt, aber dazu gehörte eben auch, dass Unternehmen immer wieder pleitegingen und der Bau von Eisenbahnlinien entsprechend abgebrochen werden musste."
    Hohe Zuschüsse vom Staat und Ländereien
    Aus diesem Grund hatte die Regierung unter Präsident Lincoln für den Bau große finanzielle Anreize gesetzt. Die Bahngesellschaften erhielten Staatsanleihen, hohe Zuschüsse auf den schwierigen Bauabschnitten und für jede fertiggestellte Meile Strecke Ländereien auf beiden Seiten der Gleise.
    "Was dann immer wieder zu kuriosen Situationen führt, dass die Vorstände der Eisenbahngesellschaften an ihre Ingenieure herantreten, und sie fragen, ob sie nicht vielleicht hier noch ne Schleife einbauen könnten, oder da noch ne Schleife in die Streckenführung einbauen könnten, weil man darüber neue Staatsanleihen und neue Ländereien auch einstreichen kann."
    Zwölf Jahre waren für den Bau der transkontinentalen Eisenbahnlinie veranschlagt worden, doch die konkurrierenden Gesellschaften, die vereinbart hatten, sich auf halber Strecke in Utah zu treffen, schafften das Pensum in der Hälfte der Zeit. Tausende von Bürgerkriegsveteranen, befreiten Sklaven, Goldgräbern, Siedlern, chinesischen Arbeitern, irischen und deutschen Einwanderern errichteten mit Muskelkraft und Dynamit unter Hochdruck Holzbrücken, füllten Schluchten auf und bauten Tunnel.
    Die Vertreibung der Native Americans
    Sie lebten in dreistöckigen Waggons, die sich unermüdlich auf den fertiggestellten Trassen aufeinander zubewegten. Schneestürme oder Lawinen in den Hochgebirgen und Unfälle bei den Sprengarbeiten kosteten viele Arbeiter das Leben. Zum Schutz der Bautrupps vor Überfällen von Sioux und Cheyenne, deren Lebensräume der Eisenbahnbau zerstörte, wurden Soldaten hergeschafft. Diese Szenarien tauchen nicht nur in vielen Westernklassikern Hollywoods auf.
    "Wenn Sie sich die Geschichtsschreibung anschauen, dann finden Sie da oft eine heroische Erzählung. Es geht immer um die Kühnheit der Ingenieure und um die Visionen der Politik, aber es gibt eben auch die andere Seite … zum Beispiel die soziale Tragödie der Vertreibung der Native Americans. Und in letzter Instanz legt der Bau der transkontinentalen Eisenbahn den Grundstein für das Reservatsystem, das dann Ende der 1880er, der frühen 1890er Jahre etabliert wird."
    30 Millionen Bisons standen im Weg
    Das Militär wurde nicht nur zur Verteidigung der Eisenbahnlinien eingesetzt, sondern auch zur Beseitigung der etwa 30 Millionen Bisons, die dem Fortschritt buchstäblich im Weg standen.
    Anderthalb Jahrhunderte später gibt es für die amerikanischen Eisenbahner kaum noch Grund zum Feiern. Autos und Flugzeuge haben den Dampfrössern längst den Rang abgelaufen. Die transkontinentale Strecke wird jetzt hauptsächlich für den Güterverkehr genutzt und von Eisenbahntouristen, die von New York oder Chicago nach San Francisco fahren und, wenn die Bahn pünktlich ist, einen unvergesslichen Sonnenaufgang in den Rocky Mountains erleben können.