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Vor 175 Jahren geboren
Ernst Leitz - sozialer Unternehmer mit Weitblick

Mit neuartigen Produktionsmethoden machte Ernst Leitz ein Werk in Wetzlar zum weltweit größten Hersteller von Mikroskopen. Lange vor einer gesetzlichen Regelung führte er den Achtstundentag ein. Mit der Vermarktung der Kleinbildkamera "Leica" knüpfte sein Sohn schließlich an das Erbe des Vaters an.

Von Irene Meichsner | 26.04.2018
    Ernst Leitz der Ältere (l), Gründer des "Optischen Instituts", der späteren Firma E. Leitz GmbH, Optische Werke Wetzlar, und sein Werkmeister Oskar Barnack
    Ernst Leitz (l), Gründer des "Optischen Instituts", der späteren Firma E. Leitz GmbH, Optische Werke Wetzlar und sein Werkmeister Oskar Barnack, der Erfinder der "Leica"-Kamera (picture alliance / dpa / Leica)
    "Der Leitzianer - das war hier in Wetzlar ein besonderer Mensch. Nicht nur von der sozialen Stellung her, nein die Leute waren auch stolz. Sie gingen nicht in die Firma, sondern sie gingen ins 'Geschäft', auch die Mechaniker früher, mit Stehkragen und Manschetten. Und mit Krawatte."
    Vielleicht lag es daran, dass er selber klein angefangen hatte. Oder daran, dass Ernst Leitz, der innerhalb weniger Jahrzehnte vom Feinmechaniker-Gesellen zum weltweit größten Hersteller von Mikroskopen aufstieg, in einem politisch liberalen Elternhaus aufgewachsen war. Jedenfalls ging es seinen Angestellten schon immer besser als den Arbeitern in anderen Industriebetrieben.
    Berufung "Mechanicus"
    Lange vor einer gesetzlichen Regelung führte Leitz den Achtstundentag ein. Es gab eine Unterstützungskasse für Krankheit und andere Notfälle sowie eine Invaliden-, Witwen- und Waisenkasse. Rolf Beck, der frühere Firmenarchivar: "Die Familie Leitz war immer sehr sozial eingestellt, weil sie erkannte, dass das höchste Kapital des Unternehmens nicht die Gebäude sind und die Maschinen, sondern die Menschen, die dort arbeiten."
    Ernst Leitz wurde am 26. April 1843 im badischen Sulzburg als Sohn eines Realschullehrers geboren. Sein Vater hatte gehofft, dass er Theologie studieren würde, doch der Junge fühlte sich zum "Mechanicus" berufen. Leitz wurde Lehrling in einer Werkstatt in Pforzheim, die über 500 verschiedene physikalische und chemische Präzisionsinstrumente herstellte. Danach ging er auf Wanderschaft. In der Schweiz lernte er die Methoden der rationellen Serienfertigung kennen.
    Lieber Wetzlar als Paris
    Auf dem Weg nach Paris kam ihm 1864 zu Ohren, dass es in Wetzlar eine kleine, auf die Fertigung von Mikroskopen spezialisierte Werkstatt gab, die nach dem Tod ihres Gründers, des begnadeten Optikers Carl Kellner, in Schwierigkeiten geraten war.
    "Und - Leitz ging nicht nach Paris, sondern er ging nach Wetzlar."
    Schon ein Jahr später war er Teilhaber des optischen Instituts. 1870, nach dem Tod des Kompagnons, wurde Leitz Alleininhaber des Betriebs, den er schrittweise modernisierte. Statt in Einzelfertigung stellte er Mikroskope bald in kleinen Serien her, so dass er sie seinen Kunden, vor allem den Professoren, zu denen er enge persönliche Kontakte pflegte, preisgünstiger anbieten konnte als die Konkurrenz.
    Produktpalette wird ständig erweitert
    "Die persönlichen Kontakte, insbesondere zu den Gießener Professoren, waren besonders wichtig, weil die Gelehrten die Mikroskope zu dieser Zeit von ihrem eigenen Geld kauften. Aus diesem Grund war auch ihnen an einem ständigen Austausch gelegen. Nur so konnten sie die Weiterentwicklung der optischen Instrumente in ihrem Sinne beeinflussen", heißt es in einem von Knut Kühn-Leitz, einem Urenkel von Ernst Leitz, herausgegebenen Sammelband über den berühmten Vorfahren. Die Produktpalette wurde ständig erweitert. Auf Reisen ins In- und Ausland führten Leitz und später auch seine Söhne die Neuerungen vor.
    "Dabei transportierten sie die Geräte in dafür angefertigten Transportschränkchen aus Mahagoniholz, was allein schon Hochwertigkeit signalisierte."
    1907 verließ das 100.000ste Mikroskop die Wetzlarer Werkstatt. Leitz schenkte es Robert Koch, dem Entdecker des Tuberkulose-Erregers und Begründer der modernen Bakteriologie. Das 150.000ste Mikroskop ging fünf Jahre später an Paul Ehrlich. Seit 1906 war Ernst Leitz Junior-Teilhaber der väterlichen Firma. Auf ihn geht die Entwicklung des ersten, voll funktionstüchtigen "Binokularmikroskops" zurück, das ein uneingeschränktes Mikroskopieren mit beiden Augen ermöglichte.
    Und dann kam die "Leica"
    Der Sohn war es auch, der dem Unternehmen nach dem Ersten Weltkrieg eine neue Richtung wies. Noch zu Lebzeiten von Ernst Leitz Senior, der 1920 in der Schweiz im Alter von 77 Jahren starb, hatte Oskar Barnack, der Leiter der Versuchsabteilung, eine Mini-Kamera gebaut, mit der Teststreifen von Kinofilmen probeweise belichtet und damit auf ihre Qualität hin geprüft werden konnten. Ernst Leitz Junior erkannte, dass man mit dem Apparat auch sehr schöne Fotos machen konnte.
    "Leica, Leica als Begleiter auf der Reise zugesellt, Leica macht die Fremde heiter, Leica schenkt mir neu die Welt ..."
    Die "Leitz(sche) Camera", kurz: "Leica", ging als erste Kleinbildkamera der Welt in die Geschichte ein. Mit der mutigen Entscheidung, sie 1925, in wirtschaftlich schweren Zeiten, auf den Markt zu bringen, machte der junge Ernst Leitz seinem Vater alle Ehre - und sicherte damit zugleich die Zukunft des Familienbetriebs.