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Vor 175 Jahren
Schriftsteller Benito Pérez Galdós geboren

Benito Pérez Galdós bummelte lieber durch Straßen und Cafés als im Hörsaal zu sitzen. Dennoch gilt der Schriftsteller aus Gran Canaria als einer der produktivsten Literaten seiner Zeit - und als Wegbereiter des realistischen Romans. Sein Einfluss reicht bis in die Gegenwart.

Von Julia Macher | 10.05.2018
    Felsformation am Pico de las Nieves auf Gran Canaria.
    Benito Pérez Galdós wurde am 10. Mai 1843 auf Gran Canaria geboren - mit 18 zog er nach Madrid (imago / Blickwinkel / Wolf Fei)
    Sein literarische Schaffenskraft war legendär: Sein Werk umfasst 32 Romane, 26 Theaterstücke, die "Nationalen Episoden", eine Sammlung von 46 Erzählungen zur spanischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, dazu Essays, Memoiren, Kurzgeschichten. Ein Meister der Erzählkunst und der Wegbereiter des realistischen Romans in Spanien, sagt Maria Luisa Sotelo, Professorin für Spanische Literatur an der Universität Barcelona.
    "Benito Pérez Galdós hat in Spanien das Erbe von Miguel Cervantes angetreten und im 19. Jahrhundert den Roman neu entdeckt. Alle großen erzählerischen Entdeckungen - die Bedeutung der Perspektive, die Figur des Erzählers, die Rolle von Träumen im Roman - alle haben ihren Ursprung in Benito Pérez Galdós."
    Selten im Hörsaal
    Geboren wurde Benito Pérez Galdós am 10. Mai 1843 auf Gran Canaria, als jüngstes von zehn Kindern. Sein Vater war Oberstleutnant des spanischen Heers, zu Hause führte die Mutter das Regiment. Als Benito mit 19 Jahren die Kanarischen Inseln verließ, um im 1.800 Kilometer entfernten Madrid ein Jura-Studium zu beginnen, hoffte die Mutter, so auch Distanz zwischen ihn und seine Cousine zu legen, in die er sich Hals über Kopf verliebt hatte. Aus ihrem Jüngsten sollte kein Schürzenjäger, sondern ein respektabler Anwalt werden. Doch den Hörsaal betrat Benito kaum.
    "Auf der Flucht vor dem Katheder bummelte ich über Straßen und Plätze und genoss das brodelnde Leben dieser riesigen und bunt gescheckten Hauptstadt. Während ich meine Tage als Flaneur verbrachte, schmierte ich nachts Tragödien und Komödien zusammen. Ich besuchte das Königliche Theater und ein Café auf der Puerta del Sol, in dem sich viele meiner Landsmänner trafen."
    Sittengemälde des 19. Jahrhunderts
    Francisco Giner de los Ríos, einer der Gründer der fortschrittlichen Bildungseinrichtung Institución Libre de Enseñanza, animierte den jungen Galdós zum Schreiben. Nach drei Jahren Arbeit erschien 1870 sein erster Roman "Fontana de Oro". Geschickt verwebt er darin zeitgeschichtliche Entwicklungen mit der Biografie der Protagonisten: Eine Technik, die er in seinen späteren, realistischen Romanen weiter ausbaute zu detailgetreuen Milieuschilderungen des Kleinbürgertums mit Dialogen, die er auf der Straße aufgeschnappt hatte.
    "Fortunata y Jacinta", "Misericordia", "Doña Perfecta": Galdós Romane sind Sittengemälde des späten 19. Jahrhunderts, in denen häufig gesellschaftliche Moralvorstellungen und persönliche Ethik aufeinanderstoßen. Auch sein eigenes, bewegtes Liebesleben hallt in ihnen nach, etwa die elfjährige Liaison mit der Schriftstellerin und Feministin Emilia Pardo Bazán. Luisa Sotelo:
    "Die Beziehung war sehr leidenschaftlich. Im Roman 'Tristana' finden sich Zitate aus den Liebesbriefen, die sie ihm schrieb. Am Anfang war Benito Pérez Galdós unbestritten der Meister. Im Gegensatz zu ihm konnte sich Emilia Pardo Bazán nur als Autodidaktin bilden. Mit der Zeit wird ihre Beziehung aber ausgeglichener. Sie kritisiert seine Werke, und er beurteilt ihres."
    Großer Einfluss - Texte immer noch aktuell
    Wie fast alle Schriftsteller seiner Zeit widmete sich Benito Pérez Galdós nicht allein der Literatur, sondern arbeitete nebenbei als Theater- und Musikkritiker - mit besonderem Faible für Beethoven. Dass Galdós 1912 der Literatur-Nobelpreis verwehrt blieb, hält Sotelo für eine der großen Ungerechtigkeiten der Literaturgeschichte. Sein Einfluss bleibt dennoch unbestritten: Miguel Delibes, Camilo José Cela, selbst Eduardo Mendoza stehen in seiner erzählerischen Tradition. Galdós' Werke gehören noch heute fest zum literarischen Kanon. Maria Luisa Sotelo:
    "Wenn ich meinen Studenten heute 'Cánovas', eine Erzählung aus der letzten Serie der 'Nationalen Episoden', geben würde, würden sie denken, der Text wäre aktuell. Man könnte manche der historischen und politischen Analysen leider eins zu eins auf die heutigen Verhältnisse in Spanien übertragen: Etwa das Chaos, die Antriebslosigkeit auf Regierungsebene, das Wechselspiel zwischen zwei Parteien, das dazu führt, dass sich die Probleme verfestigen statt gelöst zu werden. Das alles ist noch heute gültig."
    Am 4. Januar 1920 starb der Romancier mit 76 Jahren in Madrid. Unter den Zehntausenden, die den Sarg mit seinem Leichnam zum Friedhof La Almudena begleiteten, waren auch die Handwerker, Nähmädchen und Familienmütter, denen Benito Pérez Galdós ein literarisches Denkmal gesetzt hatte.