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Vor 180 Jahren: Erster deutscher Tierschutzverein
"Kein Fabrikat zu unserem Gebrauch"

Kutschpferde halb tot geprügelt, Katzen und Vögel als Kinderspielzeug missbraucht, Hunde und Bären in "Hetztheatern" - gegen die verbreitete Tierquälerei wollte Pfarrer Albert Knapp ein Zeichen setzen. Vor 180 Jahren gründete er den ersten Tierschutzverein in Deutschland.

Von Hartmut Goege | 17.06.2017
    Demo gegen Massentierhaltung und TTIP Großdemonstration anlässlich der Agrarmesse Grüne Woche.
    Demo gegen Massentierhaltung: Proteste für den Tierschutz (imago stock&people)
    "Tierschutz ist von wichtigem Staatsinteresse, vom Standpunkt der Nationalökonomie wie auch der christlichen Moral. Wer seine Tiere schlecht behandelt, richtet nicht nur sein Eigentum zugrunde. Er ist auch für eine bessere Gesittung unempfänglich und für weitere Schandtaten bereit!"
    Mit diesem Flugblattaufruf warb der evangelische Pfarrer Albert Knapp in Stuttgart für seinen Verein zur Verhütung der Tierquälerei. Am 17. Juni 1837 wurden Programm und Satzung verabschiedet und damit der erste Tierschutzverein in Deutschland ins Leben gerufen. Knapp vollendete damit die Idee seines Freundes und Mentors, des Pfarrers Christian Adam Dann, der zwei Monate zuvor gestorben war. Dann war schon seit 1821 mit einer Streitschrift gegen die Tierquälerei zu Felde gezogen, darin hieß es: "Bitte der armen Thiere, der unvernünftigen Geschöpfe, an ihre vernünftigen Mitgeschöpfe und Herrn, die Menschen."

    Dieser Schrift war ein Schlüsselerlebnis vorausgegangen: Häufig hatte Dann in seinen Predigten ein auf dem Kirchturm regelmäßig nistendes Storchenpaar als Vorbild elterlicher Fürsorge und lebenslanger ehelicher Zweisamkeit angepriesen. Als er eines Tages einen Elternstorch erschossen auf einem Acker fand, war er so entsetzt, dass er sich schwor, die Menschen zu einem barmherzigen Umgang mit allen Tieren zu bekehren und erklärte: "Wen eines Thieres Qual erfreut, der wird, das kann nicht fehlen, kalt und gefühllos mit der Zeit gewiss auch Menschen quälen. Wer frech ein Mitgeschöpf betrübt, und Härte, Grausamkeit verübt, der kann auch Gott nicht lieben."
    Missbrauchte Tiere
    In der damaligen Zeit wurden Kutschpferde und Ackergäule oft halbtot geprügelt, wenn sie bockten, Katzen und Vögel als Kinderspielzeug missbraucht oder Hunde und Bären in so genannten "Hetztheatern" zum Vergnügen der Zuschauer aufeinander losgelassen. Tiere waren lediglich Gebrauchsgegenstände oder Fleischlieferanten.


    Der Umgang mit Tieren stand häufig im völligen Gegensatz zur allgemein christlichen Ethik eines liebevollen Miteinanders. Die Einsicht, dass auch Tiere Schmerz empfindende Wesen seien, war den Menschen lange Zeit fremd. Doch Danns Schrift traf durch die aufkommende Romantik einen Nerv der Zeit - viele wollten sich an der Schönheit der Natur, an Pflanzen und Tieren erbauen. Kirchenhistoriker Martin Jung erläutert: "Nun entdeckte man die Tiere neu als Mitgeschöpfe. Der Mensch ist den Tieren in manchem überlegen. Aber man hat den Tieren durchaus auch eine Seele zugebilligt. Alle sind Geschöpfe Gottes. Und man könnte sagen, in der Konsequenz gilt dann menschliche Ethik ein Stück weit eben auch für die Tierwelt."
    Zu sehen sind Schweine in einem Mastbetrieb.
    Schweine im Mastbetrieb. (picture alliance / dpa / Foto: Carsten Rehder)
    Erstes Tierschutz-Gesetz in Württemberg
    Tatsächlich schaffte es Knapps Stuttgarter Verein, dass in Württemberg ein Tierschutz-Gesetz erlassen wurde. Tierquälerei konnte fortan mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden. In vielen Städten und Gemeinden entstanden weitere Vereine. Und auch, wenn viele Zeitgenossen Menschen- und Tierquälerei als skandalösen Vergleich empfanden, begann sich der Zeitgeist zu drehen.
    1845 veröffentlichte der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann seine Verse über die "Geschichte des bösen Friederich" im wohl berühmtesten deutschen Kinderbuch Struwwelpeter: "Der Friederich, der Friederich, das war ein arger Wüterich! Er fing die Fliegen in dem Haus und riß ihnen die Flügel aus. Er schlug die Stühl' und Vögel tot, die Katzen litten große Not. Und höre nur, wie bös' er war: Er peitschte, ach, sein Gretchen gar!"
    Tierschutz im Grundgesetz
    Mit diesen Versen wollte er Kindern pädagogisch eindringlich einen wichtigen moralischen Grundwert vermitteln: Wer Tiere quält, der macht auch vor Menschen nicht halt. In Dresden und München entstanden weitere Tierschutzvereine mit tausenden Mitgliedern. 1881 schlossen sie sich deutschlandweit als Dachverband zusammen. Berühmte Zeitgenossen wie Arthur Schopenhauer traten bei. Sie waren von der Notwendigkeit solcher Vereine überzeugt: "Die Welt ist kein Machwerk und die Tiere sind kein Fabrikat zu unserem Gebrauch. Nicht Erbarmen, sondern Gerechtigkeit sind wir den Tieren schuldig."
    Blick in eine Hühnerfarm.
    Blick in eine Hühnerfarm. (dpa / Pavel Nemecek)
    Seit 2004 ist der Tierschutz im bundesdeutschen Grundgesetz verankert. Obwohl Tierquälerei verpönt ist, hat sich die Gewalt gegen Tiere vor allem in der industriellen Fleischproduktion kaum verringert. Tier- und Umweltschutzverbände weisen immer wieder darauf hin, dass Überzüchtung, Massentierhaltung, Turbo-Mastmethoden und Schlachthof-Tod gegen die grundlegenden Bedürfnisse und das Wohl der Tiere massiv verstoßen.