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Vor 20 Jahren: Attentat auf Indira Gandhi

Die indische Ministerpräsidentin hatte sich an diesem Morgen besonders sorgfältig zurechtgemacht. Denn als erste offizielle Verpflichtung sollte sie Sir Peter Ustinov, dem berühmten Schauspieler, ein Interview für das britische Fernsehen geben. Man hatte ihr geraten, einen safrangelben Sari zu wählen, da diese Farbe auf den Bildschirmen besonders gut zur Geltung komme und einen wirkungsvollen Kontrast zu ihren schwarzen Haaren mit der weißen Strähne bildete. So trat sie aus dem Seiteneingang des kleinen geschmackvollen Bungalows Sadarjang Road 1, der ihr als Wohnsitz diente. Ein kurzer Gartenweg und ein kleines Tor im Zaun führte zum Nachbargrundstück, dem Amtssitz in der Akbar Road 1. Dort wartete Peter Ustinov mit zwei indischen Kameraleuten:

Von Eberhard Kuhrau | 31.10.2004
    Wir konnten nur drei Schüsse hören und man hat mir gesagt: 'O, das ist nichts, das ist so...eh, das sind so orientalische Sachen, die explodieren, die Kinder benützen.' Aber dann kam doch das Lärm von ein Maschinengewehr, das kenn' ich schon, das war nicht Spielzeuge.

    Inder Malhotra, ein angesehener indischer Journalist und Biograf Indira Gandhis, fasst die Ereignisse nach den polizeilichen Ermittlungen so zusammen:

    Indira brauchte eine Minute, um das Tor zu erreichen, wo sie Unter-Inspektor Beant Singh, einen Sikh, anlächelte. Als Antwort auf ihr Lächeln schoss er ihr mit seinem Revolver in den Unterleib. Als sie zusammenbrach, feuerte Wachtmeister Satwant Singh, ebenfalls ein Sikh, mit seiner Maschinenpistole auf sie, bis das Magazin leer war.

    Beide Mörder gehörten einer angesehenen religiösen Minderheit unter den Hindus an. Sie gelten als gute, loyale Soldaten und stellen überproportional viele Armeeoffiziere. Allerdings hatte die Ministerpräsidentin ihre Loyalität auf eine harte Probe gestellt: Seit Monaten überflutete eine Welle terroristischer Gewalt den Punjab, die Heimatprovinz der Sikhs. Dutzende von Hindus waren von jungen Fanatikern ermordet worden, um die Gründung eines theokratischen Sikh-Staates im Punjab zu erzwingen. Zum Schluss hatten sie sich im höchsten Heiligtum der Sikhs, im Goldenen Tempel von Amritsar, verschanzt. Indira Gandhi ließ monatelang mit ihnen verhandeln, ebenso verzweifelt wie vergeblich. Es gab keine Alternative zur Operation "Blue Star", der gewaltsamen Besetzung der Tempelanlage. Inder Malhotra:

    Am 2. Juli wandte sich Indira im Radio und Fernsehen mit einem letzten Appell an die Akalis, die Agitation abzubrechen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Sie beendete ihre Rede mit einem leidenschaftlichen Appell: ‘Vergießt kein Blut - beseitigt den Hass!’ Aber die Betreffenden hörten nicht zu.

    Es gab Hunderte von Toten und große Zerstörungen an dem Heiligtum. Viele, auch gemäßigte Sikhs auf der ganzen Welt waren empört. Knapp vier Monate später nahmen zwei von ihnen, Beant und Satwant Singh, furchtbare Rache. Noch einmal Frau Gandhis Biograph:

    Offiziere der indo-tibetischen Grenzpolizei führten Beant und Satwant in eine nahe gelegene Dienstbaracke ab. Dort kam es zu einem Handgemenge, angeblich wegen eines Fluchtversuches, bei dem auf sie geschossen wurde. Beant war sofort tot, Satwant wurde später wegen Mordes angeklagt und im Januar 1989 hingerichtet.

    Natürlich wussten Indira Gandhi und ihre Sicherheitsberater, wie gefährdet das Leben der Ministerpräsidentin war, nachdem sie den Befehl zur Operation Blue Star gegeben hatte. Spitzenbeamte hatten darauf gedrängt, nach der Erstürmung des Tempels in Amritsar wenigstens für einige Zeit Sikhs aus ihrer Leibwache fernzuhalten.

    Auf die 'Top Secret' - Akte, die diesen Vorschlag enthielt, und die erst nach ihrer Ermordung auftauchte, hatte Indira nur ein paar Worte gekritzelt:

    "Are we not secular!" - "Sind wir nicht ein religiös neutraler Staat!"


    So starb Indira Gandhi, die Tochter Jawaharlal Nehrus, der Indien in die Unabhängigkeit geführt hatte, als Märtyrerin der säkularen Staatsidee in einem von religiösen Gegensätzen geschüttelten Subkontinent. Ihr Sohn und Nachfolger Rajiv Gandhi erlitt das gleiche Schicksal - er wurde von einer tamilischen Nationalistin ermordet. Indira Gandhi war gewiss keine Heilige, sondern eine gerissene, notfalls rücksichtslose Machtpolitikerin. Aber sie hat furchtlos gekämpft für ihre Familie und die Einheit Indiens. In einem Fernsehinterview kurz vor ihrem Tode bekannte die knapp 67-Jährige:

    Ich habe ein erfülltes Leben gehabt. Ob ich im Liegen sterbe oder im Stehen - das kümmert mich nicht sehr.