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Vor 200 Jahren
Uraufführung von "Der Barbier von Sevilla"

Aufgeführt vor 200 Jahren in Rom hat Rossinis Oper bisher nichts an Beliebtheit beim Publikum eingebüßt. Viele Opernhäuser haben das Stück im Repertoire. Was nicht jedem bekannt ist, dass die Geschichte des umtriebigen Friseurs, der ein attraktives Mädchen erobert, aus dem Auftakt einer französischen Figaro-Trilogie stammt und Mozarts Oper "Figaros Hochzeit" aus dem zweiten Teil der Textvorlage entstanden ist.

Von Stefan Zednik | 20.02.2016
    Diese Aufführung des "Barbier von Sevilla" fand im Februar 2016 in Sevilla statt.
    Diese Aufführung des "Barbier von Sevilla" fand im Februar 2016 in Sevilla statt. (picture alliance / dpa / Raul Caro)
    Die Kavatine des Figaro aus Gioachino Rossinis "Barbiere di Siviglia" ist eine der berühmtesten Arien der Operngeschichte. Es ist der fulminante Auftritt eines gewitzten, schlagfertigen, gutaussehenden und erfolgreichen Mannes, der sich stets bestens zu verkaufen weiß.
    Oper der Superlative
    Der Barbier kommt nicht nur zu Rasur und Haarpflege ins Haus, er ist, wie er selbst von sich sagt, ein "Factotum della cittá", einer, der jedem für fast jeden Dienst zur Verfügung steht. Nur die Bezahlung muss stimmen. Als selbständiger Dienstleister ist er oft gestresst, doch das hält ihn nicht ab, den Auftrag eines vermeintlichen Studenten anzunehmen, der bei seiner Werbung um eine Schönheit Unterstützung benötigt. Figaro kennt die Verhältnisse: Die begehrte junge Frau lebt als Mündel unter der Aufsicht eines älteren, griesgrämigen Akademikers. Der will sie selbst zur Ehefrau, wenn nötig, unter Zwang. Natürlich scheitert das Ansinnen, die Jugend siegt, der Student stellt sich als junger Graf heraus und der lächerliche Alte bleibt geschlagen zurück.
    Der "Barbiere" ist eine Oper der Superlative: Das erste Repertoirestück der Theatergeschichte, das sich seit der Uraufführung am 20. Februar 1816 ohne Unterbrechung auf den Spielplänen der Opernhäuser hält, gespickt mit zu Gassenhauern gewordenen Melodien, geschrieben von einem 23-Jährigen in knapp zwei Wochen.
    Auch wenn diese unglaubliche Arbeitsleistung heute noch staunen macht: Hier mischt sich musikalisches Genie mit Effizienz. Denn Rossini komponierte nicht alles neu. Die Ouvertüre etwa entnahm er bereits zum zweiten Mal einem seiner weniger erfolgreichen Werke. Misserfolge wurden so oft zur Quelle für neue Projekte. Und Pleiten schreckten den jungen Rossini kaum.
    Rossini-Kult in Frankreich
    Beaumarchais hatte den Barbier 1775 im noch royalistischen Frankreich auf die Bühne gebracht. Sieben Jahre später schuf Giovanni Paisello eine international erfolgreiche Oper, und Rossini musste selbst 30 Jahre später den Vergleich mit Paisello immer noch fürchten. Dessen Verehrer brachten ihr Missfallen am Premierenabend deutlich zum Ausdruck. Rossini ließ das kalt, und schon am nächsten Tag verbreitete sich die Nachricht vom sensationellen Schwung der neuen Oper in Rom wie ein Lauffeuer. Der unaufhaltsame Siegeszug des "Barbier" hatte begonnen.
    "Ich habe mich oft gefragt, wie ich es anstellen müsste, um das italienische Theater zu unterminieren und es mit seiner ganzen Rossinianer-Bevölkerung in die Luft zu sprengen."
    So der eifernde Hector Berlioz wenige Jahre später über den Paris beherrschenden Rossini-Kult. Die Ideen der französischen Revolution schienen zu einem reinen Wirtschaftsliberalismus geronnen zu sein. In geistiger Hinsicht herrschte Zensur, und vielen war Rossinis Musik nur seichte, staatstragende Unterhaltung zu sein.
    Durch Musik Gefühle zeigen - in Italien herrscht politisch betrachtet Sprechverbot
    Ganz anders sah dies Heinrich Heine:
    "Dem armen geknechteten Italien ist ja das Sprechen verboten, und es darf nur durch Musik die Gefühle seines Herzens kundgeben. All seinen Groll gegen fremde Herrschaft, seine Begeisterung für Freiheit, sein Wahnsinn über das Gefühl der Ohnmacht (..), all dies verkappt sich in jene Melodien."
    Was das heißen kann, zeigt Rossini in einem der spektakulärsten Ensembles der Operngeschichte, dem Finale des ersten Aktes. Graf Almaviva alias Student Lindoro verschafft sich – als Offizier verkleidet und einen Betrunkenen spielend – Zutritt zum Haus der Verehrten. Die Mehrfachverstellung führt zum totalen Identitätsverlust, es kommt zum Tumult, die Polizei erscheint, die Verwirrung steigert sich bis in den Wahnsinn. Allen entzieht sich der Boden, die Protagonisten singen nicht mehr freiwillig, sie werden zum Singen gezwungen. Dabei wird die Musik zu einer gnadenlos treibenden Maschine, deren Beherrschung dem einzelnen Individuum unmöglich geworden ist.
    Man hat Charlie Chaplin in "Modern Times" vor Augen, wie er den aussichtslosen Kampf gegen das immer schneller werdende Rasen der Apparaturen mit den Mitteln des Films im 20. Jahrhundert sichtbar werden lässt.
    Rossini selbst ist nur ein einziges Mal mit der Eisenbahn gefahren. Er hat es gehasst.