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Vor 225 Jahren
Die "Mainzer Republik" wurde ausgerufen

Beim Thema "Revolution in Deutschland" denkt man unweigerlich zunächst an 1848, 1918 und 1989. Wenig bekannt ist, dass die erste politische Revolution auf deutschem Boden früher stattfand: Heute vor 225 Jahren wurde in Mainz die erste deutsche Republik ausgerufen.

Von Bert Oliver Manig | 18.03.2018
    Eine Zeichnung von Vaclav Hollar mit der Sicht auf Mainz, ca. 1632
    Eine Zeichnung von Vaclav Hollar mit der Sicht auf Mainz, ca. 1632 (imago stock&people)
    Selten löste eine militärische Besetzung so viel Euphorie aus wie im Oktober 1792: Die in Mainz einrückenden französischen Revolutionstruppen benahmen sich wie Befreier, dem heimlich geflohenen Landesherrn, Erzbischof Friedrich Karl von Erthal, weinte niemand eine Träne nach. Stattdessen wurden "Freiheitsbäume" gepflanzt; selbst auf den Dörfern verkündeten Pfarrer und Lehrer die Ideale der Französischen Revolution von 1789. Und im nahen Gau-Algesheim spielte ein Schulmeister auf der Kirchenorgel während der Messe die Marseillaise.
    Zwei Tage nach dem französischen Einmarsch wurde in Mainz die "Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit" - der so genannte "Jakobinerclub" – gegründet. Hier gaben Bildungsbürger wie der berühmte Weltreisende und Schriftsteller Georg Forster den Ton an. Auch der Chef der von den Franzosen eingesetzten zivilen Landesverwaltung, der Theologe Anton Joseph Dorsch, war ein idealistischer Demokrat. Als ihn devote Bittschriften der Einwohnerschaft erreichten, verbat er sich öffentlich jede Unterwürfigkeit:
    "Lasst uns alle jene sklavischen Ausdrücke, als gnädigst, in Submission, unterthänigst und alle übrige, die einem freien Menschen unanständig sind, aus allen Schriftstücken auf immer verbannen. Wenn wir einen Vorzug vor euch haben: so ist es das süße Bewusstsein, als eure Beamte für das Wohl und die Freiheit unserer geliebten Mitbürger zu arbeiten."
    Die Besatzung begann lästig zu werden
    Administration und Jakobinerclub produzierten eine Flut von Schriften zur politischen Aufklärung des Volkes. Doch schon bald kippte die Stimmung. Die französische Besatzung begann lästig zu werden, der Wirtschaft fehlte die Nachfrage des Hofes, bei Handwerksmeistern und Kaufleuten wuchs die Sorge vor dem Verlust ihrer Privilegien. Und von der anderen, reichstreuen Rheinseite fanden zahllose Schmähschriften gegen die Mainzer Demokraten, die darin als sitten- und zügellose Vaterlandsverräter diffamiert wurden, ihren Weg in die Stadt. Immer hetzerischer wurde der Ton dieser Pamphlete:
    "Seyd deutsch, bleibt deutsch und speyt ins Angesicht dem, der ein Wort für Frankenfreiheit spricht!"
    Ungeachtet des schwindenden revolutionären Elans hielt die demokratische Administration in den französisch besetzten Gebieten des Kurfürstentums Mainz sowie in Speyer und Worms Parlamentswahlen ab. Am 17. März 1793 trat der "Rheinisch-deutsche Nationalkonvent" in Mainz zusammen; tags darauf rief er die erste Republik auf deutschem Boden aus:
    "Der ganze Strich Landes von Landau bis Bingen, welcher Deputierte zu diesem Konvente schickt, soll von jetzt an einen freien, unzertrennlichen Staat ausmachen, der gemeinschaftlichen, auf Freiheit und Gerechtigkeit gegründeten Gesetzen gehorcht. Der einzige rechtmäßige Souverän dieses Staats, nämlich das freie Volk, erklärt durch die Stimme seiner Stellvertreter allen Zusammenhang mit dem deutschen Kaiser und Reiche für aufgehoben."
    Die Schwäche der Republik
    Wenige Tage später entsandte der Konvent eine Delegation unter Forsters Leitung nach Paris, um dort den Anschluss des neuen Staates an die Französische Republik zu erwirken.
    Das war kaum mehr als eine Verzweiflungstat. Auch dass man unbotmäßige Bürger kurzerhand aus Mainz auswies und "Unterhändlern und Helfershelfern" der alten Obrigkeit sogar mit der Todesstrafe drohte, konnte nicht über die Schwäche der Republik hinwegtäuschen. Denn nur wenige Wochen später, im April 1793, schloss sich ein Belagerungsring preußischer, sächsischer und österreichischer Truppen um Mainz.
    Dem wochenlangen Beschuss der Stadt fielen Tausende zum Opfer. Nach Kapitulation und Abzug der Franzosen am 23. Juli 1793 entlud sich der Zorn der Mainzer in brutalen Racheakten an bekannten Demokraten und ihren mutmaßlichen Sympathisanten.
    Der revolutionäre Funke war nicht auf die rechtsrheinischen Gebiete übergesprungen und war schließlich auch in Mainz erloschen. Republikaner waren fortan in Deutschland gesellschaftlich geächtet. Ein kluger Beobachter wie der Freiherr von Knigge kam im Juli 1793 zu dem Schluss, dass Deutschland "vorerst wohl keine gefährliche politische Haupt-Revolution" mehr zu erwarten habe.