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Vor 25 Jahren
Als das BVerfG Auslandseinsätze der Bundeswehr billigte

In den 90er-Jahren sandte die Bundesregierung Soldaten in den Auslandseinsatz nach Somalia und Jugoslawien - ohne Zustimmung des Bundestages. SPD- und FDP-Politiker zweifelten, ob dies mit dem Grundgesetz vereinbar sei und riefen das Bundesverfassungsgericht an. Am 12. Juli 1994 verkündete es seine Entscheidung.

Von Matthias Bertsch | 12.07.2019
    Eine Gruppe Besucher sitzt im Plenarsaal im Reichstag in Berlin.
    Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wurde der sogenannte wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt geschaffen (dpa / Soeren Stache)
    Dürfen deutsche Soldaten auch im Ausland eingesetzt werden? Als die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, am 12. Juli 1994 vor die Mikrofone trat, wurde die Antwort auf diese Frage mit Spannung erwartet:
    "Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die - grundsätzlich vorherige - konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Die Bundesregierung hat gegen dieses Gebot verstoßen, indem sie auf Grund ihrer Beschlüsse vom 15. Juli 1992, 2. April und 21. April 1993 bewaffnete Streitkräfte eingesetzt hat, ohne vorher die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen."
    SPD- und FDP-Fraktion riefen das höchste deutsche Gericht an
    Vorangegangen waren dem Urteil Klagen von SPD und FDP. Beide Fraktionen hatten sich an das höchste deutsche Gericht gewandt, um zu klären, ob eine Beteiligung der Bundeswehr an NATO-Überwachungsflügen im ehemaligen Jugoslawien und an einer UN-Mission in Somalia mit der Verfassung vereinbar sei. Doch das Grundgesetz war nicht so pazifistisch wie es manch Anhänger der Friedensbewegung gern gesehen hätte, so der Völkerrechtler Helmut Aust von der Freien Universität Berlin:
    "Es gab und gibt den Artikel 26, der den Angriffskrieg verbietet, und anlässlich der Entstehung des Grundgesetzes wurde darüber diskutiert, ob man nicht jede Form militärischer Gewaltanwendung ächten sollte, um ein wirklich pazifistischer Staat zu sein. Das hat sich nicht durchgesetzt, unter Verweis darauf, dass Formen der Selbstverteidigung gegen Angriffskriege völkerrechtlich zulässig sind."
    Und so hieß es in der Urteilsbegründung: "Die von der Bundesregierung beschlossenen Einsätze deutscher Streitkräfte, denen jeweils ein vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteiltes Mandat zugrunde liegt, finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz, der den Bund ermächtigt, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen."
    Helmut Aust: "Ein Argument ist dann zu sagen: Na ja, wenn das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt, dass man Mitglied eines solchen Systems ist, muss man auch die typischerweise mit der Mitgliedschaft in einem solchen System verbundenen Pflichten übernehmen. Man kann nicht nur den Schutz eines Systems kollektiver Sicherheit in Anspruch nehmen, sondern man muss sich auch an Einsätzen dieses Systems beteiligen."
    Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt
    Allerdings, so Karlsruhe, könne die Exekutive - also die Regierung - über solche Einsätze nicht allein entscheiden. Sie brauche die Zustimmung der Legislative. Der sogenannte wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt war geschaffen worden. Jutta Limbach:
    "Die hiernach in den Vorschriften des Grundgesetzes auf dem Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 zum Ausdruck kommende Entscheidung für eine umfassende parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte lässt ein der Wehrverfassung zugrundeliegendes Prinzip erkennen, nach dem der Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven - grundsätzlich vorherigen - Zustimmung des Bundestages unterliegt."
    Nach dem Urteil zeigten sich Regierung wie Opposition gleichermaßen als Sieger. Bundeskanzler Helmut Kohl betonte, dass die Auslandseinsätze grundsätzlich im Einklang mit der Verfassung stünden, der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping verbuchte die Beteiligung des Parlaments als Erfolg für die Sozialdemokraten. Fast noch wichtiger war das Urteil für den gesellschaftlichen Frieden. Während viele Deutsche Auslandseinsätzen der Bundeswehr bis Anfang der 90er-Jahre grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden, erhöhte die Entscheidung aus Karlsruhe deren Akzeptanz. Eine Regierung, die die Zustimmung des Parlaments braucht, so die Überzeugung, werde ihre Soldaten nicht leichtfertig in kriegerische Konflikte schicken.
    Der Preis des Parlamentsvorbehalts
    Doch der Parlamentsvorbehalt hat auch seinen Preis, räumt Völkerrechtler Helmut Aust ein: Die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung sei in gemeinsamen Stäben im Rahmen der Nato oder der EU potenziell eingeschränkt:
    "Es gibt bei den Verbündeten vielleicht schon eine grundsätzliche Unsicherheit: Können wir uns, wenn wir jetzt unsere militärischen Fähigkeiten kombinieren wollen, können wir uns darauf verlassen, dass man dann auch tatsächlich diese Fähigkeiten gemeinsam einsetzen kann, wenn die Bundesregierung nicht alleine im Zweifel hier entscheiden kann, ja wir beteiligen uns, sondern eben auch noch der Bundestag beteiligt werden muss."
    Im Rahmen der EU wird sich daran auch in Zukunft nichts ändern. "Auch bei Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon" heißt es in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2009, "besteht der konstitutive Parlamentsvorbehalt für den Auslandseinsatz der Streitkräfte fort."