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Vor 25 Jahren gestorben
Der US-Künstler Dan Flavin hat Betrachter zum Teil seiner Werke gemacht

Licht hat in der Kunstgeschichte immer eine Rolle gespielt, von Caravaggio über die Hell-Dunkel-Malerei Rembrandts bis zu den Impressionisten. Richtig zum Leuchten brachte das Licht aber erst der amerikanische Künstler Dan Flavin, der zuerst mit Glühbirnen und dann mit Neonröhren experimentierte.

Von Christian Gampert | 29.11.2021
Ein Museumsbesucher betrachtet ein Werk von Dan Flavin.
Ein Werk von Dan Flavin (picture alliance/dpa)
Der 1933 in New York geborene Flavin war auf der Suche nach einer „objektiveren“ Kunst. Er hatte in Brooklyn ein Priesterseminar besucht und dann, im Korea-Krieg, für die US-Army als Flugwetter-Meteorologe gearbeitet. Nach einem Kunststudium collagierte er zunächst Alltagsgegenstände, bevor ihm eine Erleuchtung kam: am 25. Mai 1963, so gibt es Flavin an, zeichnete er eine gelbe Diagonale auf schwarzem Grund. Diese „Diagonale der persönlichen Ekstase“ schraubte er in Form einer gelb schimmernden Supermarkt-Neonröhre im November 1963 an eine Wand – und begründete damit eine Spielart des Minimalismus, die das Material von Bürolichtern und von großstädtischen Leuchtreklamen nun ins Museum brachte.
Mitte der 1960er Jahre hatten Philip Glass und Steve Reich begonnen, minimalistische, seriell aufgebaute Musik zu komponieren. Als Gegenbewegung zum emotionsgeladenen „abstrakten Expressionismus“ suchten auch Plastiker wie Donald Judd, Carl Andre oder eben Dan Flavin eine geometrische Klarheit in die Kunst zurückzuholen. Dass Flavin dabei Leuchtstoffröhren aus dem Baumarkt von nebenan benutzte, war auch ein Bekenntnis zur armen Kunst, zu den Alltagsdingen, zur „arte povera“.  Flavin war allem Pathos abhold – er wollte zurück zur puren Wahrnehmung
„Was ich mache, ist kein ‚Zeichnen im Raum‘ - das wäre zu bedeutungsvoll. Aber es ist mehr als nur Skulptur. Und ich bin auch besser als ein bloßer Röhren-Designer …“, sagte Flavin 1972 im Gespräch mit Phyllis Tuchman.

Besucher werden Teil der Installation

Zu Beginn seiner Karriere hatte Flavin noch Glühbirnen auf monochromen Bildern fixiert, sogenannte Icons, Ikonen. Das auf einem Hintergrund reflektierende Licht brachte ihn auf den Gedanken, auch den Museumsbesucher quasi zu beleuchten: wer vor Flavins rot, weiß, blau oder grellgrün fluoreszierenden Leuchtröhren steht, wird natürlich selbst Teil der Licht-Installation.
Dan Flavin: Untitled (to Don Judd, colorist), 1-5, 1985 in der Kunsthalle Bielefeld
"Untitled" von Dan Flavin (Estate of Dan Flavin/VG Bild-Kunst, Bonn 2012)
Und diese Röhren werden nun formal immer weiter differenziert, sie bilden skulpturale Formen, Vierecke, Stelen, ganze Tunnel, Türme. Sie machen Räume anders sichtbar; sie beleuchten Museumswände und -ecken und teilweise auch ganze Architekturen. Sie verbreiten - im Museum - kaltes oder warmes weißes Licht, sie lehnen sich farblich an die Trikolore an oder zitieren konstruktivistische Kunstwerke wie den Tatlin-Turm, einst Monument der sowjetischen Avantgarde.
„Er unterläuft natürlich mit seinen Lichtarbeiten die klaren Konturen und Proportionen der Räume. Die Grenzen zwischen Werk, Raum und Betrachter, die scheinen dann irgendwie illusionistisch aufgelöst zu sein. Und das ist etwas komplett Neues in dieser Form ohne Romantizismus“, meint Roland Wäspe.

Halluzinogene, übersinnliche Wirkungen

Wäspe hat 2013 am Kunstmuseum Sankt Gallen die vorerst letzte große Retrospektive zu Flavin im deutschsprachigen Raum kuratiert hat. Da ging man wirklich ins Licht hinein, in transformierte Räume. „Und manche Arbeiten sind dann ja von einer Licht-Dichte, die alles bisher Gesehene im Bereich der Wahrnehmung gesprengt haben.“
Das heißt: einerseits hat diese Kunst etwas Objektives – es geht nur um Licht. Andererseits, wenn man etwa diese grellgrünen Licht-Tunnel auf sich wirken lässt, hat das durchaus halluzinogene, übersinnliche Wirkungen. Aber man muss bei Flavin eben an nichts glauben …
Roland Wäspe: „Es ist einfach die ganz große Freiheit der eigenen Wahrnehmung… dass man das als unendlich reich und überhaupt noch nicht erkundet empfindet …“
Der Betrachter wird bei Flavin also nicht „überwältigt“. Er wird eingebunden, aktiviert – und vielleicht auch ein wenig erleuchtet. Nur minimal natürlich. Aber immerhin …